Die FDP zum Krisenmanagement der Bundesregierung - „Das Schwarze-Peter-Schieben in der CDU ist nur noch peinlich“

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gerät wegen seines Krisenmanagements unter Druck. Die FDP wirft ihm und seiner Partei vor, keine Verantwortung für das Impfdebakel zu übernehmen. Aber hat die FDP mit ihrer Forderung nach Lockerungen nicht selbst zur Krise beigetragen?

Wer hat sich hier verkalkuliert? / dpa
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Michael Theurer ist stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der FDP Baden-Württemberg. 

Herr Theurer, die FDP gilt als Partei der Freiheit. Nun haben Kanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs beschlossen, in Landkreisen bei einer Corona-Inzidenz von mehr als 200 den Bewegungsradius auf 15 Kilometer zu begrenzen. Was halten Sie davon?

Das verwechselt Korrelation mit Kausalität. Bei einer Fahrt allein im Auto besteht 50 Kilometer vom Wohnort entfernt keine Gefahr, in einer voll besetzten U-Bahn bei 5 Kilometern Entfernung sehr wohl. Die FDP lehnt das als ungeeignet und unverhältnismäßig ab. 

Werfen Sie der Regierung Aktionismus vor?

Ja, das hat ja auch in Sachsen, wo es schon praktiziert wird, nichts gebracht. Und es zeigt, dass die Regierungen im Bund und in den Ländern mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Sommermonate, in denen die Infektionszahlen niedriger waren, sind praktisch vergeudet worden. Die Vorbereitung auf eine zweite Welle hat nicht in dem Maß stattgefunden, wie es geboten war. Das reicht von der Bereitstellung von Masken über die Digitalisierung des Gesundheitswesens, das nicht vorhandene Reiserückkehrmanagement, das Fehlen einer ganzheitlichen Teststrategie bis aktuell zur rechtzeitigen und ausreichenden Beschaffung von Impfstoff sowie dem Aufbau des Impfmanagements. 

Nun haben aber gerade im Sommer einige Vertreter der FDP auf weitreichende Lockerungen der Maßnahmen gedrängt. Haben die nicht auch dazu beigetragen, dass uns die zweite Welle des Virus so hart trifft?

Das ist so nicht richtig. Wir haben von Anfang an darauf gedrängt, bei Schließungen und Lockerungen nach Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit zu differenzieren. Dabei haben wir auf die Versäumnisse früher als andere hingewiesen. Und jetzt ist genau das eingetreten, wovor wir gewarnt haben.

Viele Vertreter Ihrer Partei hacken gerade auf Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) herum, weil die Impfungen in Deutschland so zögerlich verlaufen. Was werfen Sie Spahn vor?

Herr Spahn hat hier einen lupenreinen Fehlstart hingelegt und muss aufpassen, dass er nicht zu einem politischen Impf-Chaoten wird. Es ist einfach zu wenig Impfstoff bestellt worden, und es wurde auch versäumt, eine gesetzliche Grundlage für eine Impf-Priorisierung zu schaffen. 

Aber den Impfstoff hat doch nicht Jens Spahn allein bestellt, sondern die EU-Kommission für die Mitgliedsstaaten. 

Das ist auch in Ordnung so. Aber das hätte einen Mitgliedsstaat wie Deutschland doch nicht daran gehindert, einfach mehr davon zu bestellen. Nach unseren Berechnungen hätte es Deutschland nur sieben Milliarden Euro mehr gekostet, von allen sechs vorhandenen Kandidaten jeweils die für Deutschland notwendige Menge zu beschaffen. Wenn man sich anschaut, was uns die Lockdowns kosten – allein 2020 hatten wir ja eine Neuverschuldung von 219 Milliarden Euro – dann wäre das doch überschaubar gewesen. Und nun fehlt uns ausgerechnet der zu großen Teilen von der deutschen Firma Biontech erheblich mitentwickelte Impfstoff, der auch von deutschen Steuerzahlern mitfinanziert wurde, weil die USA und Israel eben bereit waren, mehr zu bezahlen und vor allem zu bestellen. Das ist doch absurd. Herr Spahn hatte ja schon im Vorfeld ausgesagt, dass er das nicht erklären könnte, wenn es so eintritt.

Michael Theurer / dpa 

Wäre es Deutschland überhaupt möglich gewesen, sein eigenes Beschaffungsprogramm zu starten und aus der gemeinsamen europäischen Linie auszuscheren? Berlin hatte schließlich die Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 inne. 

