G20-Gipfel - Der Staat darf der Gewalt nicht weichen

Kolumne: Grauzone. Hamburg ist nicht aufgrund des G20-Gipfels im Ausnahmezustand, sondern wegen linksradikalen Gewalttätern. Die Regierung hat die Pflicht, internationale politische Großveranstaltungen zu veranstalten. Eine Ergänzung zu Alexander Marguier

Muss der Staat der Gewalt weichen, wenn gewaltbereite Wirrköpfe mit ihr drohen? / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Deutschland im Jahr 2017: Banken empfehlen ihren Mitarbeitern, ihre Anzüge im Schrank zu lassen. Bundeswehrsoldaten sollen keine Uniform tragen. Man will ja schließlich nicht provozieren. Familien aus einschlägigen Stadtvierteln fliehen auf’s Land. Ladenbesitzer werden gezwungen, Plakate mit der Parole „No G20. Spare our store!“ in ihre Fenster zu hängen. Wer diesem Gesinnungsterror nicht folgt oder erst gar kein Plakat bekommt, weil seine Ware politisch nicht erwünscht ist, dessen Laden droht „entglast“ zu werden, wie das dann heißt. Ungefähr 14.000 Polizisten sind im Einsatz.

Und wer ist Schuld an alledem? Was ist die Ursache für diesen Wahnsinn? Verfolgt man die mediale Berichterstattung könnte man zu dem Ergebnis kommen: Der G20-Gipfel ist’s. Es ist bizarr: Liest man die Schlagzeilen der Zeitungen, die Headlines der Onlinedienste und die Kurzmeldungen in Radio und Fernsehen, so könnte man den Eindruck gewinnen, die Regierungschefs selbst und ihre Delegationen würden durchs Schanzenviertel ziehen und mal so richtig Rabatz machen. Verkehrte Welt. 

Kinder von Kleinbürgern spielen Revolution

Daher sei noch einmal daran erinnert: Nein, Hamburg ist nicht aufgrund des G20-Gipfels in einem Ausnahmezustand, wie es Alexander Marguier beschreibt, sondern ausschließlich wegen linksradikalen Gewalttätern. Nicht die Versammlung der Regierungschefs ist die Ursache für das Chaos in der Hansestadt, es sind ideologisch verwirrte Kleinbürgerkinder, die Revolution spielen.

Doch in der deutschen Medienlandschaft verwechselt man mit Hingabe Ursache und Wirkung. Der Tenor der hiesigen Berichterstattung lautet: Die Krawalle in Hamburg finden aufgrund des G20-Gipfels statt. Das verzerrt die Wirklichkeit. Denn der G20-Gipfel könnte auch ganz ohne Straßenschlachten stattfinden. Aber das scheint man zu vergessen.

Getoppt wird diese Gedankenlosigkeit noch durch Experten, die etwa gegenüber der ARD zu Protokoll geben, es sei „grundfalsch“, den Gipfel in Hamburg auszutragen. Zudem „sei jedes Maß verloren gegangen“ – bei der Polizei, wohlgemerkt. Denn die gehe „mit einer massiven Machtdemonstration und Eingriffen einher, die auf Protestierende eindeutig repressiv wirken. Sie fühlen sich drangsaliert und kriminalisiert.“ Aha.

Muss das Recht der Straße gelten?

Was sollen wir aus solchen Hinweisen lernen? Dass der Staat der Gewalt zu weichen hat, wenn eine handvoll gewaltbereiter Wirrköpfe mit ihr drohen? Dass man das Recht der Straße gelten lässt? Dass der Klügere nachgeben soll und man solche Politveranstaltungen besser gleich auf Helgoland verlegt? Dabei ist die Sache im Grunde unendlich einfach: Eine Regierung hat das Recht, im Grunde sogar die Pflicht, internationale politische Großveranstaltungen zu veranstalten. Selbst wenn der Leibhaftige persönlich daran teilnähme.

Natürlich kann man gegen solche Treffen sein. Schließlich kann man gegen so ziemlich alles sein. Man darf auch dagegen demonstrieren. Es gibt aber kein Recht der Welt – weder rechtlich noch moralisch –, das es rechtfertigen würde, solche Veranstaltungen zu behindern oder gar mit massiver Gewalt zu stören. Wer in diesem Zusammenhang für sich eine Art „Widerstandsrecht“ in Kauf nimmt, der, man muss es leider so ausdrücken, leidet unter intellektueller Verwahrlosung.

Ein besonders bedrückendes Beispiel lieferte in dieser Hinsicht der Szenenanwalt Andreas Beuth, der sich nicht entblödete, zu erklären, klar sei doch, wenn eine Demonstration zerschlagen werde, „dass dann marodierende Kleingruppen durch die Stadt ziehen und anfangen die Stadt zu zerlegen“. Nein, gar nichts ist hier klar oder sollte klar sein. Außer dass man es mit Leuten zu tun hat, denen es nicht um Inhalte geht, sondern um narzisstische Selbstdarstellung.

Umso ärgerlicher ist allerdings ein publizistisches und kulturelles Umfeld, dass die Verantwortung für bürgerkriegsähnliche Umstände nicht bei denen sucht, die allein und ausschließlich dafür verantwortlich sind, sondern bei der Politik, den Veranstaltern oder der Polizei.

 „Welcome to Hell“ als friedliche Demonstration?

In der besten aller möglichen Welten sollte es eigentlich möglich sein, Veranstaltungen wie den G20-Gipfel ohne Polizeischutz stattfinden zu lassen. Doch bekanntermaßen leben wir nicht in der besten aller möglichen Welten, sondern eher in der drittklassigen Ausgabe. In dieser regiert Wahnsinn, Selbstüberschätzung, Dummheit und Gewaltlust. Das bedeutet aber nicht, dass man für diese Mangelerscheinung Verständnis aufbringen muss – und sei es durch die Hintertür.

Wer in einem Zustand der Dauerpubertät „Shut down Capitalism“ proklamiert und eine „friedliche“ Demonstration unter das poetische Motto „Welcome to Hell“ stellt, signalisiert worum es ihm geht. Seine demokratischen Rechte hat er damit verwirkt. Wem das nicht einleuchtet, der stelle sich nur einmal vor, die Exzesse in Hamburg stünden unter anderen politischen Vorzeichen und neonazistische Kameradschaften würden ganze Stadtviertel tyrannisieren (die Parolen müssten man im Übrigen nicht einmal ändern). Wie würde dann berichtet? Und wo ständen dann diejenigen, die heute wohlfeile Deeskalationsstrategien empfehlen?

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