Große Koalition - Heilige Angela

Während die SPD nach dem G20-Chaos noch ihre Wunden leckt, scheint der Wähler der Kanzlerin alles zu verzeihen. Sogar ein bayerisches Schmierentheater

Alle Versuche, Angela Merkel mit in die Verantwortung für das G20-Chaos zu ziehen, scheinen an ihr abzuperlen / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die Scherben des G20-Gipfels sind lange noch nicht aufgekehrt. Da ist das unterschätzte Gewaltpotenzial der militante Autonome. Die Fehler beim Polizeieinsatz. Und auch auf die Frage, ob solche Mammuttreffen von Staatenlenkern sein müssen, hat Hamburg keine überzeugende Antwort geliefert. Doch eines scheint schon festzustehen. Angela Merkel profitiert auch vom G20-Chaos. Alle Versuche, sie mit in die Verantwortung für den Gewaltexzess zu ziehen, scheinen an ihr abzuperlen. Auf der anderen Seite stehen ihre Qualitäten als Staatsfrau trotz der mageren Gipfelergebnisse in der öffentlichen Meinung nicht infrage. Selbst wenn die Selbstinszenierung der Kanzlerin als Führerin der westlichen Welt auf dem G20-Gipfel nicht recht funktionieren wollte.

Gabriel brüllt, aber die SPD hat den Blues 

Sigmar Gabriel hat es versucht, er hat die Kanzlerin Anfang der Woche frontal angegriffen. Und den Gipfel und seine Begleitumstände somit endgültig zum Wahlkampfthema erhoben. Merkel trage die Verantwortung für die Wahl des Gipfelorts, hat der Sozialdemokrat und Außenminister in einem Zeitungsinterview geschimpft. Ihr „heimliches Ziel“ sei die Selbstinszenierung kurz vor der Bundestagswahl gewesen. Der Union hat er „ein bisher nicht gekanntes Maß an Verlogenheit“ vorgeworfen. Wer den Rückzug des Hamburger sozialdemokratischem Bürgermeisters Olaf Scholz fordere, der müsse auch Merkels Rücktritt verlangen. Politisch sei der Gipfel ein „totaler Fehlschlag“ gewesen.

Gut gebrüllt Löwe. Nur haben nun vor allem die Sozialdemokraten den Gipfel-Blues. Olaf Scholz, der ja durchaus als Hoffnungsträger der SPD galt, hat jetzt ein ernsthaftes Problem. Ob er die Aufarbeitung des Polizeieinsatzes, mit dem sich in der Hamburger Bürgerschaft sicherlich noch ein Untersuchungsausschuss beschäftigen wird, politisch überlebt, ist alles andere als ausgemacht. Die Solidaritätsadressen von Parteifreunden für den Hamburger Bürgermeister zumindest klingen sehr zurückhaltend. Und während Christdemokraten aus der zweiten und dritten Reihe munter gegen die SPD sticheln, gelang es nicht jedem Sozialdemokraten, rhetorisch unfallfrei eine scharfe Trennlinie zum jenem Teil der radikalen Linken zu ziehen, der Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung entweder offen propagiert oder für Gewalttäter ein politisches Netzwerk bereitstellt.

Schwäche von Schulz offenbart sich 

Gabriels Angriff auf die Kanzlerin offenbart zudem die Schwäche des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, dessen Wahlkampf nicht in Fahrt kommt und dessen politischer Führung sich der Ex-Parteichef offenbar nicht unterordnen will oder kann. Während Schulz schwächelt und die anfängliche Euphorie auch in der Partei verflogen ist, agiert Gabriel wie ein Nebenkanzlerkandidat. So entsteht in der Öffentlichkeit eine sozialdemokratische Kakofonie, die für den Wahlkampf nichts Gutes erwarten lässt

Derweil lässt sich in der FAZ nachlesen, dass der Außenminister Sigmar Gabriel im Kanzleramt darauf gedrängt habe, an dem Treffen der Staats- und Regierungschefs teilnehmen zu dürfen, weil auch er die Bühne G20 für seine Selbstinszenierung nutzen wollte. Kein Wunder, dass die Kanzlerin einen Wahlkampfauftritt in Essen nutzte, um süffisant anzumerken, sie habe sich darüber gefreut, dass Gabriel sie nach Hamburg begleitet und der Außenminister zum Erfolg des Gipfels beigetragen habe. Sein eigenes Ministerium sieht es im Übrigen genauso. Gabriel der Außenminister steht also nicht nur Schulz, sondern auch sich selbst als Wahlkämpfer im Weg.

Merkel und Seehofer demonstrieren Einigkeit

Und während die SPD noch ihre G20-Wunden leckte und auf offener Bühne ihr Führungsdilemma zelebrierte, eilte die Kanzlerin bereits von Hamburg nach Kloster Banz, vom deutschen Tor zu Welt in die bayerische Provinz, um eine Art Schmierentheater aufzuführen: Die Versöhnung. Als sei nie etwas gewesen lagen sich Angela Merkel und Horst Seehofer anlässlich der Klausurtagung der CSU-Bundestagsgruppe in den Armen. Vergessen, dass sich beide vor knapp zwei Jahren in Folge der merkelschen Flüchtlingspolitik noch bis aufs Messer bekriegt haben und dass in der CSU bis vor kurzem die Parole „Merkel muss weg“ noch weit verbreitet war.

Dem Wähler gefällt es. Anders als bei der SPD sind die Umfragewerte der Union stabil, seit dem Ende des Schulzhypes steigt die Beliebtheit der Kanzlerin im Vergleich mit dem Kanzlerkandidaten kontinuierlich an. Es scheint so, als sei der Wähler bereit, der heiligen Angela alles verzeihen.

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