Gleichstellung in Parlamenten - Wie geht es weiter mit der Paritätsgesetzgebung?

In Thüringen und Brandenburg wurden Paritätsgesetze verabschiedet. Und in beiden Ländern haben sie die jeweiligen Verfassungsgerichte abgeschmettert. Warum die Befürworter weiter für das Gesetz kämpfen und warum sie wieder scheitern werden.

Mit dem aktuellen Grundgesetz bleibt es beim „No“ zum Paritätsgesetz / dpa
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Autoreninfo

Prof. Dr. Wolfgang Hecker war bis Anfang 2018 Professor für Staats- und Verfassungsrecht/Politik an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Er hat zahlreiche Beiträge zu den Themen Politischer Willensbildungsprozess, Demokratie, Parteien und Wahlen veröffentlicht. Aktuell auch mehrere Beiträge zur Verfassungsmäßígkeit der Paritätsgesetzgebung.

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Die Verfassungsgerichte in Thüringen und Brandenburg haben die Paritätsgesetze in beiden Ländern für verfassungswidrig erklärt. Trotz dieser Entscheidungen, denen auch allgemeine Bedeutung für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Projekts der Paritätsgesetzgebung zukommt, wird das Projekt weiter verfolgt.

Silke Laskowski, eine der maßgeblichen Initiatorinnen dieses Projekts hat als Prozessbevollmächtigte im Namen von Beschwerdeführern aus ganz Deutschland eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts Thüringen beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Diese Verfassungsbeschwerde wird damit begründet, dass das Verfassungsgericht Thüringen mit seiner Entscheidung das Grundgesetz und die auch für die Bundesländer geltende Verpflichtung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gemäß Art. 3 Abs. 2 S.2 GG „ausgehebelt“ habe.

Die nächste sichere Niederlage

Dem Projekt der Paritätsgesetzgebung steht mit dieser Verfassungsbeschwerde die nächste sichere Niederlage bevor. Neben den prozessualen Fragen, die es als zweifelhaft erscheinen lassen, dass eine derartige Verfassungsbeschwerde überhaupt zulässig ist, fehlt dieser Verfassungsbeschwerde in der Sache selbst jegliche tragfähige Grundlage. Weder das Verfassungsgericht Thüringen noch das Verfassungsgericht Brandenburg haben das Grundgesetz „ausgehebelt“, sondern gerade umgekehrt der auch die Bundesländer verpflichtenden Gewährleistung der Freiheit der politischen Parteien nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG Geltung verschafft, die mit der Paritätsgesetzgebung in verfassungswidriger Weise beschnitten werden sollte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet Art. 21 GG unmittelbar auch in den Bundesländern rechtliche Wirkung als Bestandteil der Landesverfassung. Die Paritätsgesetzgebung bricht erstmalig mit dem von Art. 21 GG gewährleistetem Prinzip der Staatsunabhängigkeit der politischen Parteien. Die Parteien werden mit der Verpflichtung zur Aufstellung paritätischer Wahllisten vom Gesetzgeber wie ein zur Erfüllung staatlicher Aufgaben verpflichteter Verwaltungsträger instrumentalisiert. Dies kollidiert mit der Programmfreiheit der politischen Parteien und der Freiheit der Selbstbestimmung bei der personellen Aufstellung.

Aufgaben der Parteien

Denn die Parteien sind nach Art. 21 GG keine Aufgabenträger, die der Staat in dieser Weise verpflichten kann, sondern freie, staatsunabhängige gesellschaftliche Organisationen, die die politischen Ziele ihrer Mitglieder und Anhänger vertreten. Nach Auffassung von Silke Laskowski, haben die Parteien demgegenüber „nicht die Aufgabe, die Ansichten ihrer Parteimitglieder zu spiegeln im Parlament. Es geht darum, dass sie die gesellschaftliche Perspektive des Volkes, also der Bürgerrinnen und Bürger in die Parlamente bringen“ (aus „Mehr Frauen in die Parlamente“, vom 27.11.2019).

