Gründungsmitglied Konrad Adam - Warum ich aus der AfD austrete

In der AfD tobt ein Machtkampf, der zur Spaltung der Partei führen könnte. Der letzte der drei Gründungsvorsitzenden, Konrad Adam, hat inzwischen seinen Austritt angekündigt. Hier erklärt er exklusiv, warum – und was Alexander Gauland damit zu tun hat.

Konrad Adam und Alexander Gauland auf einer AfD-Pressekonferenz 2015 / dpa
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Autoreninfo

Konrad Adam ist Mitbegründer der AfD. Ende September 2020 erklärte er seinen Austritt aus der Partei. Bis 2000 war er Mitglied der Feuilleton-Redaktion der FAZ, danach bis 2007 politischer Chefkorrespondent der Welt.

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„Eines verspreche ich Ihnen: Wenn Sie endlich mal abgenippelt sind, dann komme ich an Ihr Grab und werde es bepissen. Und alle meine Genossen kommen mit. Sie werden in der tiefsten Hölle brutzeln, an den Füssen aufgehängt, mit glühenden Zangen gequält und jeden Nagel einzeln ausgerissen, die Zunge abgeschnitten . . . und alle Ihre Feinde stehen herum und klatschen freudig Beifall!“
Anonymer Brief, den Konrad Adam nach seiner Wahl zum Kreisvorsitzendenden erhielt.

Wie oft bin ich gefragt worden, was mich getrieben habe, zusammen mit ein paar anderen den wenig aussichtsreichen Versuch zu unternehmen, im festgefügten deutschen Parteienstaat eine neue Partei zu gründen. Noch öfter werde ich gefragt, warum ich denn mit meinem Abschied so lang gewartet habe, nachdem das Abgleiten und Versinken der AfD im Brackwasser der Reaktion nicht mehr zu übersehen war.

Die Antwort klingt in beiden Fällen ziemlich gleich: Weil es zu den Freuden des Lebens gehört, etwas für eine Gemeinschaft zu tun, die größer ist als man selbst. Oder, um eine ehrwürdige Quelle zu zitieren: Weil ich mit John Adams, dem zweiten Präsidenten der USA, der Ansicht bin, dass einer der Hauptzwecke des Staates darin besteht, die Leidenschaft, sich auszuzeichnen, in geregelte Bahnen zu lenken.

Loslassen, wenn alle Ermahnungen nicht mehr fruchten

Ich wollte etwas für das Land und seine Leute tun, und dieser Wunsch erlischt nicht schon dadurch, dass der Versuch anders ausgeht als erhofft oder geplant. Eltern bleiben für ihren Nachwuchs verantwortlich, und zwar auch dann – und dann vielleicht sogar erst recht – , wenn er erkennbar auf die falsche Bahn gerät. Erst wenn alle Ermahnungen und Eingriffe nicht mehr fruchten und selbst Strafen ohne Wirkung bleiben, darf oder muss man loslassen. Deshalb so spät.

Bernd Lucke, der erste und talentierte Vorsitzende der beiden ersten Jahre, ist nie müde geworden, uns, seine parteipolitisch weitgehend unerfahrenen Vorstandskollegen, vor zwei Gefahren zu warnen: vorm Abdriften ins rechte Aus und in finanzielle Unregelmäßigkeiten. Beides würde unseren Gegnern ideale Angriffsmöglichkeiten zuspielen, beides müsse unbedingt vermieden werden.

Diese Mahnungen sind schon zu Luckes Amtszeit von diesem oder jenem in den Wind geschlagen worden – aus Leichtfertigkeit, Ehrgeiz oder purer Dummheit; denn was gibt es Dümmeres als die Bereitschaft, sich freiwillig in eine Ecke zu begeben, in die der Gegner einen drängen will?

Gauland hat der Zerstörung vorgearbeitet

Jörg Meuthen, Alice Weidel und manche andere haben sich bei der Finanzierung ihres Wahlkampfs Blößen gegeben, die schwer zu überdecken sind, und Gauland, „Onkel Gauland“, wie er sich auf den Kaffeepötten des AfD-Fan-Shops titulieren lässt, Gauland hat sich aus Gründen, die wohl für immer sein Geheimnis bleiben werden, zum Schutzengel von dunklen Ehrenmännern wie Höcke oder Kalbitz aufgeschwungen. So hat er selbst die Flanken aufgerissen und der Zerstörung dessen vorgearbeitet, was er mit falschem Stolz sein Lebenswerk zu nennen pflegt.

