Vier Wochen in Corona-Quarantäne - Alte neue Freiheit in einer veränderten Welt

Vier Wochen war unsere Hospitantin Rixa Rieß in Quarantäne. Vier Wochen, in denen sich die Ereignisse der Corona-Krise in Deutschland überschlagen haben. Die Welt hat sich gewandelt, vor allem für jemanden, der einen Monat nicht draußen war. Ein Erfahrungsbericht.

Endlich wieder frische Luft / picture alliance
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Autoreninfo

Rixa Rieß hat Germanistik und VWL an der Universität Mannheim studiert und hospitiert derzeit in der Redaktion von CICERO.

 

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Es war 27 Tage her, seitdem ich das Haus zum letzten Mal verlassen hatte. Seit dem 1. März hatte ich mit meiner Mitbewohnerin unter angeordneter Quarantäne gestanden. Unser Mitbewohner war der erste Corona-Fall in Berlin gewesen. Es folgten zwei Wochen möglicher Inkubationszeit für meine Mitbewohnerin und mich. Nach vierzehn Tagen wurde auch ich positiv auf das Coronavirus getestet. Glücklicherweise saß ich den Infekt ohne Komplikationen aus. Doch der positive Corona-Test bedeutete für mich auch mindestens zwei weitere Wochen Quarantäne. 

Der Anruf, dass ich mich jetzt wieder frei bewegen dürfe, erreichte mich am frühen Nachmittag. Man hatte mich nicht erneut getestet – Ressourcenknappheit. Nach täglichen Kontrollanrufen und genauer Prüfung, ob ich auch keine Symptome mehr aufwies, erklärte man meine Quarantäne für beendet.

Die kleine Insel namens „Wohnung“

In den letzten vier Wochen hatte ich stets das Gefühl, die Situation der Isolation gut zu meistern. Bestens vernetzt, alle Social Media Kanäle offen, Home Office und ein paar Fenster zur Straße – die Verbindung nach draußen stand. Auf der kleinen Insel namens „Wohnung“ schuf man sich seinen Mikro-Kosmos, in den man die Außenwelt so gut wie nur möglich integrierte.

Gutes Essen und Routine halfen, die (Arbeits-)moral oben zu halten. Ich dachte, durch diese verordnete Zwangspause würde ich die aktuellen Vorgänge in der Gesellschaft nur besser verstehen und nachvollziehen können. Und dann trat ich vor die Tür. Durchatmen, geradeaus laufen – das sind die kleinen neuen Freuden.

Die Außenwelt: unverändert

Von mir fiel eine größere Last ab, als nur der Mangel an Frischluft und Bewegung. Wenn man vier Wochen eingesperrt ist, belastet einen das auch psychisch. Da helfen auch die empfohlenen Quarantäne-Tipps nicht oder der schlaue Hinweis, die Zeit zur Selbstoptimierung nutzen. Diese weltbewegende Krise beschäftigte mich in der Isolation mehr, als sie es unter normalen Bedingungen getan hätte. Die natürlichen Reize der Außenwelt konnten mich in der Quarantäne nicht ablenken.

Vier Wochen lang hatte ich die Nachrichten intensiv verfolgt. Ich hatte die Mahnungen gehört, das Krisenmanagement analysiert, die Bilder aus Italien gesehen. Und auf der großen Straße vor meiner Wohnung hatte sich so gut wie nichts verändert. Sicher, die Geschäfte waren geschlossen. Aber der Verkehr brummte weiter und es waren immer noch genug Menschen unterwegs. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte nicht gemerkt, dass in Deutschland ein hochinfektiöses Virus wütet.

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Paradoxe Beobachtungen

Einzig an dem Verhalten der Menschen merkte ich, dass etwas in der Luft lag. Wenn man immun ist, weil man die Krankheit hinter sich hat, bewegt man sich selbstverständlicher. Wenn man den neuen gesellschaftlichen Kodex nicht kennt, sowieso. Auf dem Gehsteig wichen mir Leute mit Gesichtsmasken aus. Ich beobachtete die neuen Begrüßungsprozeduren als Einzige belustigt.

Dass man das Gegenüber auf fünf Meter kritisch taxiert, scheint genauso normal geworden zu sein, wie das empörte Seufzen, wenn jemand sich trotz des verordneten Sicherheitsabstands zwischen Gehenden hindurchzwängt. Eine beinahe paradoxe Beobachtung: Da soll man zuhause bleiben, aber die Menschen tummeln sich trotzdem im Freien und beschweren sich über andere, die ihnen auf dem Bürgersteig die Vorfahrt nehmen.