Naja, die EU-Kommission hat ja eigentlich keine wesentlichen Kompetenzen im Gesundheitsbereich. Darauf hat gerade Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Udo di Fabio hingewiesen. Die Kritik nun auf die EU-Kommission abzuschieben ist wohlfeil. Dass Deutschland die Ratspräsidentschaft inne hatte, weist ja auch auf eine direkte Verantwortung hin. Jetzt gibt es innerhalb der CDU ein Schwarzer-Peter-Schieben zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Kanzlerin Angela Merkel und Jens Spahn. Das ist nur noch peinlich und führt nicht zu einer Lösung. 

Wem würden Sie den Schwarzen Peter denn zuschieben?

Für mich stehen Lösungen im Vordergrund. Aber natürlich wird das Regierungshandeln aufgearbeitet werden müssen. Wenn ich mir die Gesamtkette anschaue vom Maskenmangel im Frühjahr bis zum Impfstoffmangel jetzt, dann muss sich Herr Spahn schon vorwerfen lassen, dass er seine Hausaufgaben nicht gründlich macht. Offenbar hat er sich zu lange seinen Kanzlerträumen hingegeben und dadurch sein Ministeramt vernachlässigt. Das fällt ihm jetzt auf die Füße. Wenn es nach ihm geht, ist er für das  Handeln nicht verantwortlich und auch für das Nichthandeln nicht. Daraus schließe ich, dass er unverantwortlich ist. Dass Kanzlerin Merkel nun für den heutigen Mittwoch einen Impf-Krisengipfel einberufen hat, spricht doch Bände. Kein Krisengipfel ohne Krise. Die FDP fordert schon lange, dass Frau Merkel das Impfmanagement zur Chefsache macht und notfalls ins Kanzleramt verlegt. Die Beschaffung und Verteilung des Impfstoffs hätte generalstabsmäßig vorbereitet werden müssen. Dass das nicht passiert ist, ist durch nichts zu entschuldigen.

Nun kritisiert nicht nur die FDP Herrn Spahn heftig, sondern auch Koalitionspartner SPD. Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat Spahn einen Katalog mit 25 kritischen Fragen geschickt. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit der Regierung?

Das ist eine schwere Belastung für die Koalition. Damit ist der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 offiziell eröffnet. 

In dem auch Sie sich befinden, zumal im März schon in ihrem Bundesland Baden-Württemberg gewählt wird. Aus der Opposition ist das Meckern ja immer leicht. Wenn man sich die Zahlen anschaut, steht Deutschland im europäischen Vergleich immer noch relativ gut da. Hätte nicht jede Regierung damit zu kämpfen, die richtigen Mittel zu finden, um die Pandemie zu bekämpfen?

Ich halte die Zahlen für trügerisch. Die Situation in den Krankenhäusern und den Intensivstationen in Deutschland ist hochdramatisch. Wenn es uns nicht gelingt, die Infektionszahlen zu senken, drohen uns bald auch hier die Zustände, die wir vom vergangenen Frühjahr aus Norditalien und aus dem Elsass kennen. Weil es uns bisher vergleichsweise gut ging, haben sich die Regierungen im Bund und den Ländern und vielleicht ein Stück weit die Bevölkerung zu lange ausgeruht und teilweise auch im falschen Stolz gesonnt. Jetzt holen uns die Versäumnisse gnadenlos ein. 

Aber die Bevölkerung vertraut der Regierung weiterhin. Die CDU steht in den Umfragen blendend da. Die FDP hingegen muss um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten. Warum gelingt es Ihnen nicht, aus den Versäumnissen mehr politisches Kapital zu schlagen?

Wir verstehen uns als staatstragende, konstruktive Opposition. Das heißt, wir haben die Versäumnisse kritisiert, auf eine Abwägung zwischen Zwangsmaßnahmen zum Gesundheitsschutz und der Grund- und Freiheitsrechte gedrängt und auf die wirtschaftlichen Folgen hingewiesen. Aber wir haben nie die Gefahr des Virus' an sich in Frage gestellt und viele Maßnahmen der Regierung auch mitgetragen. Eine so abgewogene Position eignet sich nicht besonders, um Schlagzeilen zu machen, und es ist uns klar, dass wir damit keine Massenbewegung auslösen. Aber wir sind die einzige Partei, die der Regierung auf konstruktive Weise auf die Finger schaut, und kommen so einer wichtigen Aufgabe nach. 

Die Fragen stellte Constantin Wissmann. 

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