Führungsvakuum bei der CDU - Verzweifelte Appelle

Nach der personalpolitischen Corona-Pause ist weiterhin völlig offen, wer die CDU künftig anführen soll und mit welchem Kanzlerkandidaten die nächste Bundestagswahl bestritten wird. Die Nervosität in der Partei steigt, inzwischen wird schon öffentlich Geschlossenheit eingefordert. Die Krise der Union ist längst nicht überwunden.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier etwa sorgte jüngst für Hellhörigkeit bei den CDU-Astrologen / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn die Lage unklar, man könnte auch sagen schmerzhaft ist, werden selbst minder relevante Begebenheiten als ernstzunehmende Anzeichen gedeutet. Zu Zeiten der Sowjetunion gab es sogar eine eigene Bezeichnung für jene, die aus bestimmten Verhaltensweisen oder Formulierungen von Mitgliedern des Zentralkomitees Rückschlüsse auf die tatsächlichen Machtverhältnisse zogen: Kreml-Astrologen. Nun ist die Christlich Demokratische Union zwar schwerlich mit der KPdSU unter Leonid Breschnew vergleichbar, aber inzwischen hat sich wegen des andauernden Machtvakuums auch hier ein neues Berufsbild ausgeformt – jenes des CDU-Astrologen.

Söder stellt Laschet-Biografie vor

Was also wollen uns die Sterne damit bedeuten, dass Armin Laschets Heimatstadt Aachen vergangenes Wochenende an eine OB-Kandidatin der Grünen gefallen ist? Geht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident dadurch geschwächt in die immer näher heranrückende Wahl des CDU-Vorsitzenden? Und wird dieser Makel womöglich dadurch wieder wettgemacht, wenn Markus Söder an diesem Mittwoch die jüngst erschienene Laschet-Biografie mit dem vielsagenden Titel „Der Machtmenschliche“ in Berlin präsentiert? Ist diese Geste womöglich gleichzusetzen mit einer Empfehlung des bayerischen Alleinherrschers zugunsten einer Kanzlerkandidatur seines Amtskollegen aus NRW? Fragen über Fragen.

Die Sterne stehen schlecht

Doch Polit-Astrologie hilft da nicht weiter, weil die CDU selbst schlicht ratlos ist, wie es jetzt weitergehen soll. Fakt ist lediglich, dass Angela Merkel demnächst nicht mehr zur Verfügung steht – und dann halt irgendjemand anderes aus der Union den Job der dann 16 Jahre waltenden Regierungschefin übernehmen muss (es sei denn, den Grünen gelingt auch im Bund ein Durchmarsch wie jetzt in den nordrhein-westfälischen Kommunen). Über Söder ist bekannt, dass er sich zumindest geschmeichelt fühlt, wenn er in den Umfragen als Kanzlerkandidat der Herzen gehandelt wird – während gleichzeitig in Sachen Parteivorsitz immer noch Friedrich Merz die Charts bei den CDU-Mitgliedern anführt. Und Norbert Röttgen sich wohl vorstellen könnte, als erster CDU-Chef ohne Kanzlerambitionen ins Rennen zu gehen. Mit anderen Worten: Für die Machtmaschine der Unionsparteien stehen die Sterne nicht besonders gut.

Kopfschütteln wegen Bouffier

Sie stehen sogar derart schlecht, dass jetzt ein paar namhafte CDU-Funktionäre verzweifelte bis flehentliche Appelle an die Kandidaten für den Parteivorsitzenden-Posten sowie an den bayerischen Kanzlerkandidaten der Reserve gerichtet haben. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier etwa sorgte am Wochenende für Hellhörigkeit bei den CDU-Astrologen, als er sich bei einem Interview mit der Fuldaer Zeitung dafür aussprach, den gemeinsamen Kanzlerkandidaten noch vor der Vorsitzendenwahl am 4. Dezember zu küren. Offenbar war dieser Vorstoß innerhalb seiner Partei nicht abgestimmt, was zum einen vielerlei Kopfschütteln ausgelöst hat. Und zum anderen die Frage aufbrachte, welchen Zweck Bouffier mit dieser Äußerung wohl verfolgt haben mag.

Parteiinterne Disziplinierung

Manche Sterndeuter sagen, er habe einfach nur eine Art Worst-Case-Szenario ausmalen wollen, um parteiintern für mehr Disziplin zu sorgen. Denn nach derzeitigem Umfragestand müsste der Ad-Hoc-Kanzlerkandidat wie gesagt Markus Söder heißen, was wiederum den CDU-Vorsitz für jemanden wie Friedrich Merz unattraktiv machen würde, dem es ja erkennbar nur ums Regierungsamt geht. Aber Söder sieht seinen Platz eigenen Aussagen zufolge ja in Bayern, und er wird von dieser Lebensplanung innerhalb der nächsten zwei Monate auch kaum abweichen. Also eher ein Kanzlerkandidat Laschet, verbunden mit dem Risiko, dass am 4. Dezember dann doch Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wird? Oder umgekehrt?

Die Nervosität steigt

Solch unausgegorene Strategiespiele machen nur allzu deutlich, wie wenig es der CDU gelungen ist, die personalpolitische Corona-Pause der vergangenen Monate zur Klärung der alles entscheidenden Frage zu nutzen: Wer soll uns in die nächste Bundestagswahl führen? Dass man sich nicht mehr damit herausreden kann, die Bundesbürger hätten wegen der Pandemie überhaupt kein Interesse daran, wer denn nun Parteivorsitzender oder Kanzlerkandidat werden wird, ist inzwischen allen Beteiligten klar. Deswegen steigt die Nervosität von Tag zu Tag.

Was sich auch in einer Bemerkung zeigt, die der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus dieser Tage gegenüber Zeit Online abgab: „Andere Parteien definieren sich über Flügel und deren Streitigkeiten. Die Union trägt das Gemeinsame schon im Namen“, so Brinkhaus. Und weiter: „Wir wollen Einigkeit, gerade in der Krise. Denn es geht um Deutschland, nicht um Parteien oder einzelne Egos.“ Diese Sätze können nur bedeuten, dass zwei der drei Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz doch jetzt bittschön ihre Ambitionen aufgeben mögen (aus Sicht von Brinkhaus dürfte es sich dabei um die Herren Merz und Röttgen handeln).

Merz und Röttgen sollen aufgeben

Das Problem ist nur: Es wird sich keiner der Gemeinten daran halten. Und genau darin zeigt sich eben die Verzweiflung der CDU. Wenn dem Vorsitzenden des einstigen Machtfaktors namens Unionsfraktion nichts Besseres mehr übrig bleibt, als vor aller Öffentlichkeit verzweifelte Appelle an eigene Parteifreunde zu richten, dann muss die Situation tatsächlich außer Kontrolle geraten sein. Und es braucht keine astrologischen Fähigkeiten um zu ahnen, dass die Wähler am Ende so nicht zu begeistern sind.
 

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