Fridays For Future - Revolte statt Politik

Deutschland hat wieder eine Jugendbewegung, inspiriert von Greta Thunberg. Wohlstandskinder rechnen mit ihren Eltern ab. Die Politik agiert atemlos, dabei müsste sie eigentlich mit kühlem Kopf regieren

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Die Heldin der momentanen Jugendbewegung: Greta Thunberg / picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Das Tollste an ihm ist die Tolle, blau gefärbt, fixiert und hochgebürstet: Rezo, der Influencer, den man gegen Geld dingen kann, der aber nicht gedungen gewesen sein soll, als er der CDU auf Youtube eine Stunde lang die Leviten las. Selbstverständlich gilt auch in seinem Fall die Unschuldsvermutung. 

Der Spiegel klassifiziert den Webvideo-Produzenten als Revoluzzer. Das Politmagazin widmete Rezo, dem „Rezoluzzer“ das Titelbild seines ersten Junihefts, auf dem er – umrahmt von Seinesgleichen – der Gesellschaft strahlend selbstbewusst mit Umsturz droht. 

Wo der Spiegel ist, ist der Stern nicht fern: Das Unterhaltungsmagazin präsentierte Rezo ebenfalls auf dem Titel, gleichermaßen sekundiert von einer Mitstreiterin, der „Fridays for Future“-Kämpferin Luisa Neubauer sowie Grünen-Chef Robert Habeck. Letzterer, wie es sich für hippe Verantwortungsträger ziemt, jugendlich-väterlich angegraut. Schließlich darf er in keinem Medium fehlen – keinen Tag, bis zu den Wahlen. Das Stern-Titel-Ensemble wiederum provozierte den Spiegel zum Gegenschlag. Mit wem? Na, mit wem schon: mit Juso-Chef Kevin Kühnert! Kevin the Kid – der Klassiker unter den neuen Revoluzzern, die dem Land gerade zeigen, wo es langgeht.

Die Helikopter der Eltern kreisen

Deutschland hat wieder – gottogott – eine Bewegung.  Eine Jugendbewegung! Und zwar eine der ganz besonderen Art: Nicht Gelbwesten wie in Frankreich, die sich durch widerwärtige Gewaltakte hervortun. Nein, die deutschen Jugendbewegten verändern die Welt bloß im Netz, durchs Netz und, wenn schon auf Zeitungspapier oder gar physisch protestierend, dann possierlich: wie Juso-Kevin, der ja gerade nicht dazu aufruft, ein BMW-Werk zu besetzen, sondern lediglich vorschlägt, die Enteignung des Autobauers in Erwägung zu ziehen; auch die „Fridays for Future“-Aktivisten*innen gehen brav zur Schule – montags bis donnerstags und am Montagmorgen erneut. 

So gesehen kann Mutti Kanzlerin frohgemut fordern: „Macht uns Dampf.“ Ja, Deutschlands Elite aus Publizisten und Pastoren (was längst ein Pleonasmus ist) sowie aus Politikern und Professoren blickt beseelt-besorgt-beglückt auf ihre Sprösslinge, von Mama und Papa behütet und betüttelt bis zur Smartphone-Reife – bis sie nun Deutschland retten sollen. Man meint fast, über dem Tun dieser Tugendjugend die Helikopter der Eltern kreisen zu hören.

Inzwischen wird gar von einer Nachfolgegeneration der 68er geschwärmt – was ebenso falsch wie richtig ist. Falsch, weil die Dutschke-Demonstranten ihr Wissen im eigenen Kopf abgespeichert hatten, nicht auf dem Handy; richtig, weil die Revoluzzer der Sechziger denselben Schichten entstammten. Sie konnten und sie können sich das Revoltieren allzeit leisten: Schüler*innen und Student*innen aus gut gestelltem Haus. 

Was jung ist, ist gut

Für Deutschlands 19er trifft auch zu, was schon die 68er antrieb: die Abrechnung mit der Elterngeneration, die in jenen Jahren unter dem höchst begründeten Verdacht stand, Täter oder Mitläufer des Naziregimes gewesen zu sein. So brachten die jungen Menschen damals, „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ skandierend, nicht nur den Vietnamkrieg aufs deutsche Tapet, sondern entlarvten auch die Geschichtsverlogenheit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. 

Wie aber steht es heute mit der Notwendigkeit von Revolte? Ist sie dringlich? Wie nach der Ermordung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten im Juni 1967? Was ist eigentlich der aktuelle Anlass, es den proletarischen Protestlern im Nachbarland nachzutun – allerdings nicht in Gelbwesten, sondern im coolen Outfit samt angesagten Sneakers? Noch nie machte sich eine vom Wohlstand so sehr verwöhnte Generation junger Deutscher auf den Weg in die Welt. Die 19er jetten um die Wette, den Schmutzschweif des Konsumismus hinter sich herziehend – die selbst produzierte Begründung ihrer Mission für ein gutes Gewissen.

Fasziniert starren die Erwachsenen auf das Schauspiel – Show-Spiel – des Nachwuchses. Und sind sich einig: Was jung ist, ist gut – weil es jung ist. Greta, Rezo, Kevin: Ikonen der Politik – des Wahren, Schönen, Moralischen! 

Die demokratischen Leitfiguren aus CDU/CSU, SPD und FDP agieren abgehängt, politisch atemlos – obwohl sie doch ohne jede Hybris von ihren Parteien behaupten dürfen, die sehr freie und ziemlich soziale und irgendwie sogar gerechte Bundesrepublik geschaffen zu haben. Angela Merkel steht für Angela Merkel – in den Augen junger Bürger*innen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Für einen Ausblick auch nur in die allernächste Zukunft steht sie nicht. Was der Kanzlerin offenbar selber aufgefallen ist, erklärte sie doch in ihrer Rede an der Harvard-Universität, es müsse alles anders werden. 

Es fehlt an Debatte

Bisher ist alles so, wie sie es gewollt hat, gemacht hat, nicht verhindert hat und bis in ihre letzten Regierungstage belassen dürfte. Ja, dem Land fehlt es an Politik; an der Debatte; an der Leidenschaft des Streites; an der Sehnsucht nach überzeugenden Lösungen und dem folgerichtigen Handeln. Stattdessen Pillepalle – für die Umwelt, für die digitale Welt, für die sichere Welt, für Europa in der Welt. Also springt die Jugend in die Lücke, in die Leere, und spielt Ersatz. Die Eltern ihrerseits spielen Claqueure. Das könnte es doch sein: Jugendrevolte anstelle von Politik!

Nach den 68ern kam Brandt, kam Schmidt, kam Kohl, kam Schröder: stets Politik satt. Debatten scharf und sezierend, emotional und ergreifend. Politische Projekte, Gelingen und Scheitern, Sieg und Niederlage. Spannend war’s in diesem Land, in dieser Demokratie! Und dann kam Merkel – das sukzessive Verschwinden der Politik hinter dem Machterhalt. 

Jetzt kommen Greta, Rezo, Kevin, die Revoluzzer-Kinder eines Wohlstands, der das Klima katastrophiert.  Was kommt nach den 19ern? Endlich wieder Politik? CDU/CSU/SPD/FDP? Die Verantwortungsparteien? Oder doch nur die Grünen? 

 

Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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