Greenpeace-Aktion gegen Volkswagen - Schlüsselklau als „Akt der Notwehr“?

Um den Export von neuen VW-Wagen mit Verbrenner-Motor zu verhindern, haben Greenpeace-Aktivisten die Autoschlüssel gestohlen und auf einen Gletscher gebracht. „Eine gewiefte Aktion“ twitterte der NDR – und löschte den Tweet nach Protesten. Strafrechtlich sind die Aktivisten zu weit gegangen.

Um Druck auf VW auszuüben, haben Aktivisten Schlüssel von Neuwagen auf die Zugspitze gebracht / Greenpeace
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Deutschen und der Umwelt- und Klimaschutz, das die Geschichte einer amour fou. In kaum einem anderen Land der Welt wird so viel Geld für Projekte gespendet wie hier. Jedes fünfte  Fördermitglied von Greenpeace sitzt in Deutschland. Die Organisation, die Büros in 45 Ländern unterhält, finanziert ihre Arbeit zu 90 Prozent durch Spenden. Und weil sie gemeinnützig ist, lassen sich Spenden von der Steuer absetzen.

Für Menschen, die etwas Gutes tun wollen, ohne selbst aktiv zu werden, war das bislang ein gutes Geschäftsmodell. Mit den Spenden konnte man sich ein gutes Gewissen kaufen. Die Liste  erfolgreicher Greenpeace-Kampagnen ist lang. Ihre Kampagnen haben dazu geführt, dass Frankreichs Regierung Atomversuche im Pazifik stoppte oder dass keine Ölplattformen im Nordatlantik versenkt wurden (Brent Spar). Ratgeber wie „Essen ohne Gentechnik“ oder „Essen ohne Pestizide“ wurden Bestseller. Obendrein hat Greenpeace die Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz unterstützt.

Greenpeace will nichts von Diebstahl wissen 

In Zukunft sollten sich Anhänger jedoch gut überlegen, ob sie ihr Geld wirklich den Rainbow Warriors spenden. Denn was sich die Aktivisten soeben im niedersächsischen Emden geleistet haben, hat jetzt auch die Polizei auf den Plan gerufen. Tatort war der Verladehafen, wo derzeit 12.000  Neuwagen auf den Export nach Großbritannien, Japan und in die USA warten. Am Mittwoch, so heißt es in einem Polizeibericht, seien 15 Greenpeace-Aktivisten über einen Zaun geklettert, um 300 bis 400 Schlüssel der Neuwagen zu entwenden. Die Polizei ermittelt wegen Hausfriedensbruchs und besonders schweren Diebstahls. Sie schätzt den Schaden auf eine sechsstellige Summe. Volkswagen, so heißt es, müsse deswegen sämtliche Schlösser auswechseln, weil die Fahrzeuge sonst nicht mehr bewegt werden könnten. Kosten pro Wagen: 1.000 Euro.

Von Diebstahl will man bei Greenpeace allerdings nichts wissen. Auf Twitter teilt die Organisation mit, man habe die Schlüsssel „lediglich aus dem Verkehr gezogen“, um sie an einen Ort der „Klimazerstörung“ zu bringen. Und genau dort erreicht man am Freitag auch den Mann telefonisch, der sich diese Kampagne für Greenpeace ausgedacht hat: Benjamin Stephan, promovierter Klimapolitiker und seit 2017 für Greenpeace im Einsatz.

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VW das „das grüne Mäntelchen ausziehen“

Der nördliche Schneeferner ist ein Gletscher in den Bayerischen Alpen, der unterhalb des Zugspitzengipfels liegt. Dort, sagt Stephan hörbar außer Atem, dirigiere er gerade einen Fotografen von dpa. Er soll die orange-farbenen Rucksäcke mit den Schlüsseln fotografieren, die die Aktivisten vor ein VW-Logo drapiert haben, auf dem ein Banner hängt: „Von wegen Klimaschutz“.

