Fake-News - Mauern, kämpfen, täuschen

Das Recherche-Zentrum Correctiv streitet für guten Journalismus und gegen Falsch­meldungen. Leider hat es selber Probleme mit den Fakten

Erschienen in Ausgabe
Haltung, Journalismus oder beides? Correktiv-Chefredakteur Markus Grill korrigiert gerne / picture alliance
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Gideon Böss ist Roman- und Sachbuchautor und hat unter anderem über Religionen in Deutschland und Glücksversprechen im Kapitalismus geschrieben.

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Wenn das Recherchezentrum Correctiv die Zukunft des Journalismus ist, dann sieht sie aus wie ein Start-up. In den Berliner Redaktionsräumen wirkt alles ein wenig improvisiert, Umzugskartons stehen neben einem altgedienten Sofa. Sogar eine Telefonzelle hat den Weg herauf in den ersten Stock gefunden. Eine Kaffee­maschine summt, und die zumeist jungen Mitarbeiter huschen zwischen ihren Schreibtischen und der Küche hin und her. „Eigentlich reicht uns der Platz schon nicht mehr“, meint Chefredakteur Markus Grill, der große Pläne hat. Ein Haus des Journalismus soll es geben, in das die eigene Redaktion dann umziehen soll. Im Moment wird geprüft, wo und wann dieses Projekt realisiert werden kann.

Correctiv bezeichnet sich als „erstes gemeinnütziges Recherchezentrum“ Deutschlands und stellt seine Beiträge kostenlos ins Internet, ohne Paywall oder andere Hürden. Offen und transparent will das Recherchenetzwerk sein, weswegen auch alle Spender auf der Homepage aufgelistet sind, die mehr als 1000 Euro überwiesen haben. Ebenso das Jahresgehalt des Geschäftsführers und Gründers David Schraven, der sich für 2015 111 038 Euro aus dem Spendentopf nahm. Umso mehr erstaunt es, wie schwer sich eine journalistische Annährung gestaltet. Das Gespräch mit Grill sollte die einzige erfolgreiche Kontaktaufnahme bleiben. Schraven verschob ein Gespräch erst auf unbestimmte Zeit und antwortet schließlich gar nicht mehr auf Nachfragen. Auch alle Nachrichten an den Pressekontakt der Redaktion blieben unbeantwortet. Und so wurde die Annäherung an Correctiv, für das laut Selbstbezeichnung „investigative Journalisten“ arbeiten, eine überraschend investigative Angelegenheit.

Viele Baustellen

Zweifellos hat die Redaktion auch dann genug zu tun, wenn sie keine Presseanfrage beantwortet. So viel, dass es nicht ganz leicht ist, den Überblick über die Aktivitäten zu behalten, die da angestoßen und verfolgt werden. Es gibt unter anderem Seminare für Lokaljournalisten, ein Stipendienprogramm für Datenjournalismus, Recherche-Workshops zur Stärkung der Zivilgesellschaft, eine zweite Redaktion im Ruhrgebiet und mit Özgürüz sogar einen türkischen Correctiv-Ableger. Außerdem wird eine Web-Akademie für Journalismus aufgebaut und gemeinsam mit Facebook gegen Fake News gekämpft. Sehr viele verschiedene Baustellen für ein Recherchenetzwerk, das es erst seit Mitte 2014 gibt.

Wie wird die Arbeit der 16 Redakteure dieses umtriebigen Recherchezentrums bezahlt? Durch Spenden. Alleine die Brost-Stiftung gab drei Millionen Euro und verbindet damit die Hoffnung, „den öffentlichen Diskurs zu fördern“. Diese Stiftung ist Teil des Vermächtnisses der 2010 verstorbenen Milliardärin und Gesellschafterin der Mediengruppe WAZ, Anneliese Brost, und sieht sich vor allem als Unterstützer von „Projekten im Bereich von Kunst und Kultur, Jugend- und Altenhilfe sowie mildtätigen Maßnahmen“. Weitere Förderer sind unter anderem die Rudolf-Augstein-Stiftung, die Schöpflin-Stiftung, die Stiftung Vielfalt und Partizipation, die Deutsche Bank, die Bundeszentrale für politische Bildung, die GLS Treuhand, Google, RTL und ZDF. Es sind 23 Spender für 2016 aufgelistet, wobei die Brost-Stiftung auf 925 000 Euro kam und alle anderen zusammen auf knapp 490 000 Euro.

