Eklat im Saarland - Hääääääää?!

Ein Video einer saarländischen Grünen-Politikerin sorgt für Spott und Häme. Ausgerechnet die stellvertretende Landesvorsitzende und Bundestagsbewerberin scheint sich nicht mit den Inhalten der Grünen-Politik auseinandergesetzt zu haben. Wird der Bundestag zur politischen Resterampe?

Grünen-Politikerin Irina Gaydukova. Um Bodo Ramelow zu zitieren: „Ääääääääääääääh“ / Youtube Screenshot
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Autoreninfo

Reinhard Mohr (*1955) ist Publizist und lebt in Berlin. Vor Kurzem erschien sein Buch „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag, München).

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Eigentlich wären die gut zwei Minuten auf Youtube, die binnen kurzer Zeit zum viralen Hit avancierten, ein Zuckerschlecken für die heute show gewesen, hätte es nicht just am vergangenen Freitagabend eine vorbereitete Spezialausgabe zum Thema Klimawandel gegeben. Es wäre ein wahres Fest für die öffentlich-rechtlichen Satiriker wie Gernot Hassknecht geworden, die sonst Linke und die Grünen meist schonen: Irina Gaydukova, 52, von den Saar-Grünen gerade für den Listenplatz 2 zur Bundestagswahl nominiert und stellvertretende Landesvorsitzende, glänzte mit kompletter Ratlosigkeit und peinlichem Schweigen, als sie nach ihrer Haltung zur „Fahrradpolitik“, dem Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz sowie zum Handel mit CO2-Zertifikaten gefragt wurde – Kernpunkte des grünen Wahlprogramms.

Sie schaffte es nicht einmal, mit den üblichen rhetorischen Mitteln des glattgebügelten Politsprechs, den längst auch die einst anarchisch-widerständigen Grünen beherrschen, elegant um die Fragen herum zu schwurbeln oder in Olaf-Scholz-Manier mit „schlumpfigem Grinsen“ (Markus Söder) einfach auf Fragen zu antworten, die niemand gestellt hat.

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Verstehen Sie Spaß?

Ein paar Mal bewegte Frau Gaydukova ihre roten Lippen. Einmal, um zu fragen, ob sie „Zeit zum Überlegen“ habe – der Rest war Lächeln in der Psycho-Logik der Übersprungshandlung und hilflose Blicke ins konsternierte Publikum, in dem womöglich einige Ex-Zuschauer der legendären Fake-Sendung Verstehen Sie Spaß? saßen und in ihrer Not auf das postmortale Erscheinen von Kurt Felix und Paola hofften: Bitte lass es nur einen Witz gewesen sein!

Jenseits notorischer deutscher Sekundärtugenden wie Schadenfreude, Fremdschämen, Häme, Hohn und Spott stellt sich jedoch zuvörderst eine Frage: Wie kann es sein, dass jemand (gerne auch jefrau) an vorderster Stelle für den Deutschen Bundestag kandidiert und schon bei der ersten Gelegenheit seine bzw. ihre völlige Inkompetenz offenbart? Geht es inzwischen gar nicht mehr um fachliche Qualifikation, politische Erfahrung und kommunikative Intelligenz, zu schweigen von politischen Zielen und Überzeugungen? Und: Hat das Fehlen dieser und anderer Eigenschaften vorher in der Partei, die ab Herbst die Kanzlerin stellen will, niemand bemerkt?

Kurz: Ist die oberste Vertretung des Volkes zur finanziellen Versorgungseinrichtung geworden, zur politischen Resterampe, die monatliche Einkünfte von bis zu 20.000 Euro brutto garantiert, Motto: Fällt Dir überhaupt nichts ein, zieh‘ doch in den Reichstag ein!?

Welche Missachtung des Parlaments steckt, bitteschön, dahinter?

Sinkendes „politisches Professionalitätsniveau“

Schon beim Listenplatz Nummer 1 war es saarüblich drunter und drüber gegangen, als die grünen Delegierten, statt satzungsgemäß eine Frau an die Spitze zu wählen, sich für einen alten weißen Mann und langjährigen Saarbrücker Strippenzieher entschieden, nachdem die weibliche Kandidatin in allen drei Wahlgängen durchgefallen war.

Annalena Baerbock persönlich schleuderte zornig Blitze aus Berlin an die Saar und zeigte damit, dass sich die ur-grüne Frauenquote inzwischen zum biologischen, ja sexistischen Dogma verfestigt hat – das exakte Gegenteil der Ideologie des Gender-Mainstreaming.

Auch wenn immer noch nicht klar ist – Stand 26. Juni, 15 Uhr – ob Irina Gaykudova nun aus der Partei ausgetreten ist oder nicht, weist der absurde Vorfall über das kleine Saarland hinaus (inzwischen ist bekannt, dass sie die Fraktion verlassen hat, Anm. d. Red.). Der Parteienforscher Benjamin Höhne deutet im Tagesspiegel in höflicher Zurückhaltung an, dass das „politische Professionalitätsniveau“ mit einem wachsenden Anteil neuer Parteimitglieder abzunehmen scheine. Das betrifft gegenwärtig vor allem die Grünen, bei denen viele neue Mitglieder, darunter sehr junge Aktivisten von „Fridays for Future“, in den Bundestag streben.

Gleiche Maßstäbe für alle, bitte!

Allerdings ist Inkompetenz keine Altersfrage. „Hier wird gerade ein Mensch kaputt gemacht“, twitterte Bundesverteidigungsministerin, Ex-CDU-Chefin und Ex-CDU-Kanzlerkandidatin in spe Annegret Kramp-Karrenbauer, die nächstes Jahr 60 Jahre alt wird, in irritierender Pseudologik. Frau Gaydukovas Auftritt sei „sicher alles andere als professionell“ gewesen, aber die Reaktionen dazu im Netz finde sie „noch unprofessioneller und beschämend".

So verrutschen die Maßstäbe. Eine stellvertretende Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin für den Bundestag wird hier mit Internet-Nerds und anderen social-media-Deppen auf eine Stufe gestellt!

Nein, wenn schon die Frauen-Quote ihren Siegeszug fortsetzt, dann müssen erst recht sachliche, also „professionelle“ Kriterien gleichermaßen bei allen angelegt werden. Ein 52-jähriger Hetero-Mann, toxisch weiß und mittelalt, der auf derart peinliche Weise versagt hätte wie Frau Gaydukova, wäre in ganz ähnlicher Weise der Lächerlichkeit preisgegeben worden – und das zu Recht.

Zurück zum Kern demokratischer Politik

Vielleicht ist es nach den insgesamt eher suboptimalen Auftritten führender Politikerinnen – Franziska Giffey, jetzt ohne Dr., Annalena „Völkerrecht“ Baerbock und Bettina „Indianerhäuptling“ Jarasch – sowieso an der Zeit, wieder auf den Kern demokratischer Politik zurückzukommen: Worum genau geht es, und wer kann die besten Lösungen anbieten?

Der Clou: Frauen können die Interessen von Männern vertreten – und umgekehrt. 1972 erhielt Willy Brandt bei seinem grandiosen Wahlsieg fast genauso viele Stimmen von Frauen wie von Männern.

Was für eine verrückte Welt war das damals! 

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