Debatte um Cannabis - Legalize it?

Kommt es zu einer Ampel-Koalition, könnte das auch zur kontrollierten Freigabe von Cannabis in Deutschland führen. Die Debatte über eine Legalisierung nimmt so erneut Fahrt auf. Argumente von Befürwortern und Gegnern im Überblick.

Eine Frau raucht Cannabis / dpa
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Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

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Polizeigewerkschaften haben die Unterhändler bei den Sondierungsgesprächen von SPD, Grünen und FDP vor einer Legalisierung von Cannabis gewarnt. FDP und Grüne sprechen sich hingegen dafür aus sowie einem „Verkauf in lizenzierten Fachgeschäften“. Eine „Entkriminalisierung“ binde weniger Ressourcen bei Polizei und Justiz.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, es mache keinen Sinn, neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol die Tür für eine weitere „gefährliche und oft verharmloste“ Droge zu öffnen. „Es muss endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden.“ Gerade bei Jugendlichen könne der Konsum von Cannabis zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen. Dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, zufolge sei Cannabis nicht nur eine gefährliche Einstiegsdroge, sondern wegen der Unkontrollierbarkeit der Zusammensetzung insbesondere für junge Menschen eine Gefahr. Vor allem im Straßenverkehr befürchtet Wendt fatale Folgen: „Wenn demnächst auch noch Bekiffte am Straßenverkehr teilnehmen, bekommen wir ein Problem.“ Schon jetzt komme es wegen Cannabis-Konsums immer wieder zu Unfällen mit Unbeteiligten.

Die Aussage von Wendt löste einen Shitstorm bei Twitter aus. Der Hashtag „Legalisierung“ trendet mit mehr als 30.000 Tweets zwei Tage in Folge auf Platz eins. Pro-Contra-Argumente überfluten die sozialen Medien.

Lauterbach revidiert seine frühere Ablehnung

Eines der Kernargumente der Befürworter ist die bessere Kontrollierbarkeit der Zusammensetzung. In gestrecktem Cannabis seien häufig synthetische Cannabinoide enthalten, die zu Nebenwirkungen wie Erbrechen, Ohnmacht oder Wahnvorstellungen führen sowie in Extremfällen Psychosen auslösen könnten. Synthetischer Cannabis ist billiger in der Herstellung. Für Konsumenten ist es schwer, die Stoffe von herkömmlichem Haschisch zu unterscheiden. Auch andere Drogen wie Heroin können gestrecktem Cannabis beigemischt sein.

Der Chef der Jungen Liberalen, Jens Teutrine, sagte der Rheinischen Post: „Die Prohibition, Kriminalisierung und Stigmatisierung von Cannabis ist gescheitert.“ Nur eine vollständige Legalisierung würde notwendige Qualitätsstandards und Jugendschutz sicherstellen.

Auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat sich dafür ausgesprochen, in einem möglichen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP eine Legalisierung von Cannabis festzuschreiben. Er plädiert dafür, eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu erlauben, um dem Handel mit gestrecktem Cannabis einen Riegel vorzuschieben. „Jahrelang habe ich eine Cannabis-Legalisierung abgelehnt. Mittlerweile komme ich als Arzt aber zu einem anderen Schluss“, sagte Lauterbach. „Immer häufiger wird dem illegal verkauften Straßencannabis neuartiges Heroin beigemischt, das sich rauchen lässt. Damit werden Cannabis-Konsumenten schnell in eine Heroin-Abhängigkeit getrieben.“ Dieses Phänomen sei neu und verändere die Lage. „Ich bin deswegen dafür, dass wir in einem möglichen Koalitionsvertrag mit Grünen und FDP einen Passus zur legalen und kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene formulieren“, sagte der SPD-Politiker.

Fälle paranoider Schizophrenie

Eines der Kernargumente der Gegner ist das der Verharmlosung einer Droge, die bei Jugendlichen schwere Schäden im Gehirn anrichten kann. So sorgten psychisch kranke Cannabis-Konsumenten Anfang Februar in Hamburg-Bramfeld für Aufsehen. Es gab mehrere Tote. Der 29-jährige Täter ist wegen Wahnvorstellungen schuldunfähig erklärt worden. Ursache der paranoiden Schizophrenie ist einem Gutachter zufolge langjähriger Cannabis-Konsum – im September weist ihn das Schwurgericht in die geschlossene Psychiatrie ein.

Der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) Rainer Thomasius geht davon aus, dass die Fälle paranoider Schizophrenie, bei denen die Betroffenen gewalttätig werden, selten seien. Allerdings sei regelmäßiger Cannabis-Konsum gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden sehr gefährlich, betonte Thomasius.

Eine in der Fachzeitschrift The Lancet Psychiatry 2019 veröffentlichte Studie hat mithilfe bildgebender Verfahren bei Menschen und Experimenten an Mäusen gezeigt, dass die Entwicklung des Gehirns unter dem Einfluss des Cannabis-Wirkstoffs THC Schaden nimmt. Die Folge sind nicht nur verminderte Intelligenz, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Auch die Gefahr, durch Konsum an einer Psychose zu erkranken, erhöht sich um den Faktor 3,2.

Zudem fanden Forscher des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung am UKE und der Technischen Universität Dresden heraus, dass die Zahl der Cannabis-Konsumenten in Europa zwischen 2010 und 2019 um ein Viertel gewachsen ist, parallel hat der tägliche Konsum und der THC-Gehalt der Droge zugenommen. Bei Haschisch hat er sich verdreifacht, bei Cannabisblüten fast verdoppelt, schreiben die Wissenschaftler in der im Fachmagazin The Lancet Regional Health – Europe veröffentlichten Studie.

Polizeistatistiken aus Regionen, in denen Cannabis-Konsum legal ist wie in einigen US-Staaten, lassen nach Thomasius eine Zunahme von Gewaltdelikten im Zusammenhang mit der Droge vermuten.

Cicero-Redaktion / dpa

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