Migrationspolitik der GroKo - Die Augen vor der Realität verschlossen

Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD ist klar: Alle Parteien wollen an der bisherigen Migrationspolitik festhalten, auch wenn diese rechtlich umstritten und demokratisch dünn legitimiert ist. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Recht und Ordnung wird so missachtet

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze 2015 / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die heute begonnenen Koalitionsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD mögen sich eine Weile hinziehen, vielleicht so lange, bis das Dreierbündnis nachhaltig weniger als die Hälfte der Wähler hinter sich weiß. Die künftige GroKo ist schon jetzt eine Schwundkoalition, ein letztes Halali, Museum der Gegenwart und Zusammenkunft derer, die sich im Absturz aneinander klammern in der Illusion, dann schmerzte der Aufprall in der Realität weniger. Wird er aber nicht – vor allem deshalb, weil Union und SPD fest entschlossen sind, an ihrer riskanten und demokratisch dünn legitimierten Migrationspolitik festzuhalten.

Wir erinnern uns: In Wahlkampfzeiten markierten CSU und CDU den dicken Max, erklärten im Tremolo der Entschlossenheit, eine „Situation wie 2015“ dürfe sich nicht wiederholen, wer kein Bleiberecht in Deutschland habe, müsse Deutschland verlassen, die aufnehmende Gesellschaft dürfe nicht überfordert werden. Hie und da stimmten Kommunalpolitiker der SPD in das Lied mit ein. Tempi passati.

Umverteilung zugunsten der Neuankömmlinge 

Heute wissen wir: Ausweislich der Sondierungsergebnisse vom 12. Januar 2018 wird sich an den offenen Grenzen nichts ändern. Eine Obergrenze der Aufnahme ist nicht vorgesehen, die CSU steht düpiert da, die Kanzlerin kümmert ihr Reden von ehedem traditionell wenig, und sollten die SPD-Linken der Parteiführung weiter zusetzen, wird die Bundesrepublik ihre Magnetfunktion für die Migranten dieser Welt verstärken. Warum eigentlich? Ist es ein Herzensanliegen der „kleinen Leute“, die der SPD sonst als Gradmesser politischer Vernunft gelten, dass bis heute ohne jeden parlamentarischen Beschluss eine Umverteilung der Steuerabgaben zugunsten der Neuankömmlinge stattfindet? Es gibt Umfragen, die sehen die SPD derzeit bei einer Zustimmungsrate von 17 Prozent.

Allein das marode, von einem SPD-Bürgermeister regierte Berlin wendet jährlich 900 Millionen Euro auf, also drei Prozent des Landeshaushalts, um Migranten ein sicheres Leben in der Hauptstadt zu schenken. Bundesweit stehen bis 2020 knapp 100 Milliarden Euro bereit, um auch die Migranten zu alimentieren, die unter der rechtlich umstrittenen Grenzüberschreitung nach Deutschland eingereist sind. Der Bundesinnenminister von der CDU war es, der im Herbst 2015 mündlich angewiesen hat, die Dehnung des Grundgesetzes, Artikel 16a, zu tolerieren. Ein „hoher Beamter der Bundespolizei“ erklärte hierzu in der Welt am Sonntag: „Wer die Grenze aufgibt, kann die innere Sicherheit nicht gewährleisten, der gibt am Ende das Land auf.“

Nationale Kraftanstrengung ohne Debatte  

Laut dem Willen weiter Teile der SPD-Funktionäre (der Grünen, der Linkspartei und der Kirchen sowieso) wird noch zu wenig aufgegeben. Der Familiennachzug soll forciert werden. Deutschland soll mehr Menschen aus Flüchtlingsgebieten mehr Geld geben. Stößt diese nationale Kraftanstrengung für die Unterbringung von Migranten auf ebenso breite Zustimmung im Volk, wie es die Sanierung von Schulen, Straßen, Kindergärten und die Digitalisierung des Landes täte? Man weiß es nicht. Im Bundestag fand dazu keine Debatte, keine Abstimmung statt.

Dennoch lassen Martin Schulz und Andrea Nahles keinen Zweifel daran, dass Sozialdemokratie da sei, wo man den Bedürftigen dieser Erde finanziell aushilft. Und Merkels CDU und Seehofers CSU setzen dem nichts entgegen als Orakel und Glaskugel: Sie „stellen fest, dass die Zuwanderungszahlen (…) die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden“. Dieser Satz aus den Sondierungsergebnissen ist kein politischer, sondern ein totemistischer Satz. Er schließt die Augen vor der Realität, damit diese eine andere werde. Er verweist das Thema, das in der Bevölkerung die größte Relevanz genießt, die Migrationsfrage, in den Rang einer bizarren Spielerei. Das bürgerliche Bedürfnis nach Sicherheit und Recht und Ordnung ist den Regierenden einen Jokus wert. Wer da zuletzt lacht, ist nicht ausgemacht.

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