Frankfurter Buchmesse - „Kein Schlachtfeld für Pressure-Groups“

Im Streit um die Teilnahme eines rechtsgerichteten Verlags an der Buchmesse hat sich Frankfurts OB Peter Feldmann auf die Seite der Aktivisten um die schwarze Schriftstellerin Jasmina Kuhnke geschlagen. Der Schriftsteller Per Leo kritisiert die Aktivistin für ihren Boykottaufruf. Dem OB wirft er „blanken Populismus“ vor.

Gibt Mirrianne Mahn, der grünen Diversitätsbeauftragten der Stadt Frankfurt, auf der Buchmesse Kontra: Per Leo / Screenshot hr
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Per Leo ist Schriftsteller und Historiker. Mit Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn hat er einen Leitfaden für den Umgang mit Rechtspopulismus und Neuen Rechten veröffentlicht: „Mit Rechten reden”, Klett-Cotta, 183 Seiten, 14 Euro. 

Herr Leo, über die Frage, ob man mit Rechten reden oder sie ausgrenzen soll, ist ein Streit bei der Frankfurter Buchmesse ausgebrochen. Die schwarze Autorin Jasmina Kuhnke findet: Man darf ihnen keine Bühne anbieten. Weil die Buchmesse den rechtsextremen Verlag Jungeuropa zugelassen hat, hat sie ihren Auftritt abgesagt und zum Boykott der Messe aufgerufen. Wer hat von der Kontroverse eigentlich mehr profitiert – Frau Kuhnke oder der Jungeuropa-Verlag?  

Schwer zu sagen. Aber dass beide auf Kosten der gesamten Buchbranche von dem Skandal profitiert haben, kann man schon feststellen. 

Jasmina Kuhnke kannte man bis dahin nur als schillernde Antirassismus-Aktivistin auf Twitter. Hätte sich außerhalb ihrer Filterbubble irgendwer für ihr Buch interessiert, wenn sie nicht selber diese Welle losgetreten hätte?

Vermutlich nicht. Ich würde trotzdem nicht so weit gehen, ihr ein Kalkül zu unterstellen  – zumindest kein ökonomisches. Sie hat aber ihrem eigenen Anliegen, dem Kampf gegen rechts, mit ihrem Boykottaufruf einen Bärendienst erwiesen. Nicht umsonst hat sich der Verleger Philip Stein in einem hämischen Tweet bei Frau Kuhnke für die kostenlose Werbung bedankt.  

 

Kuhnke hat ihre Absage mit Sicherheitsaspekten begründet. Die Bühne, auf der sie auftreten sollte, befand sich neben dem Stand des Verlags Jungeuropa. Dessen Verlags-Chef soll vorher angeblich öffentlich ihre Abschiebung gefordert haben. Auf Twitter schrieb sie, es sei absehbar, dass er weitere Rechtsextreme auf die Messe ziehen werde. Ist die Sorge nicht berechtigt? 

Die Sorge ist sicherlich nicht unbegründet. Die Morddrohungen und die Gewaltfantasien, denen sie ausgesetzt ist, sind leider sehr real. Die Frage ist, ob auf der Frankfurter Buchmesse eine solche Gefahr bestanden hätte. Ich glaube, das kann man guten Gewissens verneinen. 

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Bei der Messe heißt es, man habe mit Frau Kuhnke vor der Veranstaltung über ein Sicherheitskonzept gesprochen. Es gab offenbar das Angebot, sie zu schützen. War die Sorge also nur vorgeschoben?  

Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder war die Sorge nur vorgeschoben, um die Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erhöhen. Oder sie hat sich subjektiv tatsächlich bedroht gefühlt. Vielleicht ging beides auch Hand in Hand. 

Aber dann kann man ja zu Hause bleiben. Deshalb muss man ja nicht zum Boykott der Messe aufrufen.

Genau, dieser Boykottaufruf ist scharf zu kritisieren. Sie hat damit eine ganze Branche in ein moralisches Dilemma verstrickt. Auch Kolleginnen und Kollegen, die dann vor der Wahl stehen: Entweder ich schließe mich deinem Boykott an oder ich setze mich dem Vorwurf aus, zum Komplizen von Rechtsextremen zu werden. Ich finde diese Zwickmühle inakzeptabel, weil sie keine Möglichkeiten lässt, sich zu solidarisieren und trotzdem moralisch sauber auf der Buchmesse zu erscheinen. 

Verleger Philip Stein steht auch dem Verein „Ein Prozent“ vor, der von Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer mitbegründet wurde und der vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall aufgeführt wird, weil er in seinen Kampagnen Migranten pauschal herabwürdigt. Die österreichische Extremismus-Forscherin Natascha Strobel hat sich das Sortiment des Verlags angesschaut. Sie sagt, der Verlag sei ein „Verein von Faschisten für Faschisten“. Teilen Sie ihre Einschätzung? 