Große Chance: Gut recherchierte Geschichten

„In den USA ist diese Form des Journalismus längst etabliert, dort gibt es 170 Redaktionen wie unsere“, erklärt Grill beim Gespräch in seinem kleinen Büro. Der Glaube daran, dass dieses Konzept auch in Deutschland eine Zukunft hat, brachte ihn dazu, nach Stationen bei Stern und Spiegel hier anzuheuern. „Ich denke schon, dass das eine große Chance ist. Die gemeinnützigen Recherchezentren in den USA räumen heute bei den Preisverleihungen ebenso ab wie die etablierten Zeitungen“, meint er und schaut in den überdachten Innenhof des Gebäudekomplexes, zu dem ein Hostel gehört.

Gut recherchierte Geschichten möchte die Redaktion liefern. Reportagen, an denen viele Monate gearbeitet wird, wenn es sein muss. Zeiträume, die sich Zeitungen sonst kaum leisten können. Heraus kam dabei unter anderem eine detaillierte Reportage über den Abschuss von Passagierflugzeug MH17 über der Ukraine. Dieser Beitrag brachte Correctiv neben mehreren Auszeichnungen auch den Hass russischer Nationalisten ein – inklusive dem ungebetenen Besuch prorussischer Aktivisten in den Redaktionsräumen.

Aber kann Correctiv ein Vorbild sein für die darbende Presselandschaft? Nur bedingt. Correctiv arbeitet nicht gewinnorientiert, sondern existiert in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH. Beim Blick auf die Homepage wird deutlich, dass es sich durch die Unabhängigkeit von Werbekunden einen Glaubwürdigkeitsbonus beim Leser erhofft. Hätte ein Großkonzern aber eine solche Macht über das Schicksal einer Zeitung, wie es die Brost-Stiftung im Falle von Correctiv hat, würde das niemand als einen Beweis exorbitanter journalistischer Unabhängigkeit feiern. Auf Nachfrage wird eingeräumt, dass die Gefahr einer Einmischung in die Blattlinie auch bei diesem Finanzierungsmodell nicht ausgeschlossen ist.

Mitglieder-Ansturm bleibt bisher aus

Darum will Correctiv irgendwann keine Großspender und Förderer mehr brauchen und nur noch von Mitgliedern bezahlt werden. Knapp 2500 gibt es bislang, erstaunlich wenig. Gründer David Schraven träumte kurz nach dem Start von „30 000 Mitgliedern, die wir in den ersten drei Jahren erreichen wollen“. Warum ist der Ansturm ausge­blieben? Von Correctiv gab es dazu keine Stellungnahme.

Solange die Mitgliederzahlen so bescheiden bleiben wie aktuell, muss auf anderen Wegen für Geld gesorgt werden. Das Vorgehen dabei stößt nicht nur auf Zustimmung. Dem Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius bereitet es „Bauchschmerzen“, wenn er hört, wie wenige Berührungsängste Correctiv beim Spendensammeln hat. Dabei bezieht er sich auf Chefredakteur Grill, der erklärte, „wenn das Innenministerium diese Form des Journalismus unterstützenswert findet und keine Bedingungen stellt, hätte ich damit genauso wenig ein Problem wie Cicero oder Spiegel, wenn sie von Ministerien Geld für Inserate bekommen.“ Brosius erinnert daran, dass „in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ganz bewusst die Staatsfinanzierung der Medien abgeschafft wurde, weil der Staat keinen Einfluss auf die Medien haben sollte“. Correctiv betont, dass es keinen Unterschied gebe zwischen einer bezahlten Werbeanzeige des Innenministeriums und einer direkten finanziellen Unterstützung. In beiden Fällen fließt schließlich Geld. Eine Sichtweise, der vom Deutschen Journalistenverband widersprochen wird. „Wenn Correctiv kein Problem darin sieht, Steuergelder anzunehmen, ist das blauäugig und wenig durchdacht“, erklärte Sprecher Hendrik Zörner, „die Medien, die als vierte Säule des Staates eine Wächterfunktion ausüben, können nicht von der zweiten Säule, der Exekutive, abhängig sein. Bei Zeitungen und Zeitschriften ist überdies eine klare Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung üblich, die in diesem Fall ebenfalls aufgehoben wäre.“ 

