En passant - Kaum ein Ausweg aus dem rassistischen Dilemma

Die neue Rassismus-Kritik am alten weißen Mann dokumentiert wahrscheinlich keinen historischen Wandel. Vielmehr legitimieren wir damit nur die bestehenden Verhältnisse, indem wir uns selbst für unsere aufrechte Haltung bewundern.

Gibt es einen Ausweg aus dem rassistischen Dilemma? / picture alliance
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Kürzlich forderte ein Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg, das Robert-Koch-Institut umzubenennen, weil Robert Koch in den afrikanischen Kolonien skrupellos agiert habe. Man könne Koch, sagte der Kolonialismusexperte, wohl kaum als Vorbild hinstellen. Ich fand das skurril. Abgesehen von der Anmaßung, den RKI-Mitarbeitern ausgerechnet jetzt den bürokratischen Aufwand einer Umbenennung zuzumuten, hat die Vergangenheit keinen Delete-Knopf. Wir können sie nicht zur Kolonie unserer heutigen Werte machen. Wir sind ja nicht unbedingt besser. Ich bin zwar auch gegen Kolonialismus und Rassismus, aber wer nicht?

Tausendmal eindringlicher als der eifrige Artikel über Robert Koch ist übrigens das neue Buch von Colson Whitehead, „Die Nickel Boys“. Es beruht auf Fakten, spielt zur Zeit der Rassentrennung in den USA und handelt von Schwarzen, die in einer Jugendstrafanstalt gefoltert werden. Man kann das nur lesen, ohne zu atmen, weil es so furchtbar und so furchtbar gut geschrieben ist.

Verwöhnter Antirassismus

Nach der Lektüre kam mir plötzlich eine unangenehme Erinnerung an eine Bustour durch Harlem hoch. Ich war noch sehr jung, der Tourleiter kam aus der Gegend und sprach mehrere Sprachen fließend. Als sich während einer Pause ein persönliches Gespräch zwischen uns ergab, wurde er kalt. Ich glaube, er verachtete mich für meinen verwöhnten Antirassismus, der noch nicht mal einer war, weil ich gar nicht darüber nachdachte, dass wir aus verschiedenen Welten kamen. Diesen Luxus leisten sich eben nur Weiße.

Meine Frage, woher er so gut Deutsch könne, beleidigte ihn. Kann man doch lernen, sagte er knapp. Er sprach das nicht aus, aber er dachte wohl: „Weil ich schwarz bin, hält sie mich wohl für blöd?“ Ich hatte das natürlich nicht so gemeint. Aber trotzdem irgendwie gesagt. Mir wurde damals klar, dass es kaum einen Ausweg aus dem rassistischen Dilemma gibt. Vielleicht liegt die einzige Macht, einen Feind in einen Freund zu verwandeln, tatsächlich in der Liebe, wie Martin Luther King sie beschwor. Doch wie schwer das ist, erzählt Whitehead in seinem Buch. Ich glaube jedenfalls nicht, dass die neue Kritik am alten weißen Mann einen historischen Wandel dokumentiert. Vielleicht wollen wir die bestehenden Verhältnisse eigentlich nur legitimieren, indem wir uns selbst für unsere aufrechte Haltung bewundern.

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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