Dreikönigstreffen - Tanz am Abgrund 

Die FDP hat aktuell das politische Moment auf ihrer Seite und nutzt es geschickt. Das wurde bei dem traditionellen Dreikönigstreffen deutlich. Doch der Tanz der Liberalen ist ein Tanz am Abgrund. Bald wird in der Koalition der Kampf um die Deutungshoheit dessen ausbrechen, was modern ist: Freiheit oder verordnete Progressivität. Spätestens dann wird es für die FDP um die eigene Zukunft gehen.  

Wenigstens einer freut sich beim Dreikönigstreffen: Finanzminister Christian Lindner / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Sie kann vor Kraft kaum Laufen, die FDP des noch jungen Jahres 2022. Und wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre und Monate vor Augen führt, weiß man auch warum. Es sei ihr gegönnt. Dies umso mehr, als die Liberalen bei ihrem diesjährigen Dreikönigstreffen alle triumphalistischen Töne so gut wie möglich vermieden. Man gab sich vergleichsweise bescheiden. Verhehlte aber nicht, wen man für die eigentliche Stimme der Vernunft in der derzeitigen Ampelkoalition hält. Und vermutlich hat man mit dieser Selbsteinschätzung nicht einmal unrecht. 

Im Zentrum der abermals digitalen Zusammenkunft der Liberalen stand naturgemäß die Rede Christian Lindners – „vielleicht einer der brillantesten Redner in Deutschland“, „einer der mutigsten Vorkämpfer, der den Aufstieg der Freien Demokraten in Deutschland ermöglicht hat“ und „politischer Stratege der Sonderklasse“, wie Judith Skudelny, FDP-Generalsekretärin in Baden-Württemberg, lobhudelte. 

Adressat waren die Grünen

Am Donnerstag nun siegte eindeutig der Stratege über den Redner. Lindner glänzte nicht mit griffigen Formulierungen, schlagkräftigen Bildern oder scharfen Attacken, sondern mit wohldosierter Herausstellung des eigenen Profils. Adressat dabei war dabei nicht nur die Opposition, sondern auch die eigenen Koalitionspartner – namentlich die Grünen. 

Entsprechend legte Lindner einen beherzten Spagat hin, kritisierte die Union für ihre Forderung nach Lockdown und Impfpflicht, betonte, den Freien Demokraten gehe es darum, „konsequenten Gesundheitsschutz einerseits mit möglichst viel gesellschaftlicher Freiheit andererseits zu erhalten“, sprach sich für qualifizierte Einwanderung aus, unterstrich aber zugleich, dass eine moderne Einwanderungspolitik dafür sorge, „dass jene, die keinen Platz bei uns haben, auch wieder in ihre alte Heimat zurückgeführt werden können“. Und so zog sich der Faden höherer politrhetorischer Dialektik durch Lindners gesamte Rede: Umweltschutz verstärken, aber mit Innovationen statt Verboten. Mobilität mit Bahn und Rad, aber auch mit dem Auto. Nachtragshaushalt ja, aber Einhaltung der Schuldenbremse ab nächstem Jahr. 

Die FDP steckt in einem unlösbaren Dilemma

Das Risiko dieser Strategie ist offensichtlich. Die FDP steckt in dem unlösbaren Dilemma, liberale Ziele gegenüber den staatsinterventionistischen Koalitionspartnern nur um den Preis unschöner Zugeständnisse durchsetzen zu können. Noch gelingt es Christian Lindner, diesen Kernwiderspruch dialektisch ins Positive zu wenden. Nicht verhandelbar, so betont man gerne, sei lediglich die Freiheit des Einzelnen, was Lindner übrigens zu dem bemerkenswerten Satz hinriss, der Schutz der Gesundheit sei ein hohes Gut, „aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit“. 

Große Worte. Doch genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Noch hat die FDP das politische Aktionsmoment auf ihrer Seite. Doch schon mittelfristig werden die Widerstände wachsen. Die Grünen werden auf eine redigistische Umweltpolitik pochen, die SPD auf sozialstaatliches Profil. Und auch die nächste Flüchtlingswelle kommt bestimmt. Über Finanzen haben wir bis dahin noch gar nicht gesprochen. 

Gefahr durch Aktionismus gebannt

Der aktuelle Tanz der FDP, er ist ein Tanz am Abgrund. Ein Fehltritt, und die Liberalen stürzen in den gähnenden Abgrund des politischen Spielverderbers, der aus liberaler Borniertheit die allgemeine Gesundheit, sie soziale Sicherheit oder das Klima gefährdet. Im ersten Anlauf gelang es Lindner, diese Gefahr durch Aktionismus zu bannen. Doch in einem halben Jahr werden die ersten Projekte der neuen Regierung durchgewunken sein. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis SPD und Grüne mit den Fingern auf die Liberalen zeigen und versuchen werden, sie als die großen Bremser darzustellen. Dann beginnt der Kampf um die Deutungshoheit dessen, was „modern“ ist: Freiheit oder verordnete Progressivität. Es wird zugleich ein Kampf um die Zukunft der FDP werden. 

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