Frank Ulrich Montgomery über Corona - Full Monti

Der Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery bewegt sich in der Corona-Krise in Fachgebieten, die nicht zu seinem Kompetenzbereich gehören. Warum nur hören ihm alle zu?

Frank Ulrich Montgomery: Ärztefunktionär ohne Grenzen / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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So eine Seuche ist nicht nur schlecht. Für manche hat sie ihr Gutes. Für Scharlatane zum Beispiel. Nie wieder hatten Quacksalber eine solche Konjunktur wie zu Zeiten der Pest. Menschen gaben in ihrer Not alles für Wässerchen und Salben, von denen sie sich Heilung versprachen, die aber nur die Taschen skrupelloser Geschäftemacher füllten. 

In der Moderne findet diese Form der Krisenkonjunktur im medialen Reich statt. Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen, Talkshows, alle brauchen jetzt exponentiell mehr Experten. Oder zumindest Menschen, denen man Expertise unterstellen kann. Aufmerksamkeit ist die Währung, in der bezahlt wird. Manchmal kommt bei dieser Form der modernen Quacksalberei auch ein Buch als Bestseller heraus. Die steile Gegenmeinung mit einschlägig klingendem Professorentitel ist Gold wert. 

„Weltärztepräsident“ ist da eine erstklassige Visitenkarte. Es klingt nach Weltgesundheitsorganisation. Frank Ulrich Montgomery ist Weltärztepräsident. Folgerichtig und unvermeidlicherweise hat er daher in der pandemischen Medienmoderne seit diesem Frühjahr seinen ganz großen Auftritt, vom Deutschlandfunk bis zum Passauer Bistumsblatt. Fragen, von tiefer Ehrfurcht getränkt, werden ihm gestellt, etwa im Oktober vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Herr Professor Montgomery, Sie sind Vorsitzender des Weltärzteverbands und haben einen guten Überblick zum Pandemieverlauf im Ländervergleich. Wo steht Deutschland gerade?“

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Der Aufstieg des Monti

Professor Montgomery (die Professur ist ein Ehrentitel der Hansestadt Hamburg) ist bis 2018 formal Oberarzt für Radiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Vor allem aber ist er seit den neunziger Jahren Funktionär: von 1989 bis 2007 Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, deren Ehrenvorsitzender er bis heute ist. 2007 wird er Vizepräsident der Bundesärztekammer, dann übernimmt er als Nachfolger des dezenteren Jörg-Dietrich Hoppe den Vorsitz (2011–2019), dem er nach eigenem Bekunden schon vorher viel Arbeit abgenommen hatte: „Ich brauchte mich um die Presse nicht zu kümmern.“ In diesen Funktionen hat der rhetorisch versierte Montgomery für seine Zunft viel herausgeschlagen. In der Szene ruft man Montgomery schlicht „Monti“, das erinnert an die legendäre britische Fernsehkomödie „The Full Monty“, was im Englischen bedeutet: volles Rohr. 

2019 dann der Schritt auf die Weltbühne: Im April wird Montgomery in Santiago de Chile zum Weltärztepräsidenten gewählt. Der Weltärzteverband ist die Dachorganisation der nationalen Ärzteverbände. Klingt gewaltig, sollte aber in seiner Durchschlagskraft nicht überschätzt werden, weil Gesundheitspolitik und Interessensvertretung der Ärzte eine weitgehend nationale Angelegenheit sind. 

Die Wahl zum Weltdoktor und der Ausbruch der Pandemie, bekanntlich ein weltweites Phänomen, fallen glücklich zusammen. Der heute 68-Jährige führt sofort das Wort, wagt sich in ihm unbekanntem Terrain weit vor. 

Weihnachten wird zum Todesrisiko

Im Frühjahr erfrischt er die Öffentlichkeit mit Äußerungen zur Maske. Dieser „Lappen vorm Gesicht“ sei am Ende sogar gefährlich und „lächerlich“. Ganz anders klingt das im Oktober: „Würden alle immer Masken tragen, müsste dieses Virus eigentlich verschwinden“, spricht nun Radiologe Montgomery. Und stellt sich auch hinter das Bußgeld von 150 Euro. „Folgerichtig“, befindet er fortan.
Er habe einen „Irrtum begangen“, lässt Montgomery zwischenzeitlich wissen. Das kann jedem mal passieren, würden manche sagen. Diese Entschuldigung gilt ganz sicher für Lisa Müller oder Fred Maier, die sich auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen tummeln. 

Sagt so einen Unsinn über die Nutzlosigkeit und sogar Gefährlichkeit des „Gesichtslappens“ zum Zeitpunkt der ersten großen Welle jedoch einer, den seine Visitenkarte als Instanz ausweist, wird es gefährlich. Solche Leute schaffen es schnell auf die Heldenschilde von Verschwörungsgeneigten. Schlimmer noch: Sie dienen Abertausenden von Menschen als Kronzeugen für ihre Maskenverweigerung. Auf Montgomery beruft sich nachweislich Joseph Wilhelm, Geschäftsführer der Biomarke Rapunzel. Er nennt Mundschutzmasken „Maulkörbe“ und bezweifelt die Gefährlichkeit des Virus grundsätzlich. 

Die nächste Wahl des Chefarztes der ganzen Welt steht für 2021 an. Die Laufzeit von Montgomery und die des Virus könnten also gut synchron verlaufen. Vielleicht überlebt Montgomery bei einer Wiederwahl das Virus auch. Aber der nächste Anlass kommt bestimmt. Die etwaigen Lockerungen für Feiertage hat Montgomery vorsorglich und fürsorglich schon mal eingeordnet: „Weihnachten“, so befand er jüngst, „wird zum Todesrisiko“. Full Monti – auch zur Jahreswende voll in seinem Element.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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