Führungswechsel bei der CDU - Kretschmer sollte es machen

Nach dem angekündigten Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers von der CDU-Spitze stellt sich erneut die Führungsfrage. Ein Kandidat würde den Generationenwechsel glaubhaft verkörpern: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der 44-Jährige kann kämpfen und verfügt darüber hinaus über einen klaren Kompass.

Michael Kretschmer im sächsischen Landtag/picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es scheinen gerade die Tage der uneigentlichen Rücktritte zu sein: Thüringens Überraschungs-Ministerpräsident Thomas Kemmerich tritt zurück, um vorläufig im Amt zu bleiben, der thüringische CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring hält es ebenso. Und jetzt noch Annegret Kramp-Karrenbauer. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass sie vorerst Parteivorsitzende bleibt, denn anders als Andrea Nahles von der SPD hat AKK nicht Knall auf Fall die Brocken hingeschmissen, um sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. Aber ein bisschen seltsam mutet es schon an, wenn sie in Aussicht stellt, bis zum nächsten (regulären) CDU-Bundesparteitag im Amt zu bleiben. Der findet nämlich erst nächsten Dezember in Stuttgart statt.

Nächste Personalentscheidung ist schicksalhaft

Es ist kaum vorstellbar, dass die CDU in der tiefsten Krise ihrer Geschichte mehr als ein Dreivierteljahr lang führungslos vor sich hin taumelt. Es war ja AKK selbst, die am Montagnachmittag bei ihrer Verzichtserklärung sagte, das Problem ihrer CDU sei das aus einer Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft resultierende Machtvakuum. Eine Vorsitzende aber, von der klar ist, dass sie nicht nur auf ihre Ambitionen als Kanzlerkandidatin verzichtet, sondern ohnehin nur noch interimistisch im Amt ist, wird die Fliehkräfte eher noch verstärken. Deswegen müssen die Dinge eigentlich schneller geklärt werden. Doch „die Dinge“ sind eben extrem kompliziert. Denn die nächste Entscheidung über die Person an der Spitze der CDU wird schicksalhaft für die Zukunft der Partei sein.

Der tiefe Riss, der durch die CDU geht und von Spaltern aus der sogenannten Werte-Union genauso vertieft wird wie von vermeintlich Progressiven in der Art eines Daniel Günther oder eines in die Jahre gekommenen Twitter-Königs und ehemaligen CDU-Generalsekretärs hat inzwischen existenzgefährdende Ausmaße angenommen. Das Gift der sozialen Medien wirkt auch hier; womöglich sind Twitter oder Facebook die eigentlichen Sargnägel für Volksparteien, die es früher noch vermochten, diverse Interessen verschiedener Wählermilieus unter einem gemeinsamen Dach zu integrieren. Inzwischen bestimmen dank Social Media auch innerhalb der CDU die Extremisten an den Parteiflügeln den Ton der Debatte. Die Union ist damit nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Laschet und Merz wären die falschen Kandidaten

Es ist also wahrlich eine Herkulesaufgabe, die da auf den nächsten Parteivorsitzenden (und möglichen Kanzlerkandidaten) zukommt. Denn dass es ein Mann werden wird, scheint nach Kramp-Karrenbauers Ausscheiden aus dem Rennen mehr als wahrscheinlich. Jetzt werden also wieder die üblichen Verdächtigen genannt werden. Als da wären Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn. Nach derzeitiger Lage der Dinge wären aber mindestens zwei von ihnen die exakt falschen Kandidaten – nämlich Merz und Laschet. Denn tatsächlich sind sie beide die Repräsentanten jeweils eines Parteiflügels: Merz als erbitterter Gegner des Merkelschen Links-Kurses; Laschet als überzeugter Beliebigkeits-Merkelianer mit dem stets feuchten Zeigefinger im Wind des Zeitgeists. Keiner dieser zwei besitzt erkennbar die Integrität und das politische Format, um die CDU wieder halbwegs zu befrieden.

Bei Jens Spahn sieht die Sache schon anders aus – und er hat durch seine zurückliegende Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz bereits unmissverständlich klargemacht, dass auch er sich (wie Friedrich Merz) den Job zutraut. Nur sahen das die Delegierten auf dem Hamburger Parteitag im Dezember 2018 bekanntlich ein bisschen anders: Knapp 16 Prozent gab es für Spahn im ersten Wahlgang. Das ist keine sonderlich verheißungsvolle Basis für einen neuen Anlauf. Wenngleich Jens Spahn (39) immerhin etwas verkörpert, das Armin Laschet (58) und Friedrich Merz (64) gleichermaßen abgeht: jugendlichen Aufbruchwillen.

Tiefe Sehnsucht nach Verjüngung

Tatsächlich herrscht bei vielen deutschen Wählern eine tiefe Sehnsucht nach einer deutlichen Verjüngung der politischen Führung. In Europa schickt sich gerade eine neue Generation von Politikern an, nicht nur ihre jeweiligen Heimatländer, sondern auch die erlahmte EU mit neuen Ideen und einem neuen Politikstil zukunftsfähig zu machen – von Sebastian Kurz in Österreich über Emmanuel Macron in Frankreich bis hin zu Pedro Sánchez in Spanien. Solche Persönlichkeiten wecken ganz offensichtlich Hoffnungen weit über die Grenzen ihrer eigenen Parteien hinaus. Und wo, wenn nicht in der von den bleiernen Merkel-Jahren zermürbten Bundesrepublik wäre eine politische Frischzellenkur ebenso dringend notwendig?

Wenn die CDU also halbwegs bei Trost ist, wird sie jetzt die Gelegenheit nutzen, um einen klaren Generationenwechsel an ihrer Spitze in die Wege zu leiten. Und auf einen Vertreter der neuen Generation sollte man da besonders achten: Michael Kretschmer, 44 Jahre alt, Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. Kretschmer ist unlängst das Kunststück gelungen, mit einem höchst engagierten Wahlkampf sein Regierungsamt in einem Bundesland zu verteidigen, wo eigentlich nur noch die AfD auftrumpft: Bei der Landtagswahl im vergangenen September holte die CDU in Sachsen 32,1 Prozent der Stimmen. Angesichts des schwierigen politischen Umfelds ein mehr als bemerkenswerter Achtungserfolg.

Politisches Geschick und klare Kante

Michael Kretschmer verkörpert nicht nur das, was man einen modernen Konservativen nennen könnte. Er weiß auch genau, wie der Osten tickt – und biedert sich trotzdem nicht der AfD an, wie es manche CDU-Leute in Thüringen oder in Sachsen-Anhalt so gern tun würden. Erfolg, Fleiß, klare Kante, politisches Geschick und ein gesunder Pragmatismus: Es sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, die Kretschmer mitbringen würde, um die CDU in die Zukunft zu führen. Außerdem wird man ihn weder als treuen Merkelianer noch als verbiesterten Merkel-Hasser abstempeln können. Und jung genug ist er auch. Oder spricht irgendetwas gegen ihn?

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