Coronavirus - Warum eine Epidemie auch etwas Gutes haben kann

Das Coronavirus dominiert nach wie vor das Weltgeschehen. Die Krise zeigt, welche Schwachstellen unsere Systeme und Gesellschaften haben. Die Kompetenz der Entscheider steht auf dem Prüfstand. Setzt die Epidemie der allgemeinen Sorglosigkeit ein Ende?

Alles unter Kontrolle, Jens Spahn? / picture alliance
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Autoreninfo

Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Die Lungenseuche kennt viele Verlierer. Aber es gibt auch Gewinner. Das Weltklima kann aufatmen. Wir werden uns unserer Verletzlichkeit bewusst und lernen, was wirklich wichtig ist. Vorratshaltung zum Beispiel. Oder ein funktionierender Katastrophenschutz. Dinge, die in Zeiten des selbstverständlich gewordenen Wohlstands gering geschätzt wurden.

Jetzt brechen nicht nur Börsenkurse und Lieferketten ein, sondern auch das Vertrauen in den Staat. Deutschland galt einmal als „Apotheke der Welt“. Nun aber fehlt der Nachschub selbst lebensrettender Medikamente, weil die Produktion in das kostengünstigere China und Indien verlagert wurde. Eine (noch?) kleine Pandemie genügt, um das Gesundheitswesen an seine Grenzen zu führen. Selbst für Mediziner werden Schutzkleidung und Atemmasken knapp.

Alles andere als vertrauensbildend

Da kommen Zweifel auf, ob das Land wirklich „gut vorbereitet ist“, wie Gesundheitsminister Jens Span beteuert. Und ob es mit voreiligen Finanzspritzen hier und dort getan ist, um ein dramatisches Übergreifen der Infektionswelle auf die Wirtschaft zu verhindern. Schlimmer als die Lungenseuche selbst sei die um sich übertriebene Panik, warnen Virologen, die dann Vergleiche zu vielfach tödlicheren Grippewellen ziehen. Oder auf andere Lebensrisiken verweisen, die wir bereitwillig eingehen, derweil doch die allermeisten Infizierten schnell genesen.

Selbst aus China, dem Ursprungsland der Epidemie, wird die Nachricht verbreitet, dass inzwischen mehr Kranke gesunden als Gesunde erkranken. Zugleich schürt Peking jedoch Verschwörungstheorien, wonach Sars-CoV-19 ein biologischer Kampfstoff aus den USA sein könnte, um den Konkurrenten zu schwächen. Vertrauensbildend sind derlei Ablenkungsmanöver nicht.

Was uns die Krise lehrt

Setzt sich die Angst erst einmal in den Köpfen fest, helfen pragmatische Tröstungen ohnehin nicht weiter. Da mögen Aldi, Lidl & Co. noch so glaubwürdig versichern, dass Engpässe binnen Stunden zu beheben seien - die Hamsterer wird es nicht abhalten, den Einkaufswagen mit Dosenfutter und Nudeln vollzupacken. Also sind Begrenzungen auf „haushaltsüblichen Mengen“ durchaus angemessen.

Denn auch das lehrt diese Krise: Erstens ist es nie verkehrt, wenigstens für zehn Tage ausreichend Vorräte zu Hause zu haben, wie es die zuständigen Behörden schon immer empfehlen. Und zweitens darf in möglichen Mangelsituationen nicht das Recht des Stärkeren gelten. Egoisten, die selbst vor Desinfektionssendern in Hospitälern nicht Halt machen, muss man zur Solidarität erziehen. Auch dies gehört zur Fürsorgepflicht des Staates.

Die Verletzlichkeit der Weltwirtschaft

Begriffe wie Vorsorge, Abhängigkeit oder nationale Autarkie haben plötzlich wieder Konjunktur. Sie rufen in Erinnerung, wie verletzlich eine Gesellschaft ist, die auf funktionierende globale Lieferketten und Absatzmärkte angewiesen ist. Wer Wirtschaftswachstum für obsolet hält, bekommt nun Anschauungsunterricht, was ein Rückgang um nur wenige Zehntelprozentpunkte bedeutet.

