Fridays For Future - Im Kinderland

Die Grünen stilisieren die Klimakämpferin Greta Thunberg zur Heiligen. Die Kanzlerin lobt die streikenden Schüler. Nur was, fragt man sich, hat sie gehindert, die Probleme mit kühlem Verstand längst selbst anzupacken?

Erschienen in Ausgabe
Nicht nur das Klima wird heißer, sondern auch die Debatten - zulasten des kühlen Verstandes / picture alliance
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Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Was ist das, wenn die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag eine schwedische Klimakämpferin mit dem Propheten Amos vergleicht? Einem Mann, der im achten Jahrhundert vor Christus soziale Missstände als Gottesfrevel geißelte, also als schwere Sünde? Es ist Kitsch.

Katrin Göring-Eckardt nutzte eine Kanzelrede in der evangelischen Duisburger Salvatorkirche, um die Schülerbewegung Fridays for Future zum „Wunder des Engagements“ zu überhöhen – und deren Initiatorin Greta Thunberg zur Heilsbringerin. Für die bekennende Protestantin und Grüne ist Klimagerechtigkeit „mehr als eine Utopie“. Was ist mehr als eine Utopie? Katrin Göring-Eckardt weiß sogar, wie diese Überutopie zu verwirklichen wäre: Indem „wir aufhören, eine Weltwirtschaft zu unterstützen, die Millionen Menschen zu Arbeitssklaven macht“.

Kindermund tut Wahrheit kund?

Die Lutherin fordert damit, was die Schüler bereits in hellen Scharen tun: Sie verweigern jeden Freitag das für sie reservierte Mittun in dieser schändlichen Ordnung: Sie schwänzen die Schule. Das aber ist, wie Greta Thunberg im Duktus eines Winston Churchill vorträgt: „erst der Anfang vom Anfang“. Die soeben mit der Goldenen Kamera Geehrte beschwor ein enthusiasmiertes Berliner Publikum: „Wir stehen jetzt am Scheideweg der Geschichte.“ Redet so eine 16-Jährige?

Wer flüstert Greta das ein? Ihr Vater? Wer ist der Vater der Gebenedeiten? Für jede neue Generation ist die Jugendzeit die Stunde null. Von dieser Stunde an entsteht ihre Welt – eine Gegenwelt zur verdorbenen Wirklichkeit all jener, die sich hienieden schon länger herumtreiben. Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Die Wahrheit der achtjährigen Nella aus Berlin-Charlottenburg lautet: „Ich esse weniger Fleisch, seit ich das erste Mal auf der Demo war. Jetzt möchte ich, dass auch die Politik mehr tut.“

Merkel schwärmt

Der sanft-geschmeidige Grünen-Vorsitzende Robert Habeck weiß, wie Nella zufriedengestellt werden könnte: „Es wäre ganz leicht, den Streik zu beenden, wenn die Politik die Forderungen erfüllen würde.“ Hat auch Habeck die Schule geschwänzt? Oder ist er einfach ein glücklicher Narr? Die Süddeutsche Zeitung wirbt für einen noch direkteren Weg zur Rettung des Globus: durch die Jugendlichen selbst. Das Blatt fordert auf Seite eins Wahlalter 16 und „Kinder an die Macht“.

Und was meint die mächtigste Frau der Welt zum aktuellen Kinderzug? Angela Merkel schwärmt: „Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen. Ich glaube, dass das eine sehr gute Initiative ist.“ Dann wendet sie sich direkt an Gretas Gefolge: „Dass ihr uns Dampf macht, ist für uns gut.“ Das immerhin hat die Jugendbewegung 2019 bereits bewirkt: den Offenbarungseid der Klimakanzlerin. Seit 13 Jahren ist sie als Matriarchin maßgebend. Nun gibt sie die Dienerin und bittet: Macht mir Dampf. Die Antipolitik hat ihren Höhepunkt erreicht.

Die heilige Greta

Die Politik dagegen befindet sich auf dem Tiefpunkt: Sie kapituliert vor Kindern. Das Ganze genießt den Segen der Regierungschefin. Fatal folgerichtig: Merkel selbst betreibt die Entpolitisierung des Landes seit Jahren mit taktischem Geschick als Strategie des persönlichen Machterhalts. Jetzt erfüllt frisch geschlüpfte Jugend die Sehnsucht aller Wohlgesinnten: Sie dürfen Ja sagen, Hand in Hand mit dem Nachbarn, privates Wohlgefühl statt politischem Unwohlsein, Kindermund im Kinderland. Und dazu das Geschenk: das Gretchen. Oh Augenblick, verweile!

So ist es denn Katrin Göring-Eckardt zu verstehen, wenn sie ihr Hosianna anstimmt. Auch hat sie Übung im Umgang mit verheißungsvollen Präsenten. 2016 bejubelte sie den Migrantenzustrom: „Man hat uns Menschen geschenkt.“ Und sie verhieß, das Land werde sich ändern, „und zwar drastisch (…), ich freue mich drauf (…), weil ich schon mal eine friedliche Revolution erlebt habe. Dieses hier könnte die sein, die unser Land besser macht.“ In diesen Worten steckt alles, was die deutsche Denkkultur so fragwürdig erscheinen lässt: Idealismus, Romantik, Revolution – Moral. Gestern für Deutschland, heute für die ganze Welt.

Wo bleibt der kühle Verstand?

Wie wär’s im Gegensatz dazu mit Politik? Kein leichtes Unterfangen. Denn sogar Gesetze werden derzeit mit moralischen Schleifchen geschmückt: das „Gute-Kita-Gesetz“, die „Respekt-Rente“ – ein Schuft, wer da noch Böses oder anders denkt.  Politik sachlich – das war gestern. Zerknirscht meint dazu FDP-Chef Christian Lindner: „In Deutschland sind momentan edle Motive wichtiger als reale Problemlösungen. Es wird da moralisiert, wo Management oder Technik gefragt wären.“

In der Tat, nur konkrete Maßnahmen, technisch wie wirtschaftlich, können verhindern, was sonst mit wissenschaftlich erhobener Wahrscheinlichkeit bevorsteht: das Kippen des Klimas. Allerdings fragt Gretas grüne Garde zu Recht: Hatte die Politik nicht alle Zeit der Welt, dieses Wissen in wirtschaftliche und technische Abwehrmaßnahmen umzusetzen? Vor allem in Deutschland, dieser frühen Umweltnation?

Was hat die Parteien daran gehindert, das heiße Thema mit kühlem Verstand in politisches Handeln zu verwandeln? Es waren der sukzessive Abschied der Politik aus der Politik, das Herunterdimmen der politischen Kultur, die heillose Moralisierung der Debatte! Übrig bleibt Kindermoral – rührend, entzückend, kinderleicht zu kapieren. Und die Politik ist hingerissen. Müsste sie nicht erschrocken sein?


Dies ist ein Artikel aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.









 

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