En Passant - Being Edward Snowden

Sophie Dannenbergs Nachbarn wollen Edward Snowden in ihrer Wohnung Asyl gewähren. Davon bekommt er freilich nichts mit. Doch politische Affirmation ist heutzutage besonders wichtig. Sonst gehört man nicht dazu

Erschienen in Ausgabe
Aysl für Edward Snowden / picture alliance
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Autoreninfo

Sophie Dannenberg, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Debütroman „Das bleiche Herz der Revolution“ setzt sich kritisch mit den 68ern auseinander. Zuletzt erschien ihr Buch „Teufelsberg“

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Gerade habe ich wieder an Edward Snowden gedacht. Seine Memoiren gehen durch die Decke, demnächst läuft sein Aufenthaltsstatus in Russland ab, und längst überlegen alle, wo er hinsoll: Frankreich, Deutschland, Schweiz? Ich sage: Berlin-Charlottenburg.

Meine Nachbarn, als ich dort noch wohnte, klebten nämlich schon vor Jahren einen Sticker an ihre Wohnungstür, auf dem stand: „Wir bieten Edward Snowden Asyl.“ Daneben sein Konterfei, für den Fall, dass jemand seinen Namen nicht kennen sollte. Ich nehme an, dass Snowden von diesem Angebot bis heute nichts weiß.

An dieser Tür gingen nur die Leute aus den zwei oberen Stockwerken vorbei, das waren der Hausmeister und ich, und keiner von uns hat Snowdens Kontakt. Und Snowden selbst spaziert wohl eher nicht durch die Charlottenburger Hinterhäuser. Die NSA zwar auch nicht, aber ausgerechnet in diesem Fall nützt das Snowden ja gar nichts.

Dazugehören ist wichtig

Darum glaube ich, dass der Sticker meinen Nachbarn zur Selbstaffirmation diente. Er sollte ihnen wohl zeigen, wer sie tief im Herzen waren, abends, wenn sie von der Uni nach Hause kamen. Ich will nicht lästern, es waren freundliche Nachbarn, und Größenfantasien habe ich selbst. Ich stelle mir manchmal vor, dass mich Idris Elba nach dem Weg fragt und ich so cool bin, kein Selfie mit ihm zu machen. Das ist ja so ähnlich.

Aber ich finde die Frage interessant, warum Selbstaffirmation so oft über politische Heldenfantasien läuft. Am Ende der Straße, in der ich jetzt wohne, steht eine Litfaßsäule, daran hängt ein Werbeplakat für eine Datingplattform. Dort, heißt es, „findest du Partner, Freunde und Seelenverwandte, die so denken wie du“. Das fand ich so schräg, dass ich nachsah. Die Plattform, fand ich heraus, ist eine „Kennenlernen-Community von solidarisch, ökologisch und mitmenschlich denkenden Menschen“.

Es gibt dort sogar eine „vegan-vegetarische Suchoption“, die die Partnersuche unterstützt. Man muss nur die Jahresgebühr von 94 Euro zahlen, und schon ist man ein aufrechter Mensch und gehört dazu. Und das ist offenbar wichtig. Ich glaube, das fühlt sich so gut an, wie einen Cayenne zu kaufen, weil die Werbung sagt, dass er uns sexy macht. Zu Zeiten des Klimawandels gilt das ja nicht mehr, versteht sich. Heute ist Politik der neue Sex. Und hat noch den Vorteil, dass sie absolut nichts kostet. Also greifen Sie zu.

Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

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