Debatte um Lockerungen - Fallen die Einschränkungen für Geimpfte?

Die Sieben-Tage-Inzidenz hält sich seit Wochen auf niedrigem Niveau. Folglich werden Forderungen nach Lockerungen der Corona-Maßnahmen immer lauter. Politiker wollen aber an der Maskenpflicht festhalten, auch angesichts des steigenden Anteils der Delta-Variante an Neuinfektionen. Die aktuelle Situation.

Noch ist der Clubbesuch ohne Maske ein Modellversuch / dpa
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Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

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Nach eineinhalb Jahren im Corona-Tunnel ist die Lust groß, die pandemischen Strapazen hinter sich zu lassen, gerade jetzt in der Sommerzeit bei niedrigen Inzidenzen. Und zum Beispiel endlich mal wieder zu verreisen.

Seit dem 1. Juli hat das Auswärtige Amt seine Reisewarnung für mehr als 80 Länder aufgehoben. Und seit Dienstag wurden zusätzlich Großbritannien, Portugal, Indien und Nepal von der höchsten Risikokategorie, der Einstufung als Virusvariantengebiet, zum Hochrisikogebiet heruntergestuft. Auch entfällt für vollständig Geimpfte und Genesene die Quarantänepflicht.

Viele Politiker wollen lockern

Bereits 56,8 Prozent der deutschen Bevölkerung sind mittlerweile mindestens einmal, 39,3 Prozent schon vollständig geimpft. Und die Impfkampagne scheint sich weiter zu beschleunigen: Noch nie sind so viele Impfdosen wie in dieser Woche in Deutschland ausgeliefert worden, insgesamt 88,5 Millionen Dosen

Bald könnten also alle Deutschen ein Impfangebot erhalten haben. Dann sollten auch alle Corona-Beschränkungen fallen und das schon im Laufe des Augusts, forderte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag in der Süddeutschen Zeitung. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak pflichtete Maas bei. Ungeimpfte dürften zunehmend weniger erwarten, dass an Maßnahmen festgehalten werde zum Schutz derjenigen, die sich nicht impfen lassen wollten, erklärte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Bereits am Montag hatte eine Sprecherin von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesagt, „dass die Auflagen fallen“, das halte man für richtig, sobald alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot erhalten hätten. Zusätzlich sei allerdings eine hohe Impfquote notwendig, damit das Gesundheitssystem einer möglichen vierten Corona-Welle standhalten könne. Am Mittwoch schob Minister Spahn im ARD-Morgenmagazin nach: Die Maskenpflicht in Innenräumen sowie die Abstandsregeln seien weiterhin notwendig mit Blick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens hin zum kommenden Herbst und Winter.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plädierte ebenfalls für die Beibehaltung der Maskenpflicht in Innenräumen, da eine Impfung keinen kompletten Schutz vor der Weitergabe des Virus biete, sagte sie gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Grundlegende Hygienemaßnahmen seien nur ein geringer Eingriff in die Grundrechte der Bürger.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, hatte als erster eine Aufhebung der Corona-Maßnahmen für Geimpfte gefordert. So könne man Menschen motivieren, sich impfen zu lassen.

Söders Tweet

Nur scheint es, ähnlich wie in den USA, auch hierzulande zunehmend ein Problem mit der Impfbereitschaft zu geben. Der Gesundheitsminister hoffe noch auf einen „Impf-Ruck“, der hoffentlich im Sommer durch Deutschland gehen würde. Denn überall „da, wo nicht ausreichend geimpft ist, in den Bevölkerungsgruppen wird es sehr sehr viele Infektionen geben“, sagte Spahn am Mittwoch.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) teilt die Sorge vor zu niedrigen Impfquoten. Angesichts der sich schnell ausbreitenden Delta-Variante hat das RKI eine Analyse vorgelegt, nach der mindestens 85 Prozent der Zwölf- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der über 60-Jährigen vollständig geimpft sein müssten, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Der Impfstoff von Biontech ist zwar ab zwölf Jahren in Deutschland zugelassen, die Ständige Impfkommission (Stiko) hat allerdings keine Empfehlung zur Impfung von Jugendlichen unter 18 Jahren ausgesprochen, außer dann, wenn sie an Vorerkrankungen leiden.

Das heißt, selbst wenn alle Älteren sich impfen ließen, ist es nicht sicher, ob eine Herdenimmunität erreicht werden kann. Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, bezweifelte am Dienstag in Stuttgart, dass dieses Ziel zu erreichen sei. Dennoch appellierte er an die Bevölkerung, sich so zahlreich wie möglich impfen zu lassen.

Mehrere Politiker, darunter Saskia Esken und Karl Lauterbach von der SPD, aber auch der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder haben die Stiko aufgefordert, ihre Empfehlung zu überdenken. Söder begründete seine Forderung in einem Tweet: „Das wirksamste Mittel gegen die Delta-Variante ist die Schülerimpfung“, das trage nicht nur zum Schutze aller bei, sondern gebe „einer Generation, die auf viel verzichten musste, wieder Freiheiten“ zurück.

Von der Stiko kam daraufhin harsche Kritik. Sie sei eine unabhängige Kommission, und dass Politiker sich einmischten, sei kontraproduktiv. Die Impfempfehlung für Kinder werde erst angepasst, wenn aussagekräftige Forschungsergebnisse zum Risiko einer Impfung und zum Risiko einer Erkrankung mit der Delta-Variante vorliegen würden.

Dieser Text wurde zuletzt am 07.07.2021 um 11:14 Uhr aktualisiert.

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