Grüne wollen „Deutschland“ aus Programm streichen - Grüner wird's doch

Deutschland muss weg. Nein, nicht das ganze Land, nur der Name auf dem Wahlprogramm der Grünen. Aus „Deutschland. Alles drin“ soll „Grün. Alles drin“ werden. Reinhard Mohr erfüllt dieser semantische Befreiungsschlag mit Begeisterung. Endlich sind die guten alten Grünen wieder da.

Endlich wieder widerständig: Deutschland muss weg / dpa
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Autoreninfo

Reinhard Mohr (*1955) ist Publizist und lebt in Berlin. Vor Kurzem erschien sein Buch „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag, München).

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Endlich. Gott sei Dank. Wurde auch Zeit. Man hatte sich schon gefragt, wo eigentlich die grüne Seele geblieben ist, das Widerständige, Ungezähmte, Anti-Bürgerliche. Schweizer würden sagen: das „Urchige“. In all den maliziösen Tändeleien und Hochglanz-Inszenierungen rund um die Annalena und den Robert, die doch ein bisschen an Sissi und ihren Franz erinnerten, auch wenn die Machtverteilung damals noch ziemlich genderungerecht war, schien der letzte Rest der guten alten Protest- und Widerstandskultur zu verdampfen. Plötzlich sind die Grünen die neue, bessere, klimaneutrale CDU. Wie spießig ist das denn?

Nun aber kommt die Rettung.

„Deutschland muss weg!“ fordern mehr als 300 Mitglieder der Grünen in einem Änderungsantrag zum kommenden Krönungsparteitag, darunter der langjährige Berliner Parteichef Daniel Wesener, Lebensgefährte von Justizsenator Behrendt. Nein, natürlich soll nicht gleich das ganze Land verschwinden – womöglich als sarkastisches Echo auf Thilo Sarrazins Blockbuster „Deutschland schafft sich ab“. Nein, nur das Wort „Deutschland“. Noch genauer: Nur auf dem Deckblatt des knapp 140-seitigen Wahlprogramms von Bündnis 90/Die Grünen. Denn darauf steht bislang noch: „Deutschland. Alles ist drin“. Ein Fest für Sozialpsychologen und Semantik-Spezialisten. So erratisch dieser Titel ist, lässt er doch Spielraum für Phantasie. In der Nachfolge von Boris Beckers unsterblichen Worten „Ich bin schon drin“ sind hier spontane Kreativität und proaktive Assoziationsgabe gefragt.

„Grün. Alles ist drin.“

Die grünen Querdenker fordern nun also, „Deutschland“ durch „Grün“ zu ersetzen, im ganzen Satz: „Didödeldadeldi“, Pardon, Quatsch: „Grün. Alles ist drin.“ Damit liegen sie voll im Trend der Zeit. Zwar ruft an der Ampel manch verärgerter Automobilist im E-Porsche „Taycan“ zum Vordermann und Spätzünder mit Dieselantrieb „Grüner wird’s nicht! Fahr los!“ Aber das stimmt nicht. Unser Land kann immer noch grüner werden. Sie werden staunen, wie grün es noch wird.

Und auch die Begründung der Antragsteller ist in sich logisch und konsequent: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland.“

Wer wollte da widersprechen? Auch wenn Flora und Fauna, Bienen und Bäume stets mitgemeint sind: Es geht schließlich um Menschen, selbst um die, die, wer weiß warum, „schon länger hier leben“ (Angela Merkel). Auf keinen Fall aber um jenes toxische Dingsda, bei dem man an so schreckliche Sachen wie „Deutschland über alles“ oder „Deutschland first“ denkt, wobei die Almans, Kartoffeln und Deutschländerwürstchen dann wahrscheinlich auch noch auf die toxische Reinheit der deutschen Sprache pochen und „Deutschland zuerst!“ rufen würden. Unfassbar. Zu schweigen von faschistoiden Schlachtrufen wie „Deutschland vor, noch ein Tor!“ oder Zickezacke, Hühnerkacke!

„Halt's Maul, Deutschland!“ 

Grausame Vorstellung. Wo Patriotismus zu Nationalismus wird, weil es dasselbe ist, wird Widerstand zur Pflicht. Wir kennen unsere Vergangenheit, in der es schon einmal hieß „Deutschland. Alles ist drin.“ Nichts ist unmöglich. Der Schoß ist fruchtbar noch, sagt Brecht.

Deshalb „Nie wieder Deutschland!“ – in dankbarer Erinnerung an die Parole der großartigen Demonstration vom 12. Mai 1990 in Frankfurt am Main, an der auch die ehemalige Grünen-Vorsitzende Jutta Ditfurth teilnahm. Eine ähnlich wunderbare Versammlung vieler Menschen in Berlin hatte sich für das Motto „Halt’s Maul, Deutschland!“ entschieden.

Vive la France! 

„Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich zum Kotzen“, sagt auch Robert Habeck. „Ich wusste mit Deutschland nichts anzufangen, und weiß es bis heute nicht.“ Das war 2010, Habeck war zu dieser Zeit allerdings auch ein Mensch, der schon „länger“ hier lebte: exakt 41 Jahre. Dass er seit einiger Zeit sogar das absolut kontaminierte Wort „Heimat“ in den Mund nimmt, sei ihm großzügig nachgesehen. Es kommt auf die kritische Grundhaltung an, die quasi „osmotisch“ (Habeck) in die Gesellschaft hineinwirkt. Fragen Sie mal Hermann Gröhe, dem Angela Merkel nach ihrem Wahlsieg 2013 ein schwarzrotgoldenes Deutschlandfähnchen aus der Hand gerissen hat.

In einem Wort: Die guten alten Grünen sind wieder da, so wie wir sie kennen- und lieben gelernt haben. Freuen wir uns also auf ihren Wahlparteitag im Juni, wenn noch weitere 3.499 Änderungsanträge auf den Wohnzimmertisch von der Annalena und dem Robert flattern! Herrlich.

Vive la France!

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