Fridays for Future - „Es ist krass hart, zuversichtlich zu bleiben“

Nach monatelangen Onlineprotesten hat Fridays for Future den Klimastreik auf der Straße fortgesetzt. Die Bewegung ist jetzt leiser, aber nicht weniger entschlossen. Mit Luisa Neubauer hat sie eine Galionsfigur, die weiß, wie man die Medien bedienen muss. Aber wo wollen die Aktivisten jetzt hin?

Waren am Freitag zum ersten Mal seit der Pandemie wieder auf der Straße: Fridays for Future / dpa
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Autoreninfo

Johanna Jürgens hospitiert bei Cicero. Sie studiert Publizistik und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Zuvor arbeitete sie als Redaktionsassistenz beim Inforadio des RBB.

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Pünktlich zum Beginn der Mahnwache am Platz des 18. März klart der Himmel über Berlin auf. Die Menschen, die es an diesem Freitag zum globalen Klimastreik von Fridays for Future auf die Straße treibt, fühlen sich trotzdem im Regen stehen gelassen. Nach wie vor ist ihr Ziel eine Politik, die die globale Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius begrenzt. Es ist das erste Mal seit Ausbruch der Corona-Pandemie, dass die Bewegung wieder analog demonstriert – mit Masken und Hygieneabständen. Es sind die üblichen Verdächtigen: Schülerinnen und Schüler, „Omas gegen rechts“, Eltern, die mit ihren Kindern und für ihre Kinder auf die Straße gehen, Punks sowie Ökos in Multifunktionsjacke. 

Doch ist mit dem ersten globalen Klimastreik wirklich alles wieder so wie vor der Pandemie? Oder haben die vergangenen Monate die Fridays for Future-Bewegung verändert?

Klimastreik via Livestream

Hannah steht alleine da. Sie hat gerade Abi gemacht. Blonder Zopf, ein Rucksack auf den Schultern. Auf einer weißen Markierung auf dem Asphalt, die die Mindestabstände sichern soll, wippt sie im Takt der Musik, mit der die Organisatoren des Berliner Klimastreiks Stimmung machen wollen. Als alle Protestierenden gleichzeitig einen Schlachtruf brüllen, hält sie ihr Handy in die Luft und filmt. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Ob sie mitsingt, ist nur schwer erkennbar – wie alle anderen Teilnehmer trägt auch sie eine Maske. Der Mund-Nasen-Schutz verhindert Infektionen, wirklich ansteckend ist nun allerdings auch die Stimmung nicht mehr.

Hannah wollte eigentlich mit ihren Freunden kommen. Doch weil die Sorge vor einer möglichen Ansteckung noch groß ist, sind die lieber zuhause geblieben. Sie verfolgen den Klimastreik online, Hannah schickt ihnen fleißig Videos. Auch nach dem Ende strenger Kontaktbeschränkungen findet der Protest noch immer zumindest teilweise im digitalen Raum statt. Das zeigt sich auch auf der Straße: Nahmen im vergangenen Jahr noch Hunderttausende am Berliner Klimastreik teil, waren für die Veranstaltung am Brandenburger Tor an diesem Freitag nur noch 10.000 Leute angemeldet, jeweils 4.000 nahmen an zwei Fahrraddemos teil, die zeitgleich stattfanden.

An Erfolge anknüpfen 

Für Hannah ist es trotzdem wichtig, auf die Straße zu gehen, wenn auch ohne Begleitung: „Wir müssen alles geben, um an das anzuknüpfen, was wir im letzten Jahr geschafft haben. Natürlich hat Corona bei vielen die Prioritäten verschoben, das ist ja klar. Aber der Klimawandel ist nicht weniger bedrohlich.“

Die Fridays for Future Bewegung steht vor einer neuen Herausforderung, sie muss zwei Krisen miteinander verknüpfen. Die Pandemie und der Rattenschwanz, den sie nach sich zieht, versetzt nicht wenige in existenzielle Ängste, während der Klimawandel und dessen Konsequenzen für viele noch in weiter Ferne scheint.

Zwei Krisen, die sich ähneln

Erfordert die Corona-Krise also einen Strategiewechsel für Fridays for Future? Moritz und seine Freunde, allesamt Studenten an der Freien Universität Berlin, finden schon. Für sie geht es jetzt mehr denn je darum, aufzuzeigen, wie schnell es zu spät sein kann. Die Erfahrungen aus der Pandemie könnten dabei helfen, hoffen sie. 