Ich will mich da auf keine Experten-Diskussion einlassen. Entscheidend ist für mich: In dem Moment, wo sich die Frankfurter Buchmesse an das Postulat der Meinungsfreiheit bindet, gibt es tatsächlich nur eine Instanz, die über die Grenzen der Meinungsfreiheit entscheidet. Und das sind die Gerichte. 

Dann hätte es sich die Messe doch einfach machen und es auf einen Prozess mit dem Verlag ankommen lassen können. Wäre das Gericht tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass die Verlagsbücher nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, wäre sie aus dem Schneider gewesen. 

Nein, eben nicht. Sie hätte ihre eigenen Prinzipien verraten. Denn diese Messe lebt von der Selbstbindung an die Meinungsfreiheit. Darauf zu bestehen, ist nicht vorgeschoben, sondern wesentlich. Und deshalb darf sich die Buchmesse auf keinen Präzedenzfall einlassen. 

Kuhnke & Co. würden jetzt einwenden: Rassismus ist Rassismus – und keine Meinung. 

Ach, das ist ein Kalenderspruch. Klingt irgendwie gut, ist aber Unsinn. Selbstverständlich ist Rassismus eine Meinung. Den Glauben, dass unterschiedlichen Menschengruppen unterschiedliche Räume zugewiesen werden müssen, teile ich ganz und gar nicht. Aber es ist eine Meinung. Und die ist so schwach, dass sie sich leicht zurückweisen lässt. Aber in dem Moment, wo wir sie autoritativ aus dem Diskurs ausschließen und ihr den Ruch des Gefährlichen und die Aura des Opfers schenken, machen wir sie stärker, als sie ist. 

So ein Streit kann aber schnell in eine Schlägerei ausarten. 2017 kam es auf der Buchmesse zu tumultartigen Szenen, als der AfD-Hardliner Björn Höcke an einer Podiumsdiskussion des rechtsgerichteten Antaios-Verlags teilnahm. 

Damals ist eine klassische Provokationsstrategie von Götz Kubitschek aufgegangen. Dass es zu Tumulten kam, lag daran, dass sich zwei Gruppen eine gewalttätige Auseinandersetzung geliefert haben. Es war nicht so, dass die eine Gruppe spontan auf die andere zugegangen wäre.

Sie wollen damit andeuten, dass die Mitglieder der Antifa auch keine Waisenknaben sind. 

Na ja, Antifaschismus ist Handarbeit: Das ist ein gängiger Slogan. Das heißt aber nicht, dass die aufeinander eingeprügelt haben. Aber es kam eben zu tumultartigen Szenen, in deren Mitte ein Polizeikordon zwischen zwei extrem polarisierten Gruppen gezogen wurde. Es kam zu Rangeleien. Es wurde auch mal jemand auf den Boden gestoßen. So was kommt vor, wenn Menschengruppen aggressiv aufeinander losgehen. Es gab keine schwerer Verletzten. 

Aber es gab krasse Bilder. 

Genau, und das ist das Entscheidende. Beide Gruppen konnten sich als Opfer von Gewalt stilisieren. Man versteht eine Buchmesse oft als Bühne. Tatsächlich aber ist sie wie jede Messe erst mal nur ein Marktplatz. Man kann ihn aber zur Bühne machen. Und das ist dem Antaios-Verlag 2017 spektakulär geglückt. Dem Jungeuropa-Verlag ist es diesmal sogar ganz mühelos geglückt. Ein Verlag von Tausenden mit einer Fläche von drei Quadratmetern. Den hätte sonst keiner beachtet. 

Per Leo / privat 

Aber 2017 hat doch gezeigt, dass die Sorge vor Übergriffen berechtigt ist. 

Aber die Buchmesse ist ein Ort wie jeder andere auch. Wenn Fußballspiele ausgetragen werden, kann es auch zu Handgreiflichkeiten kommen. Oder bei bestimmten Demonstrationen. Es gibt immer wieder Situationen, wo objektive Gefährdungen entstehen. Aber die Frage ist: Entstehen sie schon einfach, weil ein bestimmter Verlag auf der Buchmesse steht? Oder entstehen die erst durch eine bestimmte Verkettung von Umständen, zu denen dann eben auch die Agitation gegen diesen Verlag gehört? 

Anlass für die Schlägerei 2017 war die Vorstellung des Buches „Mit Linken leben“. Der Titel war eine polemische Replik auf Ihr Buch „Mit Rechten reden“ der beiden Identitären Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld. Hat es Sie geärgert, dass Sie den beiden noch die Steilvorlage geliefert haben? 