Wer seinem merkwürdigen, schwer durchschaubaren Charakter auf die Spur kommen will, sollte sich daran erinnern, dass Gauland ein Grenzgänger ist. In Chemnitz geboren, wechselte er als junger Mann kurz vor dem Mauerbau in den Westen. Dort studierte er die Rechtwissenschaften und fand Beschäftigung im Presseamt der Bundesregierung, damals noch in Bonn. Als Oberbürgermeister Walter Wallmanns rechte Hand kam er nach Frankfurt, wo er eine auf Ausgleich bedachte Politik betrieb, die zumal auf kulturellem Gebiet bleibende Spuren hinterlassen hat.

Ein Mann ohne Standpunkt

Zusammen mit Wallmann, dem ersten Umweltminister der Republik, wechselte er dann nach Bonn, um wenig später, nach dem Wahlsieg der hessischen CDU, als Staatssekretär nach Wiesbaden zurückzukehren. In diese Zeit fällt sein zähes und unerbittliches, bis heute rätselhaftes Vorgehen gegen einen Ministerialbeamten, von dessen traurigem Schicksal Martin Walser in seinem Roman „Finks Krieg“ berichtet hat.

Indem er Gauland, neben Fink selbst die Hauptfigur des Romans, unter dem Kleist entlehnten Namen „Tronkenburg“ niemals selbst auftreten, sondern stets im Hintergrund agieren und die Fäden ziehen lässt, trifft Walser einen Charakterzug Gaulands. Sein Verhalten bot manche Angriffsfläche und hätte zum Verlust seiner Pensionsansprüche führen können, wenn das Verfahren von der nachfolgenden SPD-Regierung nicht eingestellt worden wäre. Leider habe ich den Roman zu spät gelesen, er hätte mich vor mancher Fehleinschätzung bewahren können.

Heute neige ich dazu, Gauland für einen Mann ohne Standpunkt, ohne Kompass, letztlich auch ohne Überzeugung zu halten – für einen Parteipolitiker von altem Schrot und Korn. Die Macht, ein Aphrodisiakum, das süchtig macht, hat es ihm angetan, er will sie auch im Alter nicht mehr missen. Andere nennt er gern prinzipienlos, erträgt, bemäntelt und verteidigt in der von ihm geführten Fraktion aber die tollsten Widersprüche.

Hohle Phrasen und üble Dissonanzen

Auch anderswo führen die Lobbyisten das große Wort, doch nirgends sonst so ungeniert wie in der AfD. Das unter Zeitdruck, in gerade einmal zwei Tagen zusammengeflickte Parteiprogramm strotzt nur so von hohlen Phrasen und üblen Dissonanzen, manche Kapitel lesen sich, als wären sie aus den Werbeprospekten der Energiewirtschaft, des Bauernverbandes oder der Autoindustrie abgeschrieben.

Selbst zur Einwanderungsfrage, dem Leib- und Magenthema der Partei, verlief die Diskussion so chaotisch, dass am Morgen des zweiten Tages widerrufen werden musste, was am Abend zuvor beschlossen worden war. Die AfD dürfte die einzige Partei sein, die es fertiggebracht hat, eine der dümmsten Parolen, den Ruf nach freier Fahrt für freie Bürger, in den Rang einer politischen Forderung  zu erheben. Gewiss, Programme spielen keine große Rolle; in einer Partei, in der sich auch schlichte Gemüter als Basisdemokraten aufspielen und Rederecht beanspruchen können, aber doch.

Jeder gegen jeden

Wahrscheinlich könnte eine starke, auch intellektuell starke Parteiführung die Auswüchse der Basisdemokratie in Grenzen halten; doch eine solche Führung gibt es eben nicht, wird es auf absehbare Zeit wohl auch nicht geben, da die führenden Leute im Bund und in den Ländern vollauf damit beschäftigt sind, einander das Wasser abzugraben; wer wissen will, wie es im Naturzustand, wo jeder jeden bekämpfte, zugegangen sein mag, sollte sich in der AfD umsehen.

Das eingangs zitierte Motto ist ein drastisches, aber keineswegs untypisches Beispiel für den Umgangston, der in der AfD eingerissen ist, seit hunderte von gutbezahlten Mandaten auf allen möglichen Ebenen in Aussicht stehen. Mit seinen Sprechchören, seinen wütenden Attacken und handgreiflichen Auseinandersetzungen markiert der Essener Parteitag, auf dem Gauland ans Ruder kam, den Wendepunkt zwischen damals und heute. 

Die Geldgier des Armin-Paulus Hampel

Die Folge ist ein Personalverschleiß, der auch einer mitgliederstärkeren Partei zu schaffen gemacht hätte. Allein der hessische Landesverband hat in zwei Jahren drei zehnköpfige Vorstände verbraucht, insgesamt also dreißig einsatzfähige Leute verschlissen, die jetzt natürlich fehlen; das alte Sprichwort, wonach beim Umsturz der größte Lump an die Spitze kommt, gilt immer noch.

