Politische Begriffe - „Ey, Sie Faschist!"

Was meint Martin Schulz (SPD) eigentlich genau, wenn er Alexander Gauland (AfD) als „Faschist“ beschimpft? Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Kampfvokabular der Linken, er hat aber eine traurige Karriere als universelles Schimpfwort gemacht. Von Alexander Grau

Vorsicht mit Schimpfworten: Nicht überall, wo Faschist draufsteht, ist auch Faschist drin / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wumms – da war sie endlich mal wieder: die Faschismuskeule. Niedergesaust kam sie am vergangenen Mittwoch während der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages auf Alexander Gauland. Zugeschlagen hatte Martin Schulz.

Keine Frage: Schulz Vorwurf hatte durchaus eine gewisse Originalität. Denn der Vorwurf, jemand sei ein Faschist, ist etwas aus der Mode gekommen. Der moderne Tugendwächter hält sich mit solchen mediokren Anklagen erst gar nicht auf. Wer jemanden politisch fertigmachen und ausgrenzen will, der greift daher gleich zum nächst höheren Kaliber: dem Nazi. So gesehen war Martin Schulz rührend old school.

Verstaubte Begriffsklamotte

Entsprechend verriet Schulz’ Empörungsinszenierung eine gewisse Generationszugehörigkeit. Denn der Faschismusvorwurf entstammt dem politischen Kampfvokabular der Linken des 20. Jahrhunderts. Allerdings ist er mit dem Fall des antifaschistischen Schutzwalls etwas aus der Mode gekommen.

Denn aus Sicht seiner Benutzer bezeichnet der Begriff „Faschist“ niemals Faschisten im engeren Sinne oder gar alte oder neue Nationalsozialisten. Ein Faschist ist aus dieser Perspektive vielmehr jeder, der kein Linksextremist ist. Der Grund dafür liegt im linksextremistischen Faschismus-Begriff: Da gemäß marxistisch-leninistischer Lesart der Faschismus lediglich die Endphase der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft markiert, ist aus Sicht der extremen Linken jeder Vertreter des liberalen Parlamentarismus ein Faschist. Dass ein ehemaliger Kanzlerkandidat der SPD diese alte Begriffsklamotte aus dem verstaubten Schrank der Ideologiegeschichte holt, ist auf jeden Fall bemerkenswert.

„Sozialdemokraten sind die eigentlichen Faschisten" 

Und es zeugt von tiefer historischer Ahnungslosigkeit. Denn gerade ein ehemaliger Vorsitzender der deutschen Sozialdemokratie sollte wissen, dass der Faschismusvorwurf immer auch gegen seine Partei gerichtet war. Es war Grigori Sinowjew, enger Vertrauter Lenins und späteres Opfer von Stalins Säuberungspolitik, der 1924 den Begriff des Linksfaschismus entwickelte. Der zielte auf die Sozialdemokratie. Aufgrund ihrer parlamentarischen und reformistischen Strategie seien, so der Vorwurf, die Sozialdemokraten die eigentlichen Stützen des Kapitals. Da der Kapitalismus jedoch eine Vorform des Faschismus sei, so das weitere Argument, seien die Sozialdemokraten die eigentlichen Faschisten. Das war natürlich kompletter Unsinn. Ein Sozialdemokrat sollte jedoch aus seiner eigenen Geschichte mit entsprechendem Vokabular vorsichtig umgehen.

Wie bei allen hochideologischen Begriffen ist es beinah unmöglich, eine klare Definition von „Faschismus“ zu geben. Der Historiker Ernst Nolte definierte in seinem auch unter Linken begeistert rezipierten Werk „Der Faschismus in seiner Epoche“: „Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.“

Kleingeistig, konservativ, kindisch 

Kurz: Faschismus ist ein Nationalmarxismus, exemplarisch ablesbar am Werdegang Benito Mussolinis vom Mitglied des Parteidirektoriums der Partito Socialista Italiano (PSI) zum Duce der Partito Nazionale Fascista (PNF). Entsprechende Strömungen mag es in der AfD oder auch bei der Linken geben, Gauland gehört sicher nicht dazu.

Aber es gibt natürlich auch noch den verfeinerten, quasi sozialpsychologischen Faschismus-Begriff, ins Spiel gebracht von Theodor W. Adorno in seinen „Studien zum autoritären Charakter“: Demnach ist Faschismus eine kleinbürgerliche Geisteshaltung, gekennzeichnet unter anderem durch emotionale Affekte, dem Festhalten am Hergebrachten, dem Willen, Verstöße gegen hergebrachte Werte zu ahnden, eine allgemeine Feindseligkeit und Herabsetzung Andersdenkender und ein Glaube an die Existenz des Bösen in der Welt, der emotionale Impulse rechtfertigt.

„Faschist“ als Schimpfwort 

Man braucht sich nur Martin Schulz' Auftritt vom Mittwoch noch einmal anzuschauen, um einen geradezu idealtypischen Auftritt eines autoritären Zwangscharakters im Sinne Adornos zu verfolgen. Um nicht missverstanden zu werden: Damit soll nicht gesagt werden, dass Martin Schulz faschistoide Züge trägt. Das tut er nicht. Doch sollte damit deutlich werden, wie leicht jeder, jederzeit und aus beliebigen Gründen das Etikett „Faschist“ verpasst werden kann. Der Begriff taugt nicht für die politische Debatte. Er ist zu einem beliebigen Schimpfwort verkommen. Auch Martin Schulz sollte ihn aus seinem Vokabular streichen.

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