Erneute Kanzlerkandidatur - Die Merkel-Soap

Die Bundeskanzlerin bettet ihre abermalige Kandidatur in eine große Inszenierung, in der sie die Rolle der letzten Weltenretterin spielt, die sich für Deutschland aufopfert. Doch nehmen ihr die Wähler diese Geschichte ab?

Nur bei Robbie Williams und Barbara Schöneberger gab's mehr Leidenschaft als bei Barack Obama und Angela Merkel / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Das muss man lassen: Wer immer sich den Plot des bewegenden Merkel-Mehrteilers der vergangenen Tage ausgedacht hat – er versteht etwas von politischer Inszenierung. Erst kam der mächtigste Mann der Welt im Rahmen einer ziemlich sinnlosen Europatournee als scheidender US-Präsident in Berlin vorbei und turtelte und schäkerte mit der deutschen Kanzlerin, dass manche Szenen an politische Erotik grenzten. Barack Obama, der einst das Handy von Angela Merkel abhören ließ, bekundete mit seiner coolen Stimme und all seinem Charisma, dass er mit niemandem vertrauensvoller zusammengearbeitet hätte als mit der deutschen Kanzlerin. Und zwischen all den Küsschen und Knuddeln brachte der politische Popstar auch noch die Bemerkung unter, dass er als Deutscher ein Anhänger Merkels wäre. Unverfrorener und unverhohlener erlebt man direkte Wahlkampfhilfe selten.

Leidenschaftlicher als Obama bei Merkel war zeitgleich nur ein anderer Popstar in Berlin, Robbie Williams, der sein Gesicht im Dekolleté von Bambi-Moderatorin Barbara Schöneberger versenkte.

Wahlhelfer aus aller Welt

Anderntags flogen dann noch einige weitere europäische Staatenlenker in Berlin ein, die Parkplätze für Regierungsmaschinen in Tegel wurden schon knapp: Renzi aus Italien, May aus Großbritannien, Rajoy aus Spanien und Hollande aus Frankreich, allesamt mit einer Menge Problemen am Hals: Francois Hollande steht vor seinem politischen Ende, Matteo Renzi vor einem dramatischen Referendum über seine Verfassungsreform, Theresa May muss ein vom Brexit zerrissenes und ratloses Land durch die Unbilden dieser Ausstiegsentscheidung steuern, und das Beste, was man von Spanien unter Mariano Rajoy sagen kann, ist, dass es überhaupt mal wieder eine Regierung gibt.

Inmitten all dieser Umbrüche, zwischen dem dräuenden Nachfolger Obamas und schwächenden Europäern: die Gastgeberin, bejubelt und beifallumtost von ihren Gästen. Die verunsicherte westliche Welt schart sich um Angela Merkel, den Fels in der Brandung, die Erfahrene, die Besonnene, die letzte Hoffnungsfigur. Ach, nach diesen drei Folgen des politischen Reality-TV-Mehrteilers war einem schon ganz warm ums Herz und ein bisschen wohler auch. Auch wenn das Ganze gelegentlich ins Politpornografische spielte.

Dann der Sonntag. Angela Merkel bittet ihre Parteispitze nach Berlin, um ihr mitzuteilen, dass sie sich in Essen beim Bundesparteitag der CDU Anfang Dezember nicht nur als Parteivorsitzende wiederwählen lassen, sondern auch für eine vierte Amtszeit im kommenden Jahr bei der Bundestagswahl antreten möchte. Einige Trompeter in der Partei hatten dieses Ereignis schon zuvor mit kräftigen Fanfarenstößen angekündigt. Und für die kommende Woche haben sich die Unionsgranden in diversen Zirkeln mit Hauptstadtkorrespondenten verabredet, um diesem freudigen Ereignis weitere Kraft zu verleihen.

Nachmittags dann steigt zwar noch kein weißer Rauch auf, aber im Unterschied zum Vatikan dringt eben doch schon die eine oder andere Schwade nach draußen: Sie tritt wieder an. Nach langem Überlegen. Weil ihr  Deutschland so viel gegeben hat. Und sie Deutschland etwas zurückgeben möchte. Für den Abend ist eine Pressekonferenz anberaumt. 19 Uhr, noch vor dem Tatort. Und danach wieder ungestört und exklusiv zu Anne Will in die Sendung.

Schulz und Gabriel vermitteln keine Geborgenheit

Der Plot in den kommenden Tagen und Wochen wird sich an den Folgen des Merkel-Nominierungs-Mehrteilers der vergangenen Tage orientieren: In diesen krisenhaften Zeiten, kann es nur eine Wahl geben: Jene von Angela Merkel. Nur sie kann Deutschland und die Welt jetzt noch retten: vor Trump, vor der AfD, vor einer neuen globalen Krise. Zumal keiner von beiden denkbaren Gegenkandidaten der SPD, von denen mutmaßlich am Montag einer ebenfalls nominiert werden wird, dem Wahlvolk ein größeres Gefühl der Geborgenheit vermittelt. Weder bei Martin Schulz noch bei Sigmar Gabriel ist das der Fall.

Der Merkel-Mehrteiler geht weiter

Also wird der Merkel-Mehrteiler so weitergehen: In Essen wird die CDU ihre Kanzlerin feiern wie seinerzeit in Karlsruhe nach der umstrittenen Grenzöffnung vom 4. September. In einer Weihnachtsbotschaft wird die Kanzlerin ihr Volk einmal mehr davor warnen, nicht dem Bösen zu folgen. Das Böse, das sind einerseits die Brandstifter von AfD und Pegida, und andererseits, das wird in den kommenden Folgen des Merkel-Mehrteilers immer wieder thematisiert werden, anderseits ist das die Linksfront aus Rot-Rot-Grün, die das Land, käme sie an die Macht, dem Untergang weihen würde. 

Alles schon angelegt in den Drehbüchern für die kommenden Folgen. Großes Kino, ohne Frage. Doch darüber hinaus bleibt dann doch noch eine: Glauben genügend Wählerinnen und Wähler die Geschichte und wählen die angeblich einzige Person, der man in diesen krisenhaften Zeiten die Geschicke das Landes und der Welt anvertrauen kann? Oder lösen sie sich von der Mattscheibe und dem rührenden Plot und fragen sich für einen Moment, ob nicht Merkel selbst einigen Anteil hat an der Unsicherheit in Deutschland und der Zerrissenheit Europas, gegen die sie sich jetzt als Retterin empfiehlt.

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