FDP - Lindners Suche

Auch nach Christian Lindners Rede beim FDP-Parteitag bleibt offen, wohin es für die Partei und ihren Vorsitzenden gehen soll. Eines hingegen wird klar, die Mitte der Gesellschaft wird die FDP nicht mit Beliebigkeit erreichen

Eine „liberale Wachstumsstrategie“ versprach Christian Lindner den Delegierten. Momentan verliert die FDP Wähler / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Christian Lindner redet lange. 87 Minuten braucht er, um zum Auftakt des FDP-Parteitages am Wochenende in Berlin eine liberale Agenda für die kommenden Jahre zu entwerfen. Und wenn viele Worte ein Zeichen von Unsicherheit sind, dann ist der FDP-Vorsitzende unsicherer als sein selbstbewusster Auftritt vor den Delegierten vermuten lässt. Dann weiß auch Lindner, dass die kommenden Jahre für die FDP nicht einfach werden. Dass es für die FDP schwer wird, einen dauerhaften Platz im Vielparteiensystem zu finden.

Zwischen Verantwortung und Verweigerung

Schon die Rückkehr auf die bundespolitische Bühne war für die FDP eine Herausforderung. Erst waren da die quälenden und schließlich gescheiterten Jamaika-Verhandlungen. Anschließend folgte eine harte Landung auf den Oppositionsbänken. Im Bundestag hat die FDP schnell lernen müssen, dass es schwer für sie werden wird, sich Gehör zu verschaffen zwischen Verantwortung und Verweigerung, zwischen Realpolitik und schrillen Tönen, zwischen Verantwortungsethik und Populismus. Als einzige Oppositionspartei steht die FDP zwei Monate nach dem Neustart der Großen Koalition in der Wählergunst deutlich schlechter da, als bei der Wahl im September vergangenen Jahres.

Die FDP ist auf der Suche. Das wird bei Christian Lindners Rede schnell klar. Eine „liberale Wachstumsstrategie“ verspricht er den Delegierten, in der „Mitte der Gesellschaft“ will er die FDP verankern und zwar „zweistellig“. Dann folgt ein Potpourri an Themen und Zuspitzungen, die zeigen: Christian Linder fällt es schwer, einen neuen liberalen roten Faden zu knüpfen. Mal blinkt Lindner links, mal blinkt er rechts, mal präsentiert sich der FDP-Vorsitzende staatstragend, mal polemisch.

Schlingernder Kurs

Gleich zu Beginn seiner Rede setzt Lindner einen überraschenden Akzent. In großer Übereinstimmung mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron positioniert er sich dezidiert proeuropäisch und kritisiert den von Angela Merkel verantworteten „europäischen Schwebezustand“. In den Jamaika-Verhandlungen im vergangenen Herbst hatte sich die FDP noch als europäischer Bremser profiliert, jetzt wirft Lindner der Kanzlerin mangelnde Führung in Europa vor.

Wenig später hat man fast den Eindruck, die Liberalen wollten wieder an alte sozial-liberale Zeiten anknüpfen. Etwa, wenn Christian Lindner ein Bürgergeld statt Hartz IV fordert und Bildungspolitik zur neuen Sozialpolitik erklärt. Doch gleich danach erinnert der FDP-Vorsitzende an die alte Steuersenkungspartei, fordert eine Steuerreform und kündigt eine Verfassungsklage gegen den Solidaritätszuschlag an. Der CSU wirft er in bürgerrechtsliberaler Tradition sogar vor, sie gehe mit dem Kreuz in allen öffentlichen Einrichtungen und mit dem bayerischen Polizeigesetz „den Weg von Victor Orban“, sie sei dabei, „die Grenze zwischen Rechtsstaat und Polizeistaat“ zu überschreiten.

Schließlich versucht Lindner doch noch, die CSU rechts zu überholen. Er kritisiert die Beschlüsse der Koalition zum Familiennachzug scharf und fordert, für subsidiär Schutzberechtigte dürfe es gar keinen Familiennachzug geben, sondern nur für Flüchtlinge, die eine dauerhafte Bleibeperspektive hätten.

Lindners Kritiker in Stellung

So mäandert sich Christian Lindner durch die Herausforderungen der aktuellen Politik. Solange dieser Kurs erfolgreich ist, etwa bei den Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen, wird Christian Lindner unangefochten an der Spitze der FDP bleiben. Doch seine Kritiker, auch das zeigt sich auf dem Parteitag in Berlin, beginnen, sich in Stellung zu bringen.

„Innovation Nation“ hat die FDP zum Motto ihres Parteitages erkoren. Jeder Wähler kann sich so sein eigenes Bild von der Innovationsfähigkeit der Liberalen machen. Man kann das klug nennen, weil irgendwie für jeden Wähler, der mit der Großen Koalition unzufrieden ist, etwas dabei ist. Man kann es für den Versuch halten, angesichts der Unberechenbarkeit der Wähler aus der Not eine Tugend zu machen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur beliebig.

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