En passant - Ode an Herrn Leffler

Die Sozialdemokraten sind nicht Schuld an dem Untergang ihrer Partei, schreibt Sophie Dannenberg. Die SPD verliere wie alle Volksparteien. Das Problem sei die Post-Post-Moderne, in der es einfach keine Gewissheiten mehr gebe

Erschienen in Ausgabe
Einen aufrechten Sozialdemokraten kennt Sophie Dannenberg noch / Illustration
Anzeige

Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

So erreichen Sie Sophie Dannenberg:

Anzeige

Dass die Sozialdemokratie untergeht, ist nicht mehr zu übersehen. Aber ich glaube nicht, dass die SPD dafür die Ursache ist. Sie ist genauso verwaschen wie die anderen großen Parteien, und wie die anderen wird sie immer belangloser. Wir haben zurzeit wohl nicht gerade die genialsten Politiker am Start, aber daran liegt es ja nicht. Der Eklektizismus der Post-Post-Moderne bildet sich eben auch im Zustand unseres Parteiensystems ab. Es gibt einfach keine Gewissheiten mehr, stattdessen Verwirrung und vorschnelle Versprechen.

Es ist sehr lange her, dass ich einem aufrechten Sozialdemokraten begegnet bin. Es ist so lange her, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob Herr Leffler aus meinem Heimatdorf tatsächlich die SPD gewählt hat. Aber er, Ostermarsch, Anti-Brokdorf, Friedenskreis, hatte immerhin noch diese spezielle sozialdemokratische Aura. Sie lässt sich nur schwer beschreiben, sie hat etwas Physiognomisches, eine Mischung aus Gerechtigkeitssinn, Unterschicht, trotziger Bildung, Schmerz und Mut. 

Das Proletariat ist wieder da

Wenn Herr Leffler mich ansah, hatte ich das Gefühl, der kämpft für mich – oder auch gegen mich –, auch wenn ich nicht mehr hätte sagen können, worin dieser Kampf bestand. Das Arbeiterkind Andrea Nahles hatte diese Aura nicht mehr. Sie war durch und durch Funktionärin, und sie war es vielleicht deshalb, weil die romantische Figur des geknechteten, aufbegehrenden Arbeiters längst ausgestorben ist. Statt seiner sieht man ständig trillerpfeifende Gewerkschafter in beschrifteten Plastikkitteln im Fernsehen. Ihre Plakate kommen offensichtlich frisch aus dem Druck. Ich frage mich jedes Mal, frei nach Brecht: Wer druckte die 700 Plakate? In den Büchern stehen die Namen von Gewerkschaftsfunktionären. Haben die Funktionäre an der Offsetdruckmaschine geschwitzt?

Und wo wir gerade am Schwitzen sind: Das Proletariat ist wieder da, und mit ihm die Klassengesellschaft. Wenn ich in meiner Wohnungstür stehe und zugucke, wie ein Paketbote in der Sommerhitze meine Waren durchs Treppenhaus schleppt, zu irgendeinem richtig fiesen Mindestlohn, dann ist schon klar, wer oben und wer unten ist. Aber der Bote, meist mit ausländischem Akzent, kann hier nicht wählen. Die Internationale hat er noch nie gehört. Vielleicht weiß er nicht mal, wer die SPD ist. Eine romantische Figur ist er schon gar nicht. Er ist einfach nur ein armes Schwein.

 

Dieser Text erschien in der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

Anzeige