Mehr Geld und weniger Witz als die taz

Würde Correctiv sich dieser Sichtweise anschließen, müsste eine entscheidende Passage aus den Redaktionsstatuten getilgt werden. Dort heißt es: „Wir sind der Überzeugung, dass Recherchejournalismus in einer Demokratie systemrelevant ist und deshalb als ein Kulturgut wahrgenommen und verstanden werden muss, das genauso förderungswürdig ist wie Bildungseinrichtungen, Museen oder Theater.“ Hofft Correctiv auf einen staatlichen Rettungsschirm für den Journalismus? Auf Recherchejournalismus, der über Steuergelder subventioniert wird wie Museen und Opern?

Das wäre eine erstaunliche Haltung für investigative Journalisten. 

Von der Ausrichtung her wirkt Correctiv wie die taz, wenn sie mehr Geld und weniger Witz hätte. Es gibt Reportagen zu Pharmaunternehmen, den Sparkassen, über resistente Keime. Reportagen, denen man ansieht, dass renommierte Journalisten und Experten sie schreiben, so faktensatt kommen sie daher. Andererseits leistet es sich Beiträge, die ethische und journalistische Standards unterlaufen. So veröffentlichte Geschäftsführer Schraven unter der Schlagzeile „Sexskandal bei der AfD“ den Bericht über eine Landespolitikerin, die früher als freiwillige Prostituierte gearbeitet hatte. Das Privat- und Intimleben eines Menschen ist in einer liberalen Demokratie mit gutem Grund ein hohes Gut, für dessen Verletzung sehr triftige Gründe vorliegen müssen. Gründe, die in diesem Fall nicht gegeben waren. Correctiv kassierte für diese Enthüllung, die auch die Brost-Stiftung als „peinlich“ bezeichnete, einen Shitstorm seiner Leser und schob nach, dass die Politikerin „von jedem“ erpressbar gewesen wäre, wäre ihre frühere Beschäftigung weiterhin ein Geheimnis geblieben. Wahlkampfhilfe für die AfD von Correctiv? Wohl eher der Versuch, eine Grenzüberschreitung zu verklären, anstatt sich für sie zu entschuldigen. So sah es auch das Landgericht Düsseldorf und verbot die weitere Verbreitung des Artikels. Schraven hatte übrigens einen anonymen Ko-Autor, dessen Identität er aber „aus einem sehr triftigen Grund“ nicht verraten wollte. Nach der Logik, die an den „Sexskandal“ angelegt wurde, müsste Correctiv seine Identität lüften, damit besagter Autor nicht „von jedem“ erpressbar wird. 

Warnen vor der AfD

Vermutlich ist es kein Zufall, dass in einem Beitrag über die Alternative für Deutschland jedes Maß verloren ging. Correctiv hat sich gegenüber dieser Partei eindeutig positioniert und die Redaktion sogar ein „Schwarzbuch AfD“ herausgegeben. Ist ein solches Bekenntnisbuch hilfreich, um von der Öffentlichkeit als kritisches und glaubwürdiges Medium wahrgenommen zu werden? „Ja“, findet Grill und fügt hinzu, „so wie es auch gut gewesen wäre, wenn in der Weimarer Republik mehr Journalisten entschieden vor der NSDAP gewarnt hätten. Haltung und Journalismus schließen sich nicht aus.“ Ob die AfD nun mehr mit der NSDAP oder doch mit der Linken verbindet, sei dahingestellt. Ein „Schwarzbuch – Die Linke“ hält die Redaktion übrigens für überflüssig. Fest steht jedoch, dass es das gerne zitierte Credo, „ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten“, im Haltungsjournalismus schwer hat.