Hier, frohlockt Stephan, könne sich  der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess die Schlüssel abholen. Mit der Aktion wolle er Volkswagen „das grüne Mäntelchen“ ausziehen, sagt er Cicero. Obwohl sich Volkswagen als Vorreiter bei Elektro-Autors darstelle, hätten 90 Prozent der Neuwagen einen Verbrenner-Motor. Die 730.000 Autos, die der Konzern 2020 in Emden hergestellt hat, würden 42 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen – so viel wie die gesamte Schweiz. Der Schaden gehe auf Kosten der Allgemeinheit.

Aktion verstößt gegen Strafrecht 

Von einem „Akt der Notwehr“ spricht eine junge Greenpeace-Aktivistin in einem Video, das die Organisation auf Twitter gepostet hat. Nein, man hat sich nicht verhört. Ja, sagt sie, die Aktion sei „drastisch“. Aber das Problem sei es auch. „Die Klimawissenschaft sagt es, weltweite Gerichtsurteile zeigen es: Wir müssen MEHR tun beim Klimaschutz.“ Es könne nicht sein, dass Konzerne einfach Öl verbrauchende Produkte herstellen. Sie runzelt dekorativ die Stirn und senkt verschwörerisch die Stimme: „Das muss aufhören!“ Schließlich gehe es um „unsere Zukunft“ und um die „unserer Kinder und Kindeskinder“.

Ein Mandat zur Rettung der Welt haben die Umweltschützer zwar nicht. Aber das, so glauben sie, brauchen sie auch nicht. Aus ihrer Sicht heiligt der Zweck jedes Mittel. Es ist ein merkwürdiges Rechtsverständnis, was sich da offenbart. Aus Sicht von Strafrechtlern reicht schon die „vorübergehende Aneignung“ für den Straftatbestand des Diebstahls. Greenpeace verletzt also das Gesetz, um maximale Aufmerksamkeit für eine umstrittene Aktion zu erreichen, von der niemand weiß, wen sie ansprechen soll –  außer übergriffige Anhänger von Fridays for Future oder Aktivisten, die schon eine gewisse Übung darin haben, Bäume im Dannenbacher Forst zu besetzen und Polizisten Äpfel auf den Kopf zu werfen.

Aktivisten werden der „Selbstjustiz“ bezichtigt

Oder irrt man sich da? Von einer „gewieften Aktion“ sprach der NDR Niedersachsen, löschte diesen Tweet aber wieder, nachdem die Deutsche Polizeigewerkschaft  (DPolG) Hamburg den Aktivisten „Hochmut, Arroganz und Selbstjustiz“ vorgeworfen hatte und sich auf Twitter abzeichnete, dass die Kritik an der Aktion den Beifall überwog. Später entschuldigte sich der NDR für den Fauxpas. Von einer „unangemessenen Formulierung“ war plötzlich die Rede. Benjamin Stephan von Greenpeace ficht das nicht an. Gegenüber Cicero sagte er, er habe schon einige Strafanzeigen kassiert, die Ermittlungen seien jedoch bislang immer wieder eingestellt worden. „Ich stand noch nie wegen einer Kampagne vor Gericht.“ 

Dass er diesmal wieder glimpflich davonkommt, darf aber bezweifelt werden. Zwar hat die Polizei die Rucksäcke mit den Schlüsseln inzwischen beschlagnahmt. Bei Volkswagen heißt es jedoch, man müsse die Schlösser trotzdem austauschen, da man nicht ausschließen könne, dass die Schlüssel in der Zwischenzeit nachgemacht worden seien. In die Alpen zu fliegen, um sie persönlich abzuholen, das sei nicht in Frage gekommen. Man habe keine Lust auf eine „Schnitzeljagd“.

Sollte man bei Greenpeace tatsächlich geglaubt haben, der VW-Chef krieche auf dem Gletscher für ein schönes PR-Foto reumütig zu Kreuze, so ist dieses Kalkül nicht aufgegangen. Die Organisation muss sich jetzt auf Gegenwind einstellen – nicht nur wegen des gerichtlichen Nachspiels. Auf Twitter kursieren erste Aufrufe, der Organisation kein Geld mehr zu spenden.

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