Diese Darstellung stellt die Rolle der Parteien nach dem Grundgesetz völlig auf den Kopf. Die Parteien sind nach Art. 21 GG von ihrer Mitgliedschaft und ihren Anhängern getragene Organisationen, die darüber in der Gesellschaft verwurzelt sind, aber nicht im rechtlichen Sinne auf die repräsentative Berücksichtigung des Volks bzw. bestimmter Gruppen verpflichtet sind. Die Parteien stehen der gesamten Bevölkerung offen, und können durch Neugründungen zur Schließung von „Repräsentationslücken“ jederzeit ergänzt werden. Sie sind aber gemäß Art. 21 GG stets freie Organisationen, die über ihr Profil und ihre Kandidatenaufstellung zu den Wahlen ohne jegliche staatliche Einmischung selbstbestimmt entscheiden. Dazu zählt auch die Frage, wie die einzelnen Parteien mit der Frage einer Gleichstellung von Frauen und Männern umgehen.

Verkennung der Stellung von Parteien

Die der Paritätsgesetzgebung zugrundeliegende Verkennung der Stellung der Parteien nach dem Grundgesetz ist auch über zahlreiche Medienbeiträge weiterverbreitet worden. In vielen Medienbeiträgen wird der Instrumentalisierung der Parteien durch den Gesetzgeber im Sinne der Paritätsgesetzgebung zugestimmt. So auch in einem Kommentar in der taz zu dem Thema. Anders als „die Kneipe nebenan“ seien Parteien „nicht irgendwelche Gebilde, die völlig autonom vor sich hin wurschteln können“. Als staatliche Akteure müssten sie nach dem Parteiengesetz einen Partizipationsauftrag erfüllen, und die Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, und könnten deshalb auch vom Gesetzgeber zu paritätischen Listen verpflichtetet werden.

Dieses Beispiel belegt, dass eine wichtige Aufgabe für die politische Bildung darin besteht, derart unzutreffende Darstellungen der Rolle der Parteien nach dem Grundgesetz zu thematisieren und zu korrigieren. Die Ursache für die Fehlentwicklung bei dem Projekt der Paritätsgesetzgebung beruht darauf, dass versucht wurde, das Projekt entgegen vieler Warnungen auf einfachgesetzlichem Weg ohne Verfassungsänderung durchzusetzen. Damit sollte eine schnelle Zielerreichung erfolgen, und zugleich die Hürde der für eine Verfassungsänderung erforderlichen qualifizierten Mehrheit umgangen werden, die politisch derzeit und auf absehbare Zukunft nicht erreichbar ist.

Die Träger der Paritätsgesetzgebung, Bündnis/90 Die Grünen, SPD und die Linke sind bei dem Projekt einer einfachgesetzlichen Umsetzung der Paritätsgesetzgebung sehenden Auges in eine selbst gestellte Falle geraten. Dass „ausgerechnet“ NPD und AfD vor den Verfassungsgerichten von Thüringen und Brandenburg Prozesserfolge erzielen konnten, wird von den Trägern und Unterstützern der Paritätsgesetzgebung als ein besonders bedauerliches Signal gesehen (so auch der Deutsche Juristinnenbund).

Warnungen nicht ernstgenommen

Die Warnhinweise, dass genau das die Folge der unreflektiert eingeführten Paritätsgesetzgebung wird, wurden aber nicht hinreichend ernstgenommen. Auch in einer Debatte zur Einführung einer Paritätsgesetzgebung im Landtag von Schleswig-Holstein empörte sich noch Anfang 2019 Ralf Stegner (SPD) über kritische Anmerkungen eines AfD-Vertreters zur Verfassungsmäßigkeit einer Paritätsgesetzgebung mit folgenden Worten: “Von Rechtsextremisten lässt sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands nicht vorhalten, wir machen Vorschläge, die nicht verfassungsgemäß seien“.

