Generationenwechsel in der CDU - Wer folgt auf Merkel?

Angela Merkel geht aus der Wahl geschwächt hervor. Die CDU steht vor einem Generationen­wechsel, die Weichen werden bald gestellt. Doch wer könnte Merkels Erbe übernehmen?

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Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Favoritin der Kanzlerin sein, wenn es um ihre Nachfolge geht / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Zum Wahlkampf in seiner Heimatstadt ­Ahaus hat sich Jens Spahn schnell eine Trachtenjacke übergeworfen. Eben noch hat der CDU-Politiker vor Unternehmern im schwarzen Anzug die Wirtschaftskompetenz seiner Partei gepriesen, jetzt spitzt er seine Lippen zur Blasmusik und begrüßt den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Bierzelt. „Wir können Oktoberfest und Mittelstand“, verkündet der 37-Jährige vor 600 Anhängern und erklärt das Münsterland zum „Bayern Nordrhein-Westfalens“. Natürlich soll der Gast aus dem Süden an der Basis im Westen konservative Aura verbreiten. Dabei braucht Spahn diese weniger in seinem Wahlkreis – das katholische Münsterland ist seit 1949 fest in der Hand der CDU –, sondern vor allem in den bevorstehenden innerparteilichen Ränkespielen. 

350 Kilometer weiter südlich zieht Annegret Kramp-Karrenbauer zu den Klängen von „The Final Countdown“ ins Bürgerhaus von Heddesheim bei Heidelberg ein. Die 130 Besucher bekommen Kartoffel­suppe serviert, und die saarländische Ministerpräsidentin referiert dazu mit dünner Stimme die Eckpunkte christdemokratischer Politik in Wahlkampfzeiten: Dieselskandal, Bildung, Förderung von Wohneigentum, Schutz vor Einbruchskriminalität, europäischer Grenzschutz. Eine Stimmungskanone ist die 55-Jährige nicht, aber 100 Prozent loyal gegenüber der Bundeskanzlerin. Dementsprechend verabschiedet sie sich mit einem besonderen Argument. Sie verweist auf Putin und Trump, auf Erdogan und Kim Jong-un und stellt dann fest: „Testosteron haben wir genug auf der Welt, deshalb ist es gut, dass Deutschland in den Händen einer Frau bleibt.“

Merkel ist nur noch Kanzlerin und Parteivorsitzende auf Abruf

Jens Spahn oder Annegret Kramp-Karrenbauer. Zwei Wahlkampfauftritte, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zwei CDU-Politiker, deren Namen immer wieder fallen, wenn es um die Merkel-Nachfolge in der CDU und im Kanzleramt geht. Zwei Namen, die jene beiden Lager repräsentieren, die in den nächsten Jahren um die innerparteiliche Macht in der Nach-Merkel-Ära ringen werden. 

An der Nachfolgefrage wird sich auch der Richtungskampf zuspitzen. Zwischen den Merkelianern und jenen, für die die CDU in den vergangenen zwölf Jahren zu sehr nach links gerückt ist und die der Kanzlerin vorwerfen, sie verteidige traditionelle Werte der Partei nur noch als Pflichtübung. Der tiefe Riss, der durch die CDU geht und der im Wahlkampf nur notdürftig gekittet wurde, hat sich zwar vor allem in der Flüchtlingspolitik offenbart. Aber der Dissens zieht sich durch viele Politikfelder, etwa in der Familien- und Gesellschaftspolitik, der Wirtschafts- und der Rentenpolitik und auch Europapolitik.

Pünktlich am Wahlsonntag um 18 Uhr hat das Ringen um die Merkel-Nachfolge in der CDU begonnen. Merkels Versicherung aus dem Wahlkampf, sie wolle die volle Legislaturperiode im Amt bleiben, ist nach der Wahl und nach diesem Wahlergebnis nicht mehr viel wert. Selbst wenn es Merkel gelingt, ein Jamaika-Bündnis zu schmieden, ist sie nur noch eine Kanzlerin und Parteivorsitzende auf Abruf. Viele Christdemokraten werden deshalb schon bald unruhig werden. 