Ach, das haben wir damals sportlich genommen. Es war eben Teil einer Piraten-Taktik, die bei Antaios viel stärker ausgeprägt ist als beim Jungeuropa-Verlag. Sie haben es geschafft, im Windschatten unseres Verlages Klett-Cotta mitzusegeln. Es ist ihnen gelungen, dass unsere Bücher von den Medien im Doppel wahrgenommen wurden. Gefreut hat es mich nicht, aber das war dann eben so. 

Klett-Cotta ist der Hausverlag von Ernst Jünger. Müssen Sie nicht fürchten, dass der Verlag auch eines Tages boykottiert wird, weil er Kriegserlebnisbücher wie „In Stahlgewittern“ veröffentlicht hat? 

Nein, ich glaub, diese Diskussion haben wir mittlerweile erfolgreich geführt. Ich würde auch die Bedrohung der Cancel Culture nicht übertreiben. Das sind bestimmte Tendenzen, denen man sich mit zivilen Mitteln erwehren kann. Insofern war die Buchmesse schon gut, weil sie gleich mehrere Debatten angestoßen hat. Es wurde zwar zum Teil mit harten Bandagen gekämpft. Aber letztlich wurden zwei wichtige Punkte gesetzt: die Verteidigung der Meinungsfreiheit und die Notwendigkeit, über Rassismus zu reden. 

In Ihrem Buch räumen Sie mit dem Vorurteil auf, am rechten Rand tummelten sich nur Analphabeten. Man schade sich selbst, wenn man sie ausgrenze, denn damit verhielten sich Linke genauso, wie es dem Feindbild der Rechten entspricht. Kreiden Sie das jetzt auch Jasmina Kuhnke & Co. an? 

Ein bisschen schon. Wobei ich nicht gesagt habe, dass es immer falsch ist, Rechte auszugrenzen. Ich würde da einen Unterschied machen zwischen einer Veranstaltung wie der Buchmesse, die sich an die Meinungsfreiheit bindet, und privaten Veranstaltungen, bei denen man sich tatsächlich fragen muss, ob man rechten Akteuren ohne Not eine Bühne gibt. 

Trotzdem hat jetzt sogar Frankfurts OB Peter Feldmann (SPD) die Buchmesse angeklagt. In seiner Rede bei der Verleihung des Friedenspreises in der Paulskirche hat er der Messe indirekt vorgeworfen, sie stelle die Meinungsfreiheit über die Menschenwürde. Was verrät es über unsere Debattenkultur, wenn der Verwaltungschef einer Stadt die persönliche Sicht von Aktivisten über die wirtschaftlichen Belange der Stadt stellt? 

Ich blicke da nicht ganz durch. Aber mir scheint das auch ein Kulturkampf zu sein, den die Stadt Frankfurt seit einiger Zeit mit der Buchmesse führt. Jedenfalls kommt besonders scharfer Protest gegen die Zulassung rechter Verlage aus dem Frankfurter Politik-Milieu – aus verschiedenen Parteien. Die Menschenwürde gegen die Meinungsfreiheit auszuspielen ist im Übrigen blanker Populismus. Ich hoffe, dass die Buchmesse diesem fadenscheinigen Argument nicht klein beigibt. 

Mitten in Feldmanns Rede war die grüne Diversitätsbeauftragte der Stadt Frankfurt hereingeplatzt, die behauptete, schwarze Frauen seien auf der Buchmesse nicht willkommen. Dieselbe Frau ging in einem Streitgespräch mit Ihnen sogar so weit, zu behaupten, die Buchmesse bereite den Boden für Terroranschläge wie den in Hanau, wenn sie weiterhin rechte Verlage zulasse. Muss die Moral herhalten, wenn man keine anderen Argumente mehr hat? 

Weiß ich nicht. Aber dieses Argument ist wirklich schwach. Es stellt eine Kausalität her, die sich nie belegen ließe. 

Welche Lehre sollte die Buchmesse aus der Causa Kuhnke ziehen?

Sie sollte unverzagter auftreten und ihr Herz, die Meinungsfreiheit, mit mehr Leidenschaft verteidigen. Im Augenblick wird der Bezug auf die Meinungsfreiheit noch als winkeljuristisches Rückzugsargument wahrgenommen. Ich finde, die Buchmesse sollte viel offensiver klarmachen, warum es richtig ist, die Messe in diesem Sinne auszurichten – und nicht im Sinne einer kuratierten Ausstellung. Denn das wäre die Alternative: Aus dem Marktplatz der Meinungsfreiheit würde ein Schlachtfeld der Pressure-Groups. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.

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