Es mangelt an Zusammenhalt

Mein erster Spaziergang zwischen Menschenmassen kam mir daher vor wie eine Absage an den Zusammenhalt der Gesellschaft. Nach 27 langen Tagen kann ich über dieses Verhalten nur staunen – es kommt mir wenig solidarisch vor. Nicht nur gegenüber denjenigen, die gezwungener- oder ungezwungenermaßen zu Hause bleiben, sondern gegenüber allen Kräften, die gegen die Krise gegensteuern müssen.

Es soll niemandem das Recht abgesprochen werden, rauszugehen. Frische Luft und einen Spaziergang weiß wohl kaum jemand mehr zu schätzen als ich. Aber nur, weil die Rechte in ein paar Punkten eingeschränkt sind, ist das keine Einladung, alles was nicht eingeschränkt ist, bedingungslos auszunutzen. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Regierung die Maßnahmen verschärft.

„Es wird wohl seine Berechtigung haben“

In den Supermärkten holte mich die neue Realität weiter ein. Mir fielen gleich die Gummihandschuhe tragenden Sicherheitsmänner auf, die die eintretenden Kunden beäugten. Man wies mich darauf hin, doch bitte einen Einkaufswagen mitzunehmen. Für eine Tüte Milch? Wegen des Abstandes. Der Zollstock auf Rollen.

„Es wird wohl seine Berechtigung haben“, dachte ich in dem Moment. Das Gros der Bevölkerung schaffte es scheinbar nicht von selbst, sich in der Ausnahmesituation angemessen zu verhalten. Die Dissonanz zwischen den Informationen zum Virus und der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen: massiv.

Beratungsresistent oder irrationale Angst?

Im Supermarkt sah ich dann die leeren Regale, kein Mehl, kein Klopapier. So oft wie Medien es besungen hatte, dachte ich, es wäre amüsant, selbst davor zu stehen. Nur war da keine Situationskomik. Die Schilder, die aussahen, als hätte man sie in großer Eile abgetippt, appellierten an das Kaufverhalten der Kunden und hingen in jedem Gang. Waren die Leute beratungsresistent? Diesen Anschein macht es zumindest für mich als Außenstehende.

War man nicht in der Lage, rational auf die Ur-Angst zu reagieren, die die Bilder von leeren Regalen schürten? Und als wäre das nicht genug, schallte es auch aus den Lautsprechern: „Wir sind für Sie da.“ und „Die Lebensmittelversorgung ist garantiert.“ Das Angebot im Laden überforderte mich trotzdem – grell, bunt und vor allem viel.

Die Natur des Menschen

Gleichzeitig die Angst, niemanden in den Gängen anzurempeln, in denen Mitarbeiter mit tiefen Augenringen die Ware einräumten. Was sich in den Geschäften für mich, die die Entwicklungen im realen Leben verpasst hatte, wie große Not anfühlte, passte nicht zum Straßenbild. Ich kam mir vor wie der Mensch vom Mars.

Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen: Es muss erstmal jemand kommen und mahnen, damit man sich einschränkt. Das Freiheitsbedürfnis nimmt einem nicht das Virus. Da muss schon ein Schreiben vom Amt kommen. Und nein, da reicht auch keine Bitte der Kanzlerin; da muss erst einmal Klebeband auf dem Boden die Sicherheitsabstände markieren.

Wahrheit und Realität klaffen auseinander

Es leuchtet mir nicht ein, wie gefühlte Wahrheit und Realität so weit auseinanderklaffen können. Vielleicht hat man nach so vielen Tagen fernab des städtischen Alltags die Situation zu Ende analysiert und bewertet. Vielleicht hat man auch das Gefühl für die Situationsdynamik in Krisen verloren. Dennoch: Da flackert im jeden zweiten Blick die latente Panik.

Da sorgt man sich um seine Großeltern und um sich selbst. Da weiß man, dass es am Ende am Verhalten des Einzelnen liegt. Und trotzdem handeln die Leute – sei es im Supermarkt, in den gesundheitlichen Anlaufstellen und im Alltag – wider jede Vernunft. An dem Versuch an diesem Tag einen logischen Kausalzusammenhang zu finden und dabei das Wort „Egoismus“ auszuklammern, bin ich gescheitert.

Die Auflagen und Regeln gelten im öffentlichen Raum, aber ob es tatsächlich angekommen ist in den Köpfen – daran zweifle ich seit meinem Kontakt mit der Außenwelt. Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer sagt, die Menschen erwarteten ein gutes Krisenmanagement, dann wäre es im gleichen Atemzug angebracht, die Bevölkerung nochmals darauf hinzuweisen, das jeder einzelne verantwortlich, jeder Einzelne diese Krise zu managen hat.

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