Kein potenzieller Nachfolger in Sicht

Denn um die zweite Reihe in der Partei ist es alles andere als gut bestellt. Eine klare innerparteiliche Hierarchie gibt es hinter Merkel nicht. Sieht man einmal von Finanzminister Wolfgang Schäuble als Grand­seigneur der Partei ab. Aber der ist schon 75 Jahre alt. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hingegen hat wenige Freunde in der CDU, Thomas de Maizière gilt als Bürokrat. Die Regierungserfahrung von Jens Spahn wiederum reduziert sich auf ein paar Jahre als parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium, ein Amt, in dem man vor allem Sekretär ist und den Minister bei repräsentativen Terminen vertritt. Auch die Führungsreserve in den Ländern ist dünn. Von den sechs CDU-Ministerpräsidenten haben nur drei bundespolitische Ambitionen. Zwei davon müssen sich nach ihren überraschenden Wahlsiegen im Frühjahr in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein jedoch erst einmal landespolitisch behaupten: Armin Laschet und Daniel Günther. Bleibt Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie soll zwar die Favoritin der Kanzlerin sein, wenn es um ihre Nachfolge geht, aber bundespolitisch war von Kramp-Karrenbauer in den vergangenen Jahren kaum etwas zu hören. 

Kurzum: Ein Christdemokrat, der das innerparteiliche Gewicht und die politische Erfahrung hätte, seine Partei in die Nach-Merkel-Ära zu führen, ist nicht in Sicht. Alle potenziellen Merkel-Nachfolger in der CDU sind entweder zu alt oder zu unbeliebt, zu unerfahren oder zu jung. Und so gibt es in der Partei zwei Szenarien. Eines für den Fall, dass Merkel ihre Ankündigung wahr macht, sie wolle bei ihrem Rückzug aus der Politik „selbstbestimmt handeln“. Wenn sie zu diesem Zeitpunkt zudem noch die Autorität besitzt, um ihren Nachfolger vorzuschlagen, dann könnte ein Politiker oder eine Politikerin vom Typus Kramp-Karrenbauer zum Zuge kommen. Besitzt Merkel diese Autorität nicht mehr, werden ihre Gegner versuchen, die Partei wieder nach rechts zu rücken, und einen Merkel-Kritiker an die Spitze der Partei wählen, einen Christdemokraten vom Typus Spahn. Auf dieses zweite Szenario werden sie ab sofort hinarbeiten. 

Personelle Weichen werden jetzt gestellt

Gelungen ist dem Kanzlerwahlverein CDU ein harmonischer Generationenwechsel allerdings noch nie. Nicht bei Adenauer und auch nicht bei Erhard, nicht bei Kiesinger und erst recht nicht bei Kohl. Christdemokratische Kanzler wurden entweder aus dem Amt gejagt, und zwar von der Fraktion, oder sie wurden abgewählt. Vor allem Adenauer und Kohl hielten sich noch für unersetzbar, als längst offenbar geworden war, dass sie den Zenit ihrer Popularität überschritten hatten. Auch bei Merkel zeigt die Droge Macht Wirkung, und in ihrem Umfeld wird es immer Einflüsterer geben, die ihr einreden, dass gerade jetzt der falsche Zeitpunkt für einen Rückzug sei. Sei es, weil gerade eine internationale Krise bewältigt werden muss, sei es, weil die Partei gerade in keiner guten Verfassung ist. Oder eben, weil ein unumstrittener Nachfolger nicht bereitsteht. 

Wichtige personelle Weichen für die Ära nach Merkel dürften in der CDU schon bei der Regierungsbildung gestellt werden. Viel Zeit, um ihre Hoffnungsträger in Position zu bringen, bleibt beiden Lagern also nicht mehr. Will Annegret Kramp-Karrenbauer sich ernsthaft für die Merkel-Nachfolge positionieren, wird sie den Sprung von Saarbrücken nach Berlin wagen müssen. Will Jens Spahn mehr sein als ein politisches Talent, wird er sich einen Ministerposten sichern müssen. Sonst werden die Konkurrenten an ihnen vorbeiziehen. 

 

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