FDP - Keine Bedenken und leider auch kein Denken

Kolumne: Grauzone. Bei der FDP ist digital „first“, Bedenken sind „second“. Das ist nicht nur Sprachpanscherei, sondern demonstrativ zur Schau gestellter Anti-Intellektualismus. Wer Gedankenlosigkeit zur Tugend erhebt, den kann man auch nicht ernst nehmen

Bei Christian Lindner ist Bedenken „second“. Ob er sich das gut überlegt hat? / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Klar, Bedenken sind uncool. Bedenken sind spießig. Bedenken sind unmodern. Wer lässig erscheinen will, so richtig hipp und auf der Höhe der Zeit, der gibt sich optimistisch, der kennt keine Probleme, sondern nur Herausforderungen. Denn Bedenken haben nur die Ängstlichen und Verzagten. Und wer gilt schon gerne als ängstlich oder verzagt? Ergebnis: Die Nassforschen bestimmen den Takt der Gesellschaft. Aufgabe der Politik, zumal in einer Demokratie, wäre es eigentlich gegenzusteuern. Denn Demokratie ist organisierte Entschleunigung. Das macht sie mitunter mühsam. Darin aber liegt auch ihr Wert: Entscheidungen nicht über das Knie zu brechen, Probleme gründlich zu diskutieren und mögliche Folgen einer Entscheidung abzuschätzen.

Doch Politik ist ein Teil unserer Gesellschaft. Das macht sie anfällig für die Unsinnigkeiten des Zeitgeistes. Sogar der glücklose Martin Schulz wirbt damit, dass die Zukunft neue Ideen braucht (und einen, der sie durchsetzt). Es spricht eigentlich schon wieder für ihn, dass er dabei so bieder und verzagt von der Plakatwand lächelt und damit die Botschaft konterkariert, bevor man sie überhaupt gelesen hat.

Die FDP will neu denken

Die selbsternannte Avantgarde jeder Modernisierung ist jedoch die FDP. Also findet sich auf jedem ihrer Plakate neben dem smarten Christian Linder die zukunftsfrohe Botschaft „Denken wir neu“. Wie dieses neue Denken aussehen wird, bekommt man ehrlicherweise auch gleich verraten: ziemlich gedankenlos nämlich. Das neue Denken, so lernt der Wähler, ist gar kein Denken. Oder im Jargon der FDP: „Bedenken second.“

Nun könnte man über das Verkrampfte, Verspannte und Aufgesetzte dieses Slogans (vollständig lautet er: „Digital first. Bedenken second“) noch lachen. Auch die Anspielung auf Donald Trumps „America first“, mag als misslungener Ironieversuch durchgehen. Schlimmer ist da schon die dümmliche Sprachpanscherei, die hier betrieben wird, die allerdings zur Botschaft dieses Plakates nur all zu gut passt. Denn was hier proklamiert wird, ist demonstrativ zur Schau gestellter Anti-Intellektualismus: Nachdenken ja, aber vielleicht morgen. Überlegen schon, doch lieber später. Und hier liegt das eigentliche Ärgernis. Denn Bedenken sind das Ergebnis des Nachdenkens. Wer Bedenken zurückstellen möchte, der spricht sich im Grunde dafür aus, zwischenzeitlich mal das Gehirn auszuschalten. Was dabei herauskommt, illustriert das sinnige Sprüchlein gleich an sich selbst.

Gedankenlosigkeit als Tugend

Eine Politik, die Gedankenlosigkeit zur Tugend erhebt, mag auf der Höhe der Zeit sein. Ernst zu nehmen ist sie nicht. Auch wenn die Vorbehalte gegen Bedenkenträger, geistige Unbeweglichkeit und Innovationsfeindschaft, auf die der flotte Slogan anspielt, nachvollziehbar sind: Im Umkehrschluss der Gedankenlosigkeit zu huldigen, ist nicht nur albern, sondern demaskiert, was hinter der penetranten Fortschritts-Rhetorik tatsächlich steckt: die dumpfe Logik der Werbeindustrie, nach der das neueste Waschmittel noch reiner, noch weißer und noch strahlender wäscht als seine Vorgänger.

Und wer ist schon gegen reinere Wäsche? Doch Werbung und Realität sind zwei Dinge. Nur in der Welt der Werbung gibt es einen permanenten Fortschritt, der nicht zu hinterfragen ist. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Politische Entscheidungsträger sollten das wissen. Zumal wenn es um eine so zentrale Frage wie die Digitalisierung geht, die unsere Gesellschaft in einer Weise verändern wird, wie zuvor nur die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts.

Der dümmliche Slogan „Digital first. Bedenken second“ zeigt unfreiwillig, wie sehr man bei der FDP die Logik der Konsumgüterwerbung verinnerlicht hat und diese mit der Realität verwechselt. „Think before you print“, lautet ein beliebter Hinweis, mit dem der Papierverbrauch im Computerzeitalter eingedämmt werden soll. Ob er ökologisch wirkungsvoll ist, darf bezweifelt werden. Der FDP jedoch stünde er als neues Motto nicht schlecht zu Gesicht.

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