Franziska Giffey Plagiatsaffäre - Ist ein Rücktritt unausweichlich?

Alle Doktortitelträger, die so viele Plagiate in ihren Arbeiten hatten wie Franziska Giffey, haben ihren Titel verloren. Es wäre überraschend, wenn das bei der SPD-Ministerin anders sein sollte. Sie hat zwar nicht so viel abgeschrieben wie andere, aber sehr häufig falsch zitiert. Auch das ist Wissenschaftsbetrug

Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat plagiiert / picture alliance
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Es ist in jedem Fall schon eine Herausforderung, als junge Mutter nebenbei Beruf und dann noch eine Parteikarriere unter einen Hut zu bringen. Und zusätzlich noch eine Promotion? Der vorliegende Untersuchungsbericht der Rechercheplattform „VroniPlag Wiki“ zeigt: Franziska Giffey hat sich verhoben. Sie hat in ihrer Doktorarbeit unsauber gearbeitet, falsch zitiert, Primärtexte nicht gelesen. Die FU Berlin wird nun darüber zu entscheiden haben, ob sie ihren Titel abgeben muss. Die Fakten dazu liegen auf dem Tisch, auch die Einschätzung der Plagiatsexperten von „VroniPlag Wiki“ ist eindeutig. Denn sie publizieren Untersuchungsberichte, wie nun bei Giffey, nur, wenn sie fest davon ausgehen, dass ein Titelentzug vor einem Verwaltungsgericht bestand hätte. Bisher hatten die Analysen der Wissenschaftsplattform immer Bestand.

In Giffeys Doktorarbeit finden sich 238 Plagiate. „Vroni Plag Wiki“ bezeichnet dies als „Anzahl der gesichteten, geschützten Plagiats-Fragmente“ (ohne Fragmente, die nur „verdächtig“ sind oder aus anderen Gründen, etwas aus Geringfügigkeit, keine Wertung bekamen). Zum Vergleich: Die frühere FDP-Politikerin Margarita Mathiopoulos liegt mit 472 Plagiaten über Giffey, ebenso Mathiopoulos' ehemaliger Parteikollege Georgios Chatzimarkakis mit 243 Plagiaten. Beide haben ihren Doktortitel verloren. Silvana Koch-Mehrin, ebenfalls eine Liberale, liegt mit 172 Plagiaten schon hinter Giffey – der Titel war auch hier weg. Das CDU-Mitglied Wolfgang Dippel hatte „nur“ 64 Plagiate, auch bei ihm wurde der Doktorgrad entzogen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen plagiierte 43 Mal. Sie darf den Titel weiter tragen.

Schlechtwetterfront für Giffey

Zwar sind die einzelnen Arbeiten schwer vergleichbar, auch weil sie unterschiedlich lang ist und verschiedene Disziplinen betreffen. Belegt ist aber, dass alle Doktoranden ihren Titel verloren haben, wenn sie so viele Plagiatsfragmente hatten wie Giffey oder mehr. Das ist zwar nur ein Indiz, ebenso wie die Tatsache, dass die FU Berlin ihren bisherigen fünf Plagiatsfällen allesamt den Titel entzogen hat. Aber diese Indizien verdichten sich zu einer Schlechtwetterfront für Giffey. Hinter vorgehaltener Hand rechnen Plagiatsexperten inzwischen damit, dass die Sozialdemokratin ihren Titel verliert. Man hört auch, dass sie juristisch wohl von einem Rechtsanwalt vertreten wird, der wenig Expertise im Wissenschaftsrecht, dafür eine lange Karriere in der Berliner SPD vorzuweisen hat. Auch dies könnte Giffey in einer – womöglich jahrelangen – verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzung nicht gerade nützlich sein.

Giffeys Plagiate sind nicht so eindeutig wie beim früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der teilweise seitenweise abgeschrieben hat. Zwar kopiert Giffey auch anderswo, etwa bei Wikipedia zu den Einträgen „Deliberative Demokratie“, „Euronews“ und „Hamburger Verständlichkeitskonzept“ („VroniPlag Wiki“ kann durch ein spezielles Tool die Wikipedia-Seiten mit Stand 2008 aufrufen). Das sind aber Ausnahmen. „VroniPlag Wiki“ gibt den Anteil der Plagiatsstellen an der gesamten Arbeit mit nur sechs Prozent an. Weitaus schwerer wiegen aber Referenzen, die Giffey setzt, aber ersichtlich nicht nachgeprüft, vermutlich auch nicht gelesen hat.

Vielleicht erübrigt sich ein Rücktritt

Zu Giffeys Glück wurde die von ihr durchgeführte Fallstudie in Kapitel 4 der Dissertation, die im Grunde den Kern der Arbeit ausmacht, von „VroniPlag Wiki“ nicht untersucht. Das wäre, so die Wissenschaftler der Plattform, „aufgrund der verstrichenen Zeit“ schwierig geworden. Gleichwohl ergab sich bei einem Textabgleich eine Auffälligkeit in Bezug auf durchgeführte Interviews, die aber ohne Wertung geblieben ist, da ein Plagiat nicht sicher nachweisbar ist. Die FU Berlin wird prüfen müssen, ob diese Interviews stimmen, oder ob relotionsmäßig Stimmen und Stimmungen zugefügt wurden.

Diese Prüfung wird voraussichtlich über ein Jahr dauern, trotz der Vorarbeit von „VroniPlag Wiki“ ist es eine anstrengende Arbeit, bei der auch viele Formvorgaben einzuhalten sind. Vielleicht wird Giffey dann von einer belastenden Rücktrittsentscheidung befreit sein, weil sie inzwischen – mitsamt ihrer Partei – aus der Großen Koalition gegangen ist. Ansonsten kann ihr nur das Gnadenargument der Vierfachbelastung helfen (Familie, Beruf, Partei, Promotion), und der Hinweis, damals hätte es noch kein Gute-Kita-Gesetz gegeben. Nur: Wie werden sich dann all jene fühlen, die auf eine ehrliche Dissertation verzichtet haben, weil sie das als berufstätige Mutter oder Vater nicht geschafft haben?

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version fehlte der Hinweis, dass Georgios Chatzimarkakis nicht mehr FDP-Mitglied ist.

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