Deutsche Bahn - Eisenbahner wollen sich nicht abspeisen lassen

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) leitet Anfang Juli die Urabstimmung über Streiks bei der Deutschen Bahn ein. Vom 9. August an könnte es dann losgehen. Viele Sympathien wird ihr das nicht einbringen. Doch sie verdient alle erdenkliche Unterstützung.

Ausgerechnet in der Sommerreisezeit könnte es zu Streiks bei der Bahn kommen Foto: Boris Roessler/dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es hat sich seit Wochen angebahnt, aber jetzt wird es ernst. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) kündigte heute an, Anfang Juli die Urabstimmung über Arbeitskampfmaßnahmen einzuleiten. Die Auszählung soll am 9. August erfolgen, anschließend könnte es zu Streiks kommen. Am 7. Juni hatte die GDL die laufenden Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt.

Auf Warnstreiks will sie diesmal verzichten, sie schloss allerdings auch ein Schlichtungsverfahren aus. Wenn die Bahn AG bis zum Ende der Urabstimmung kein verhandlungsfähiges Angebot vorlege, werde es unweigerlich massive Arbeitsniederlegungen geben, „denn wir werden unsere Eisenbahnerinnen und Eisenbahner nicht mit Minusrunden abspeisen lassen“, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky heute in Berlin. Bei der Urabstimmung rechnet er mit einer Zustimmung von mehr als 90 Prozent.

Existenzfrage für die GDL

Streiks bei der Bahn? Ausgerechnet in der Sommerreisezeit und mitten in einer Phase der Normalisierung des Reiseverkehrs nach langen Monaten der Corona-Restriktionen? Ja, ausgerechnet jetzt, denn die GDL steht mit dem Rücken zur Wand und hat faktisch keine andere Möglichkeit, als diese Auseinandersetzung mit dem DB-Management in aller gebotenen Härte zu führen. Denn es geht nicht nur um ein paar Lohnprozente und eine Einmalzahlung, sondern um die Existenz dieser kämpferischen Spartengewerkschaft.

Ihr soll ein mit der konkurrierenden DGB-Gewerkschaft EVG vereinbartes Lohndiktat aufgezwungen werden, das eine Nullrunde für das laufende und weitere Reallohnverluste für die kommenden Jahre vorsieht. Würde die GDL dies akzeptieren, hätte sie auf einen Schlag den Kredit verspielt, den sie in vielen Jahren erfolgreicher Tarifpolitik bei den Beschäftigten der von ihr vertretenen Berufsgruppen erworben hat.

Dieser Kampf um eine angemessene Lohnerhöhung gerade in einem systemrelevanten Arbeitsbereich sollte daher auch eine Ermutigung für andere Berufsgruppen wie etwa das Pflegepersonal in Krankenhäusern sein. Dabei hat die GDL ihre ursprünglichen Forderungen im Laufe der Tarifverhandlungen bereits merklich reduziert und orientiert sich jetzt am Tarifabschluss im öffentlichen Dienst. Der sieht eine mehrstufige Lohnerhöhung vor: 1,4 Prozent von April 2021 an und weitere 1,8 Prozent von April 2022 an sowie eine einmalige Corona-Beihilfe von 600 Euro.

Jahrzehntelanges Missmanagement

Ja, der Bahn-Konzern hat durch die Corona-Krise Verluste von mehreren Milliarden Euro zu verzeichnen. Doch der strukturelle Schuldenberg des bundeseigenen Unternehmens ist nicht durch die Pandemie oder zu hohe Löhne entstanden, sondern durch jahrzehntelanges Missmanagement und das Versagen der verantwortlichen Politiker, besonders im Verkehrsministerium. Im Zuge der Pläne für einen Börsengang wurde das Unternehmen bis an den Rand der Betriebsfähigkeit kaputtgespart, an der teilweise maroden Infrastruktur laboriert der Konzern noch heute.

Auf der andere Seiten wurden viele Milliarden in desaströsen Investments in allen Teilen der Welt versenkt, getrieben von der Vorstellung, als Global Player in der Logistikbranche zu reüssieren. Die GDL war und ist nicht bereit, dafür die Zeche in Form von Lohnabbau zu bezahlen. Zumal es die Lokführer, Zugbegleiter, Fahrdienstleiter und Werkstattmitarbeiter waren, die den Laden auch während der harten Phasen der Corona-Krise Tag für Tag am Laufen hielten, und zwar nicht im Homeoffice oder „in der Teppichetage“, sagte Weselsky.

Boni für die Manager, Nullrunde für das „Fußvolk“

Beträchtlich befeuert wird die Wut der Gewerkschaft ferner dadurch, dass sich das Management im kommenden Jahr laut GDL wieder satte Boni mit einem Gesamtvolumen von 220 Millionen Euro gönnen will, während das „Fußvolk“ mit einer Mini-Erhöhung abgespeist werden soll. Dennoch wird der GDL jetzt viel Unverständnis bis hin zu Wut und Hass entgegenschlagen. Doch sie verdient volle Unterstützung. Denn es geht auch um ein deutliches Zeichen gegen alle Versuche, die Corona-Krise für den Abbau von Lohn- und Sozialstandards zu missbrauchen. Und es geht um die Würde, Selbstachtung und Wertschätzung von hart arbeitenden Menschen.

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