Die Fixierung auf die auch von AfD und NPD getragene Kritik an der Paritätsgesetzgebung hat den Blick für die verfassungsrechtlichen Probleme dieser Gesetzgebung deutlich getrübt. So auch in einem Kommentar in der taz: „Sie berufen sich auf das hohe Gut der Parteienfreiheit, in Wahrheit geht es ihnen aber vor allem darum, die Quote unbedingt zu killen, weil es für ihre Männerclubs – in der AfD ist nicht mal jedes fünfte Mitglied weiblich – sonst ziemlich düster aussähe. Paritätische Wahllisten kriegen sie nicht so leicht voll“.

Die Paritätsgesetzgebung wirft ernsthafte Fragen auf, die nicht über derart vereinfachende Feindbilder verdrängt oder abgetan werden können, wie es auch die ebenfalls erfolgten Anträge der Piratenpartei und von Mitgliedern der Jungen Liberalen in Brandenburg belegen, über die noch nicht entschieden wurde. Im Gegensatz zu der aktuellen Debatte in Deutschland, bestand aber in Frankreich, auf das oft als Vorbild für eine Paritätsgesetzgebung verwiesen wird, von Anfang an Klarheit dahingehend, dass es für dieses Projekt einer Verfassungsänderung bedarf.

Vorbild Frankreich

In der politischen Debatte über eine Paritätsgesetzgebung von 1993 bis 1999 ging es deshalb um die Durchsetzung einer derartigen Verfassungsänderung, um damit überhaupt erst die verfassungsrechtliche Grundlage für eine einfachgesetzliche Paritätsgesetzgebung zu schaffen. Es dauerte 6 Jahre, bis die Forderung nach einer Verfassungsänderung 1999 umgesetzt wurde, und daraufhin ein Paritätsgesetz 2001 in Frankreich eingeführt wurde. Die Verfassungsänderung in Frankreich betraf zwei Verfassungsbestimmungen. Art. 1 Abs. 2 der französischen Verfassung schreibt seit der Neuregelung vor, dass das Gesetz „den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und auf Wahl beruhenden Ämtern sowie zu beruflichen und sozialen Verantwortlichkeiten“ fördert. Damit wurde ausdrücklich bestimmt, dass sich der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auch auf Wahlämter und damit auch die Parlamente erstreckt, was in Deutschland weder in den Landesverfassungen noch im Grundgesetz bislang der Fall ist.

In der Debatte in Frankreich bestand aber auch kein Zweifel daran, dass die Paritätsgesetzgebung zu einer grundlegenden Veränderung der Rolle der politischen Parteien führt, die durch die bestehende Verfassung nicht abgedeckt ist. Deshalb wurde Art. 4, der bisher die unbegrenzte Freiheit der politischen Parteien gegenüber dem Staat vorsah, und sie lediglich auf die Grundsätze der nationalen Souveränität und Demokratie verpflichtete, ergänzt. Der ebenfalls 1999 neu eingeführte Absatz 2 des Art. 4 der französischen Verfassung sieht vor, dass die Parteien zur Verwirklichung des Grundsatzes eines gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und auf Wahl beruhenden Ämtern gemäß Art. 1 Abs. 2 unter den gesetzlich bestimmten Bedingungen beitragen.

Auch in Deutschland könnte nur auf der Grundlage einer zuvor erfolgten Änderung des Art. 21 GG eine Paritätsgesetzgebung eingeführt werden. Dies betrifft sowohl rechtspolitische Initiativen auf Bundesebene wie auch auf Landesebene, was in der aktuellen Diskussion noch nicht hinreichend erkannt worden ist. Da eine Verfassungsänderung derzeit und in absehbarer Zukunft nicht umsetzbar ist, besteht die Chance für eine rechtspolitische Debatte zu der Frage, wie die Chancen für eine stärkere Mitwirkung von Frauen in der Politik erhöht werden können. Das Projekt der Paritätsgesetzgebung ist zwar rechtlich auf eine schiefe Bahn geraten, hat aber Schwung in die Debatte über die verstärkte Mitwirkung von Frauen in der Politik und die hier bestehenden Probleme gebracht, die angegangen werden müssen.

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