Datenchaos in der Pandemie - Zahlen, bitte!

Nach wie vor gibt es keine belastbaren Zahlen zum Impfstatus derjenigen, die wegen Covid-19 auf den Intensivstationen liegen. Mehr noch: Viele der angeblichen Covid-Patienten in deutschen Krankenhäusern wurde aus ganz anderen Gründen eingewiesen. Dennoch wird mit diesen falschen oder ungenauen Zahlen umso dreister Politik gemacht.

Wer ist geimpft, und wer hat überhaupt Covid? Man scheint es nicht so genau wissen zu wollen. / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Je weniger Menschen wir in diesen Tagen begegnen, desto geringer ist das Risiko, sich rund um das Weihnachtsfest zu infizieren. Mit diesem wichtigen Hinweis sowie mit weiteren kleinen Handreichungen zu den AHA-Regeln, zum Testen und zur Gruppengröße rund um Baum und Böllerwerk verabschiedete die Bundesregierung die Bevölkerung vor einigen Tagen in die wohlverdiente Winterpause.

Was folgte, waren die sogenannten besinnlichen Tage. Ausgerechnet beim Robert Koch-Institut (RKI) und bei der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) waren die heuer sogar derart besinnlich, dass man vor lauter Einkehr glatt den statistischen Kehraus vergessen konnte. Anders als im letzten Pandemiejahr nämlich, wo sich besonders das RKI noch bemüht sah, trotz geringerer Testung und abflauender Meldetätigkeit von den Gesundheitsämtern die Zahl der Neuinfektionen mit dem Sars-Cov-2-Virus auch während der Feiertage nachzuverfolgen, verzichtete man in diesem Jahr gleich ganz auf Updates, Lageberichte und auf das müßige Geschäft der Tagesreports.

Kurz vor dem oft beschworenen Eintreffen der Omikron-Welle also gab es zwischen dem 24.12. und dem 26.12. einfach gar keine gemeldeten Kernzahlen aus dem Intensivregister und den Gesundheitsämtern mehr. Die Behörden machten Pause, und die Pandemie pausierte parallel gleich mit. Keine Zahlen zu den intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, keine Angaben zu neu aufgenommenen Covid-19-Patienten, keine Grafiken zur epidemiologischen Lage.  

Faktenchecker zeigen sich geduldig

Dabei wäre in der so oft beschworenen ruhigeren Jahreszeit viel Zeit und Muße für Nacharbeit gewesen. Hatte nicht etwa jüngst erst Divi-Präsident Gernot Marx vor dem Hauptausschuss des Deutschen Bundestages einräumen müssen, dass man im Intensivregister bis dato keine Angaben über den Impfstatus der Patienten gemacht hatte? Mit der Divi-Intensivregister-Verordnung vom 12. November versprach man nachzubessern. Geschehen aber ist seither wenig. Man warte darauf, dass die nun erhobenen Daten auch valide seien, zitierten die Faktenchecker von Correctiv jüngst eine Sprecherin des Divi. Wenn dies der Fall sei, werde man die Zahlen veröffentlichen.

Veröffentlicht aber wurden derweil andere Zahlen: Ausgerechnet über die stillen Weihnachtstage nämlich gab die Welt am Sonntag bekannt, dass sogar die gemeldeten Zahlen zur Hospitalisierungsinzidenz – just jener Rate also, die angibt, wie viel Covid-19-Patienten pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen im Krankenhaus aufgenommen werden mussten – fehlerhaft sei.

Eine Anfrage bei verschiedenen Bundesländern dazu, wie viele Patienten mit der Hauptdiagnose Covid in den Kliniken lägen und wie viele mit der Nebendiagnose, förderte Erstaunliches zutage: In Rheinland-Pfalz etwa soll Covid-19 nur in 53 Prozent der Fälle die eigentliche Ursache für die Hospitalisierung gewesen sein; bei 27 Prozent wurde der positive PCR-Test erst später erstellt, bei weiteren 20 Prozent liegen erst gar keine Angaben zur Testung vor. Ähnlich das Chaos in Berlin: Hier war in 47 Prozent der Fälle Covid der Hauptgrund für die Einweisung, in Bremen waren es 68 Prozent, im Saarland 48 Prozent, in Nordrhein-Westfalen gut 50 Prozent.

Impfstatus der meisten Hospitalisierten unbekannt

Nichts Genaues weiß man also nicht – und das am Ende des zweiten Jahres der Pandemie. Beim Impfstatus der Hospitalisierten, so hatten es jüngst ebenfalls Journalisten der Welt herausgefunden, sieht es ähnlich aus. Nachweislich in Bayern, Hamburg und Sachsen kann man bis heute nicht genau sagen, wie viele Patienten auf den Intensivstationen geimpft sind und wie viele nicht. Nach anfängliche Mauern musste die Landesregierung in Sachsen kurz vor Weihnachten zugeben, dass die bis dato verbreiteten Zahlen extreme Unschärfen aufwiesen, da in 30 bis 40 Prozent der Fälle der Impfstatus gar nicht erhoben worden sei, die Personen aber als Ungeimpfte in die Statistik eingegangen seien. Aus Bayern und Hamburg war zuvor ähnliches bekannt geworden.

Brisant sind derartige Zahlenlücken nicht nur, weil man mit ihnen in den zurückliegenden Monaten auf mehr als dreiste Art Politik gemacht hat, brisant sind sie auch, weil man eventuell auch Geld mit ihnen machen kann. Die jüngste Änderung des Infektionsschutzgesetzes nämlich sieht einen Versorgungszuschlag von bis zu 9.500 Euro für jeden positiv getesteten Corona-Patienten im Krankenhaus vor – unabhängig davon, ob die Infektion Anlass für die Aufnahme war oder nicht.

Nun will man den Kliniken, ihren Managern und Controllern nicht im Vorhinein gleich Böses unterstellen. Doch der neue Versorgungszuschlag von Mitte November lehnt sich letztlich an die Freihaltepauschalen des vergangenen Winters an. Die aber hatten Anfang dieses Jahres zum sogenannten Divigate-Skandal und zu vermuteten Mitnahmeeffekten in Milliardenhöhe geführt. Die Tatsache, dass es die Buchhalter der Pandemie auch jetzt wieder nicht so genau zu nehmen scheinen mit den Daten, lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen.

Das Zahlenchaos und die unzuverlässige Datenlage in der Corona-Krise ist auch das Thema der Titelgeschichte in der aktuellen Printausgabe von Cicero.

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