In Niedersachsen hatte sich der ehemalige Reporter Armin-Paulus Hampel schon vor Jahren durch seine Geldgier einen Ruf wie Donnerhall erworben; der Verdacht, sich zu Lasten der Partei bereichert zu haben, hatte sich immerhin soweit verdichtet, dass Hampel die Entlastung verweigert worden war. Jetzt, mit mehrjähriger Verspätung, ist sie dann aber doch noch zustande gekommen, vermutlich als das Ergebnis eines Koppelungsgeschäfts, bei dem Hampel seinem Nach-Nachfolger, dem Bestattungsunternehmer Jens Kestner, die Mehrheit versprach, wenn der im Gegenzug für seine Entlastung sorgte. So ist es dann ja auch gekommen.

Das Kapital in kurzer Zeit verschleudert

Ihren fulminanten, uns selbst überraschenden Start verdankte die AfD dem Gespür, mit dem sie das richtige, von allen anderen verdrängte oder verschwiegene Thema, die Euro-Krise, aufgriff. Auf einen Schlag stand sie als die einzig wahrhafte Oppositionspartei da, was ihr Wähler zuführte, die daran glaubten, dass eine lebendige Demokratie eine lebendige, wirkungsvolle und artikulationsfähige Opposition braucht; an der es damals aber fehlte.

Dies Kapital hat die Partei in kurzer Zeit verschleudert. Damals, vor sieben Jahren, waren wir nach Heidelberg gefahren, um uns von Paul Kirchhof sein alternatives Steuermodell erklären zu lassen. Es interessierte uns, weil es übersichtlich war, mit vier oder fünf Steuerarten auskam, die zahllosen Schlupflöcher, die der Belastungsgerechtigkeit spotten, vermied und auch dem fachlich unberatenen Bürger erlaubt hätte, seine Steuerlast aus eigenem Wissen zu überschlagen. 

Albrecht Glaser missfiel die Erbschaftssteuer

Was für eine Chance für eine neu gegründete Partei! Mit einem durchgerechneten Modell und einem ausformulierten Gesetzestext wären ihr im Bundestag auf Anhieb Aufmerksamkeit und Sympathie zugefallen. Diese Chance wurde vertan, weil Albrecht Glaser, einem Mann, der sich jedes Amt, auch das des Bundespräsidenten zutraut, die von Kirchhof vorgesehene Erbschaftssteuer missfiel.

Zwar lässt sich in Zeiten schnell wachsender Riesen-Vermögen kaum eine Steuer besser begründen als die aufs Erbe, doch was ist Kirchhof gegen Albrecht Glaser? Indem er von einer Neidsteuer sprach, brachte er die AfD um eine großartige Gelegenheit, sich als Anwalt des mündigen, selbstbewussten Bürgers zu profilieren. Eitelkeiten und Idiosynkrasien aller Art zählen in dieser Partei mehr als der Einsatz fürs gemeine Wohl; sie rauben der AfD ihre Chancen.

Mit westlicher Technik Stimmenfang im Osten

Und Gauland? Der bleibt ein Wanderer zwischen zwei Welten. Als wir kurz nach der Wende die alte DDR, die es damals ja noch gab, besuchten, führte uns der Weg auch in Gaulands Heimatstadt Chemnitz. Vor seinem Geburtshaus ließ er den Wagen halten, stieg aus, besah das alte, völlig verkommende Treppenhaus und kam nach kurzer Zeit mit allen Zeichen der Fassungslosigkeit zurück. Schrecklich, nicht wiederzuerkennen hieß sein halblaut gemurmelter Kommentar.

Später ist er, vom Schicksal begünstigt, nach Potsdam gezogen, wo er bis heute lebt. Von dort aus versucht er, ähnlich wie Höcke und Kalbitz, aber auch wie Bodo Ramelow von der Linken, mit westlicher Technik östliche Stimmen einzufangen. Er muss „den Laden zusammenhalten“, wie er sich ausdrückt, will gewählt werden, „egal von wem“. Und das heißt: Alles, bloß keine Grenzen ziehen! 

Es sieht nach Spaltung aus

Mit dieser Politik ist er gescheitert. Wallmann, sein politischer Ziehvater, wusste über die Bedeutung von Grenzen offenbar besser Bescheid, als er ihm, seinem Staatssekretär, erklärte, er sei ja ein vorzüglicher Beamter, solle von der Parteipolitik aber die Finger lassen, davon verstehe er nichts. Gauland hätte auf ihn hören sollen. Von Grenzen, von eigenen, taktischen und strategischen Grenzen will er allerdings nichts wissen.

Deswegen sieht es jetzt nach Spaltung aus, und wenn es das Unglück will, könnte die erste und bisher einzige im wiedervereinigten Deutschland neu gegründete Partei entlang der alten Zonengrenze wieder auseinanderfallen.

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