Im Kampf gegen Fake News will die Redaktion in der ersten Reihe stehen. Darum prüft sie für Facebook Beiträge, die von Nutzern gemeldet wurden, während die Open Society Foundation diese Arbeit mit einer sechsstelligen Summe finanziert. Correctiv wird damit zu einem publizistischen Laiengericht, das entscheidet, wo eine legitime Meinungsäußerung vorliegt und wo nicht. Kann es aber die Aufgabe von Journalisten sein, für Facebook Fake News zu identifizieren? Schadet der Kampf gegen Fake News womöglich der Meinungsfreiheit mehr als sie nutzt? Trotz mehrerer Nachfragen will Correctiv sich nicht dazu äußern. 

Faktencheck mangelhaft

Dabei wird schon in Bezug auf die Beiträge von Correctiv selbst die ganze Problematik dieses Kampfes gegen die Lügen deutlich. In einem Faktencheck widerlegt die Redaktion vermeintlich die Behauptung, dass Deutschland seit der Flüchtlingskrise unsicherer wurde. Allerdings belegen die Zahlen des BKA das Gegenteil. Damit steht Correctiv im Verdacht, Fake News zu verbreiten, was zur absurden Situation führen kann, dass Correctiv in seiner Funktion als Fake-News-Prüfer vor sich selbst als Fake-News-Verbreiter warnen müsste.

Erschwert wird das alles noch dadurch, dass die Qualität der Correctiv-Faktenchecks mangelhaft ist. „Stimmt es, dass Can Dündar über die Lieferung türkischen Giftgases an Syrien berichtet hat?“, wird da gefragt, um schließlich zum Ergebnis zu kommen, „die Behauptung ist falsch“. In Wahrheit berichtete die türkische Zeitung Cumhuriyet, deren Chefredakteur Dündar damals war, sehr wohl über Giftgaslieferungen an Syrien, wie Dündar selbst bestätigt hat. In einem weiteren Faktencheck bezeichnete Correctiv die Aussage von Christian Lindner, dass die Einbrüche in Nordrhein-Westfalen zugenommen hätten, als „komplett falsch“ und lag auch damit daneben. 

Schwankendes Niveau

Das Niveau schwankt sehr. Die Faktenchecks werden erstaunlich oft in den Kommentarspalten durch die Leser korrigiert. Online-Angebote wie Bildblog oder Übermedien weisen auf inhaltliche Fehler hin. Die bislang ambitionierteste Falschmeldung stammt aus der Nacht der US-Präsidentschaftswahl, in der Correctiv kurzerhand Hillary Clinton zur Gewinnerin erklärte und die Leser wissen ließ, dass Donald Trump ein „mieser Verlierer“ sei, der jetzt bestimmt wegen Depressionen behandelt werden müsse. 

Sind das Referenzen, die zum Kampf gegen Fake News prädestinieren? Dank der finanziellen Ausstattung bringt das Recherchezentrum viel Potenzial mit, um exzellente Arbeit abzuliefern. Ob dieses abgerufen wird, hängt stark davon ab, ob die Haltung oder der Journalismus im selbst erklärten Haltungsjournalismus überwiegt. 

Gravierender ist, wie sich Correctiv zur Frage staatlicher Förderung positioniert. Wenn es diese nicht ausschließt, reißt es Brandmauern ein, die die Unabhängigkeit des Journalismus sichern sollen. Eine Entwicklung, die sicher kein Großspender unterstützen wollte. Dass Correctiv dem Journalismus in Deutschland neue Impulse geben kann, ist schwer vorstellbar, solange es den Staat als potenziellen Partner betrachtet. Aber vielleicht erleben wir ja im Zeitalter der alternativen Fakten den Aufstieg des alternativen investigativen Journalismus.

 

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