Blamage für Gesundheitssenatorin Kalayci - Die Mär von der Berliner Impfstoff-Produktion

Auch in Berlin „ruckelt“ es bei der Umsetzung der Impfkampagne. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) verkündete gestern, die Stadt werde eine eigene Impfstoffproduktion aufbauen. Die Berlin Chemie hat das sofort dementiert. Aber wie kam Kalayci dazu?

In Erklärungsnot: Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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In Berlin schlug es ein wie eine Bombe, als Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gestern nachmittag im Berliner Abgeordnetenhaus ankündigte, dass das Berliner Pharmaunternehmen Berlin-Chemie bereit und in der Lage sei, „eine Impfstoffproduktion aufzubauen und auch schnell auszubauen“. Das Unternehmen habe die entsprechenden technologischen und personellen Ressourcen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD ) zeigte sich überrascht von der offensichtlich nicht besprochenen Ankündigung, sprach aber von einer Entwicklung, die Mut mache.

War das nun der heiß ersehnte Befreiungsschlag im Impfchaos, das auch Berlin nicht verschont hat? Würden Bilder von hochbetagten Menschen, die trotz Terminvergabe von den Impfzentren wieder nach Hause geschickt werden mussten, weil kein Impfstoff vorhanden war, bald der Vergangenheit angehören? In ersten Reaktionen war fast so etwas wie eine kleine, euphorische Welle zu spüren. Aber schnell kamen Zweifel auf, zumal unklar blieb, um welchen Impfstoff es sich überhaupt handeln soll und ob es bereits eine Lizenzvereinbarung mit den Patentinhabern BioNTech/Pfizer beziehungsweise Moderna gibt.

Von Impfstoffproduktion war nie die Rede

Am Abend ruderte Müller zurück. Nein, es gehe nicht um die Produktion von Impfstoffen, sondern um die Abfüllung der einzelnen Dosen, was die Auslieferung an die Impfzentren beschleunigen könne, erklärte Müller im rbb. Auch das offensichtlich überraschte Unternehmen meldete sich zu Wort und machte in einer Erklärung deutlich, dass man technologisch nicht in der Lage sei, Impfstoffe herzustellen. Später wurde ergänzt, dass Berlin-Chemie derzeit auch nicht über die Ausstattung für die Abfüllung verfüge.

Die vollmundige Ankündigung der verantwortlichen Senatorin hatte sich also binnen weniger Stunden komplett in Luft ausgelöst. Angesichts der ohnehin großen Verärgerung über die schleppende und chaotisch gemanagte Impfkampagne ein unglaublicher Vorgang. Doch was hat Kalayci bei ihrer Münchhausen-Nummer geritten? Wahlkampf-Fieber oder kompletter Realitätsverlust? Denn „positive und konstruktive Gespräche“ zwischen Berlin-Chemie und Senatsvertretern hat es ja tatsächlich gegeben, wie das Unternehmen bestätigte. Dabei sei es aber um eine „mögliche Unterstützung bei der Aufbereitung von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2“ gegangen, also weder um die Produktion noch um die Abfüllung.

Kalayci ist nicht mehr tragbar

Wie aber kam sie zu der Behauptung? Eine nachvollziehbare Erklärung gibt es dazu bis heute nicht. Natürlich stellt sich jetzt die Frage, ob Kalayci als Gesundheitssenatorin noch tragbar ist. Müller könnte sie entlassen, oder sie könnte von sich aus ihren Rücktritt erklären. Auch könnten die Abgeordneten der rot-rot-grünen Koalition, die diesen ohnehin von einer Panne zur nächsten taumelnden Senat mit ihrer Mehrheit tragen, deutlich machen, dass mit diesem Fauxpas der Senatorin eine rote Linie überschritten wurde  

Sehr wahrscheinlich ist allerdings keines dieser Szenarien. Augen zu und durch bis zur Wahl, das scheint die Devise dieser Chaos-Regierung zu sein. Schließlich ist Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) trotz abenteuerlicher Zick-Zack-Fahrten bei der Öffnung beziehungsweise Schließung von Kitas und Schulen ja auch immer noch im Amt. Was das für das Vertrauen in die Politik im Allgemeinen und die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen im Besonderen bedeutet, scheint diesem Senat mittlerweile egal zu sein. Es ist ein Trauerspiel, mit tragikomischen Elementen. Denn immerhin geht es um die Eindämmung einer trotz derzeit rückläufigen Infektionszahlen immer noch eminent bedrohlichen Pandemie.

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