Auf ihren Schildern steht „Treat every crisis as a crisis“ und „Klimawandel – so akut wie Corona“. Die vergangenen Monate hätten vor allem gezeigt, was möglich ist, wenn der Wille da ist. „Corona und der Klimawandel sind gar nicht so unterschiedlich, und trotzdem reagieren wir nur bei einem Problem“, sagt einer, während er sein Pappschild repariert. „Ja genau“, pflichtet sein Kommilitone ihm bei. „Das Virus hat zuerst die getroffen, die eh schon sozial schwach sind. Das ist bei der Klimakrise nicht anders. Wir verursachen die zwar, kriegen aber als letzte die Konsequenzen zu spüren. Eigentlich sollten wir aus den letzten Monaten lernen und es jetzt besser machen.“ 

Einer bindet noch seine Schnürsenkel, dann müssen sie los. „AnnenMayKantereit spielt gleich auf der Hauptbühne.“

Leiser, aber nicht weniger entschlossen

Die Kölner Band ist jedoch nicht der einzige Star des späten Vormittags, auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer tritt auf. Sie trägt eine Maske mit dem Motto der Bewegung: „Kein Grad weiter.“ Neubauer wirkt gestresst. Auf kritische Fragen von Journalisten reagiert sie schnippisch. Der Medienrummel hat sie dünnhäutig gemacht. Auch das ist eine Erfahrung der vergangenen Monate. Die Bewegung hat pausiert, aber für Luisa Neubauer ging der Rummel weiter. Hier eine Talkshow, dort ein Interview. In Zeiten des Lockdowns wurden die sozialen Netzwerke für viele Klimaaktivisten zur Bühne. Über 171 000 Instagram-Follower sitzen bei Neubauer in der ersten Reihe. 

Ihre Ansprache in Berlin ist rhetorisch einwandfrei, sie wimmelt nur so von Anaphern und Analogien, eine Klimax jagt die nächste – der Applaus zum Schluss fällt allerdings verhältnismäßig bescheiden aus. Auf einen Satz können sich, der Lautstärke nach zu urteilen, jedoch alle Teilnehmer einigen: „Es ist krass hart, zuversichtlich zu bleiben in dieser 1,3 Grad wärmeren Welt.“

Die Bewegung hat Federn gelassen  

Fridays for Future ist an diesem Freitag leiser, aber nicht weniger entschlossen. Die Bewegung hat Federn gelassen, doch das ist kein Wunder: Schulstreik ohne Schule, Demo ohne Massen, eine andere Krise dominiert die Debatte – den Aktivisten fehlte in den vergangenen Monaten jegliche Grundlage. 

„Corona hat natürlich alles verändert, kann man sagen. Das ist auch für eine Protestbewegung, die vor allem Massen auf der Straße organisiert, plötzlich eine ganz andere Situation“, sagt Neubauer dem Cicero. Die Radikalität der Bundesregierung im Umgang mit der Pandemie stelle jedoch keine höheren Erwartungen an die Klimapolitik:  „Wir fordern eine Umsetzung von Paris, das ist unveränderbar.“ Der Appell an die Bundesregierung: Zur Bundestagswahl 2021 sollten alle „demokratischen Parteien“ einen „1,5 Grad-Plan“ haben. 

Die Bewegung wird intersektionaler 

Der Tenor ist derselbe wie noch vor einem halben Jahr, und doch scheint es, als hätten die Ereignisse der vergangenen Monate neue Schwerpunkte gesetzt. Auf der Agenda steht nicht mehr „nur“ das Klima, es geht viel um soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Auch an Fridays for Future sei der Tod von George Floyd nicht spurlos vorbei gegangen, man habe als politische Bewegung jedoch viel zu spät reagiert, räumt ein Sprecher ein. Die Klimakrise treffe – global gesehen – vor allem diejenigen, die am wenigsten dafür verantwortlich seien, auch das sei Rassismus. 

Dieser Freitag hat gezeigt, dass die Bewegung dazu gelernt hat. Man könnte sogar sagen, sie ist erwachsener geworden. Dieses Jahr hat einmal mehr verdeutlicht, dass alles mit allem zusammenhängt, das Bühnenprogramm des ersten Klimastreiks seit der Pandemie spiegelt das wieder. Nach Klimaaktivisten, Rassismus-Experten und Wissenschaftlern kommt auch eine Krankenpflegerin zu Wort. Ihre Botschaft: „Nur eine gute Klima- und Sozialpolitik sorgen dafür, dass ich irgendwann weniger zu tun habe.“

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