Gedenktag zur Auschwitz-Befreiung - Amthors Shitstorm

In einem Interview am Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz äußert sich der CDU-Politiker Philipp Amthor auch über muslimischen Antisemitismus. Das Gespräch wird skandalisiert. Zu recht?

Philipp Amthor im Bundestag / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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In einem langen und lesenswerten Interview mit dem Tagesspiegel hat Josef Schuster am Montag unter anderem das aktuelle gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik beschrieben. Zu Beginn des Gesprächs wurde dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland allerdings die Frage gestellt, was der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz für ihn persönlich bedeute.

Schuster, dessen Großeltern mütterlicherseits in Auschwitz ermordet wurden und die er nie kennengelernt hat, bezeichnet daraufhin den 27. Januar „für mich“ als einen „Tag des Erinnerns an meine Großeltern“. Aber eigentlich bräuchten jüdische Menschen diesen Gedenktag gar nicht; in vielen jüdischen Familien sei die Shoah präsent geblieben, weil Angehörige ausgelöscht wurden. „Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte den Gedenktag trotz allem für wichtig, und zwar für die Gesellschaft insgesamt“, so Josef Schuster. „Die Erinnerung an die Shoah zeigt, wozu Menschen in der Lage sind.“

Instrumente der Geschichtspolitik

Gedenktage sind naturgemäß Instrumente der Geschichtspolitik. Im Falle des Gedenkens an die Befreiung eines Konzentrationslagers, in dem deutlich mehr als eine Million Menschen (der ganz überwiegende Teil davon Juden) systematisch getötet wurden, kann das geschichtspolitische Ziel tatsächlich nur bedeuten: nie wieder! Nie wieder darf eine Gesellschaft zulassen, dass das Schlimmste eintritt, wozu Menschen ganz offensichtlich in der Lage waren und womöglich noch sind. Im Falle von Auschwitz also der industriell organisierte Massenmord.

Wenn dieses „nie wieder!“ kein hohles Ritual sein soll, müssen selbstverständlich im hier und heute aus dem Gedenken auch praktische Folgen erwachsen. Für Schuster entscheidend ist da „die Erinnerungsarbeit in der Schule und der Besuch von authentischen Orten, also den Gedenkstätten“, wobei gerade letzterer „angemessen vor- und nachbereitet werden“ müsste: „Wenn eine Schulklasse von München aus erst kurz in die KZ-Gedenkstätte Dachau fährt, danach die Filmstudios besucht und zwischendurch zu McDonald‘s geht, dann sollte man es lieber lassen.“

Kippa-Warnung für Großstädte

Josef Schuster erinnert in dem Gespräch daran, dass die Partei „Die Rechte“ während des zurückliegenden Europawahlkampfs direkt vor dem jüdischen Gemeindezentrum in Dortmund ein Wahlplakat aufgehängt hatte mit der nicht zufällig an Hitlers Nazi-Jargon erinnernden Aufschrift „Israel ist unser Unglück“ – was von der Justiz als strafrechtlich nicht relevant eingeordnet worden sei. Er kommt auf Alexander Gaulands ebenso entlarvenden wie empörenden Vogelschiss-Vergleich zu sprechen und auf Björn Höckes Forderung einer „180-Grad-Wende“ der deutschen Erinnerungskultur. Und Schuster sagt am Ende des Gesprächs folgenden Satz: „In Berlin und einigen anderen Großstädten in Deutschland würde ich empfehlen, eine Kippa nicht offen zu tragen, sondern lieber eine Basecap darüber zu ziehen. Das wird schon lange so gehandhabt in den jüdischen Gemeinden.“

Der Weg des Interviews beginnt bei der Befreiung von Auschwitz, führt über rechtsextremistischen Antisemitismus, den Anschlag von Halle und die AfD bis hin zu den Straßen Berlins und Pausenhöfen, auf denen das Wort „Jude“ als Beleidigung gilt. Mit anderen Worten: Der Judenhass von heute hat viele Facetten, und woher jener stammt, der sich gegen Kippa-Träger auf den Straßen Berlins und anderer Großstädte manifestiert, darüber kann man spekulieren – oder es sein lassen.

Antisemitismus islamischer Provenienz

Der 27 Jahre alte CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor jedenfalls hat am Montag in einem gut 13-minütigen Gespräch mit dem Fernsehsender ntv auch den Antisemitismus islamischer Provenienz genannt, als er vom Moderator darauf angesprochen wurde, ob sich die Situation in den vergangenen Jahren verschlechtert habe. Der ntv-Journalist nimmt dabei übrigens ausdrücklich Bezug auf Josef Schuster. Dieser habe „gesagt, wäre er vor drei Jahren danach gefragt worden, ob man als Jude in Deutschland sicher leben könne, habe er wahrscheinlich gesagt, ja. Drei Jahre später nicht mehr so richtig. Hat sich da in den letzten drei Jahren wirklich nochmal etwas verändert?“

So lautet die Frage im Wortlaut, auf die Amthor (der zuvor ausgiebig auf die deutsche Verantwortung, notwendige Bildungsarbeit oder den Kampf gegen Rechtsextremismus eingegangen war) schließlich antwortete, man dürfe „nicht vergessen, dass Antisemitismus natürlich vor allem in muslimisch geprägten Kulturkreisen besonders stark vertreten ist.“ Angesichts der Migration der vergangenen Jahre seien „an dieser Stelle natürlich viele Sorgen für die jüdische Bevölkerung da“.

Shitstorm lässt nicht auf sich warten

Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten, der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag etwa twitterte: „Ausgerechnet am Gedenktag für den bürokratisierten, industrialisierten Massenmord Nazi-Deutschlands an sechs Millionen Juden auf so eine Idee zu kommen – das zeigt das ganze Ausmaß des Problems in diesem Land.“ Konstantin von Notz, Bundestagsmitglied der Grünen, ließ verlauten: „Klar, man muss sich genau ansehen, was Amthor gesagt hat. Aber als deutscher Abgeordneter am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bei allem rechtsextremistischen Antisemitismus heute – inklusive dem Anschlag von Halle – Antisemitismus vor allem als ‚muslimisch‘ zu verorten irritiert massiv.“ Derlei mehr.

Philipp Amthor ist inzwischen zurückgerudert, er fühle sich falsch verstanden und hege keinen „Generalverdacht gegen Muslime“. Wer sich das ganze Gespräch auf ntv ansieht, wird ihm rechtgeben müssen. Amthor hat vielmehr sehr ruhig und sachlich hergeleitet, wo er den heutigen Antisemitismus sieht und was seiner Ansicht nach dagegen zu tun sei. Dass der Auschwitz-Gedenktag Anlass für dieses Gespräch war, kann ja nicht ernsthaft der Grund dafür sein, aktuelle Probleme zu verschweigen – zumal, wenn ausdrücklich danach gefragt wird. Es wäre geradezu widersinnig.

Macrons gleichlautende Warnung

Als Emmanuel Macron am Montag die Holocaust-Gedenkstätte in Paris besuchte, sagte er anlässlich der Einweihung einer renovierten Mauer mit den Namen von 76.000 aus Frankreich in Vernichtungslager deportierten Juden übrigens folgendes: Der Antisemitismus trage „das altbekannte Gesicht“ und „neue Masken“ wie den „Hass der Islamisten“ und den „Antizionismus“. Diese Mahnung des französischen Staatspräsidenten sollte sich ein deutscher Politiker anscheinend besser nicht zu eigen machen.

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