Selbstbestimmungsgesetz - Fehlende Ernsthaftigkeit führt zu gefährlicher Beliebigkeit

Das von der Bundesregierung beschlossene Selbstbestimmungsgesetz ist mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht vereinbar. Der Gesetzgeber nimmt die Missbrauchsmöglichkeiten zu wenig in den Blick. Deswegen führt das Gesetz zu Konflikten und nicht zur Lösung von Problemen.

Das Selbstbestimmungsgesetz von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wird von Demonstranten unterstützt. Massive Kritik kommt von Landesjustizministerin Susanne Hoffmann (CDU). /dpa
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Autoreninfo

Susanne Hoffmann ist Ministerin der Justiz des Landes Brandenburg. Zuvor war sie Generalstaatsanwältin Brandenburgs. Die gebürtige Berlinerin, Jahrgang 1960, ist Mitglied der CDU. 

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Ziel des Selbstbestimmungsgesetzes ist es, dass jeder sein Geschlecht frei wählen kann. Und das jedes Jahr neu. Dies führt zu einer Beliebigkeit der Wahl des Geschlechts und des Geschlechtseintrags, die aus meiner Sicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kaum zu vereinbaren ist. Diese Beliebigkeit hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Sie führt absehbar zu einer Vielzahl von Konfliktlagen, für die der Gesetzentwurf keine Lösungen bereithält: Was passiert, wenn eine Person, die ausweislich der Personalpapiere eine Frau ist, aber biologisch und äußerlich ein Mann, sich Zugang zu für Frauen besonders geschützten Bereichen verschaffen will? Ich denke nur beispielhaft an Umkleidekabinen, Duschen und Saunen für Frauen. Oder speziell in meinem Bereich: Wie gehen wir mit biologisch männlichen Strafgefangenen um, die nach Wechsel des Geschlechtseintrages ihre Haftstrafe im Frauenvollzug verbüßen wollen? Ich sehe eine erhebliche Missbrauchsgefahr.

Missbrauchsmöglichkeiten in den Blick nehmen

Nach dem Gesetzentwurf ist es Aufgabe des jeweiligen Hausrechtsinhabers oder Betreibers der Einrichtung zu entscheiden, wem er Zugang zu diesen besonderen Schutzbereichen für Frauen gewährt. Nach welchen Kriterien aber soll oder darf er eine solche Entscheidung treffen, zumal es auch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz zu beachten gibt, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf? Für Betreiber dieser Einrichtungen können sich um Zusammenhang mit der Einlasskontrolle kaum lösbare Fragen stellen.

 

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Kann die Verweigerung des Einlasses zu frauengeschützten Bereichen als Verletzung des Benachteiligungsverbotes gemäß der Paragrafen 19, 20 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes gewertet werden? Oder aber stellt umgekehrt die Zugangsgewährung zu geschützten Frauenbereichen eine Vertragsverletzung gegenüber den übrigen Nutzerinnen dar? Für diese naheliegenden Fragen enthält das Gesetz keine Antworten.

Hausrechtsinhaber im Spannungsverhältnis

Es geht hier nicht um Menschen, die sich entgegen ihrem biologischen Geschlecht ernsthaft als Frau oder Mann fühlen. Aber solange der Gesetzgeber auf jeden Nachweis der Ernsthaftigkeit verzichtet, ist er blauäugig, wenn er nicht auch Missbrauchsmöglichkeiten in den Blick nimmt.

Es erscheint alles andere als fernliegend, dass es Fälle geben wird, in denen die Wahl des Geschlechts nicht Ausdruck der gefühlten Geschlechtsidentität ist, sondern mit dem Ziel erfolgt, sich Vorteile, Erleichterungen oder besondere Zugangsmöglichkeiten zu verschaffen. Hierzu schweigt der Gesetzesentwurf. Er lässt Hausrechtsinhaber und Betreiber von Einrichtungen im Spannungsverhältnis zwischen sexueller Selbstbestimmung, Benachteiligungsverbot und dem Schutzbedürfnis von Frauen allein.

Der Beitrag ist zuerst im Nordkurier erschienen. 
 

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