Die Einbrüche bleiben nicht auf Touristiker, Messebetreiber oder Fluggesellschaften beschränkt. Letztlich nimmt die gesamte Wirtschaft Schaden - und damit sind die Beschäftigten am Ende die Leidtragenden. Das relativiert die Freude über den drastisch gesunkenen CO₂-Ausstoß, weil die Schlote in China nicht mehr rauchen und Flugzeuge am Boden bleiben.

Der Blick fürs Wesentliche

Doch auch hier gibt es eine positive Kehrseite: Braucht es so viele Reisen und Kongresse? Was ist wirklich wichtig, was an Konsum verzichtbar? Krisen sind somit auch eine Art Kartharsis. Sie haben eine reinigende Funktion und geben den Blick frei für das Wesentliche: Es geht nicht nur darum, dass sich der Einzelne einen Vorrat an Nudeln und Nutella anlegt, sondern wie Unternehmen und das Gemeinwesen insgesamt auf Notsituationen vorbereitet sind.

Wie leichtfertig setzen wir etwa unsere autonome Energieversorgung aufs Spiel, indem wir uns dem Zitterstrom von Sonne und Wind sowie dem Import von Atom- und Kohlestrom aussetzen? Indien, das die Welt mit Nachahmermedikamenten versorgt, hat gerade die Ausfuhr von 26 Präparaten untersagt. Wenn es eng wird, ist sich eben jedes Land selbst der Nächste.

Die Achillesferse der Globalisierung

Das ist die Achillesferse der Globalisierung. Nationale Interessen zu benennen, ist noch lange kein übler Nationalismus. Sondern manchmal ein Gebot der Stunde. Ob Sars, Vogelgrippe oder jetzt Corona, es wird immer wieder Mutationen geben, deren tödliches Gift sich rasant über die Welt verbreitet und erst nach Monaten einzudämmen ist.

Die Globalisierung lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Aber wir werden sorgsamer auf Infektionswege und Abhängigkeiten achten müssen. Notfallszenarien müssen viel grundsätzlicher gedacht werden. Gebraucht werden Zentralbanken, die nicht schon bei leichten Konjunkturschwankungen ihr ganzes Zinssenkungs-Pulver verschießen - und jetzt mit leeren Händen dastehen.

Sicherheit kostet

Gefordert sind Regierungen, die nicht nur kostenträchtige Gesetze auf den Weg bringen, sondern tatsächlich Rücklagen schaffen und Notfallpläne auch personell umsetzen können. Gebraucht wird auch eine EU, die bei Pandemien rasch einheitlich handeln kann, anstatt erst lange beraten zu müssen.

Es kann nicht angehen, dass Brüssel Milliarden-Strafen gegen deutsche Autobauer verhängt, derweil der deutsche Steuerzahler teure Konjunkturprogramme finanzieren soll. Diese Lungenkrankheit wird tatsächlich zum „Prüfstein für den Zusammenhalt einer Gesellschaft“, wie Gesundheitsminister Spahn mahnt. Wobei die Wiederbelebung der Etikette (regelmäßiges Händewaschen, Niesen in die Armbeuge) ja bereits ein Erfolg ist.

Mehr noch aber ist diese Epidemie ein Prüfstein für die Entscheider in Politik und Wirtschaft: Lernen sie daraus, was wirklich wichtig ist und dass Krisen zum Geschäft gehören? Wenn die Corona-Seuche der verbreiteten Sorglosigkeit ein Ende setzt, ist immerhin das ein Gewinn. Sicherheit kostet: Wohlstand, Bequemlichkeit und vielleicht sogar Jobs. Doch der Verzicht auf derlei Restriktionen kommt die Gesellschaft weit teurer zu stehen.

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