Unterricht in Zeiten von Corona - Vom Masken-Debakel an den Schulen

Die Schulöffnungen werden angesichts der steigenden Corona-Fallzahlen kritisch betrachtet. Auch die Sinnhaftigkeit einer Maskenpflicht im Unterricht wird heiß debattiert. Doch das Scheitern der Bildungspolitik liegt tiefer, findet Lilli Fischer.

An vielen Schulen gilt derzeit eine Maskenpflicht / dpa
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Lilli Fischer (20) studiert Lehramt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sie ist Stadträtin und stellv. Fraktionsvorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion im Erfurter Stadtrat. Foto: Paul Blau

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Seit gut zwei Wochen findet in den ersten Schulen wieder Unterricht statt. Die Klassenzimmer sind voll besetzt und es soll, so gut es geht, einen Regelbetrieb geben. So die Theorie. Der Plan ist: Wenn alle eine Maske tragen, dann kann das Lernen wie üblich stattfinden, quasi wie im Februar, nur eben mit Maske. Bei 36 Grad. Meiner Meinung nach eine Zumutung. Doch das Debakel der Schulpolitik in Krisenzeiten hat eine ganz andere Chronologie und die Maskenpflicht ist nur die Spitze.

Das Scheitern der Schulpolitik

Lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Am 16. März, einem Montag, schlossen in Deutschland die Schultüren. Geplant war, die Kinder bis nach den Osterferien zu Hause zu beschulen. Bekannt wurde der Entschluss zur Schließung am Donnerstag zuvor. Trotzdem gab es nicht wenige Schulen und auch Lehrer, die sich zurückgelehnt und zunächst keine Arbeitsanweisungen für ihre Schüler mitgegeben haben. Es handelte sich ja zunächst auch nur um wenige Wochen. Nach den Osterferien würde schon alles wieder seinen geregelten Gang gehen.

In den Osterferien eröffnete sich dann die Tatsache, dass die Schulen länger geschlossen bleiben würden, um nicht zu sagen „auf nicht absehbare Zeit“. Abschlussklassen bangten zunehmend um ihre Vorbereitung für die Prüfungen, Eltern sorgten sich um die Betreuung ihrer Kinder. Mitte Mai öffneten die ersten Schulen, einige von ihnen mussten sofort wieder schließen. 

Und jetzt, nach den Sommerferien? Masken all the way und alle Schüler sollen auf einmal in die Schulen. Mecklenburg-Vorpommern beendete als erstes Land die Sommerferien und musste unmittelbar danach wieder Schulen schließen. Die Infektionszahlen in Deutschland schnellen derweil wieder in die Höhe. Dass Masken nach den Ferien dabei helfen, die Infektionsausweitung einzudämmen, bezweifle ich stark, wenn Schüler wieder dicht an dicht nebeneinander sitzen sollen.

Fehlende Vergleichbarkeit im Bildungsföderalismus

Das Krisenmanagement an unseren Schulen seit Februar offenbart die Achillesferse des deutschen Föderalismus: Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Mal schauen, wo es uns am Ende hinführt. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte viel vom Föderalismus und halte auch das föderale Bildungssystem für sinnvoll. Vergleichbarkeit aber ist das, woran es uns fehlt – das kann Ihnen jeder Schüler so unterschreiben.

Die Krise hat auch hier gezeigt, dass allein in den Grundlagen, der Grundstruktur und Ausstattung der Schulen keine Einheitlichkeit besteht, teilweise nicht mal innerhalb eines Landes. Vom Polylux aus DDR-Zeiten bis hin zu Whiteboards kann man an Schulen so ziemlich alles finden. Das eigentliche Problem liegt aber auch zu Hause, bei den Schülern und ihren Familien selbst: Während sich einige Familien die Bücher nicht leisten können, haben in der nächsten Familie alle Kinder ein iPad zur Verfügung. Und WLAN, das gibt’s dort sowieso.

Homeschooling ohne digitale Infrastruktur

Und so unterschiedlich die Grundvoraussetzungen sind, so unterschiedlich fand auch das Homeschooling statt. Während einige Lehrer mit einem Arbeitsblatt von Haustür zu Haustür liefen, damit die Eltern die Aufgaben davon abschreiben konnten, haben andere Lehrkräfte komplette Netzwerke und Plattformen erstellt, um digitalen Unterricht durchzuführen. Der tollste digitale Unterricht erwirkt jedoch nichts, wenn der Schüler ihn zu Hause nicht anschauen kann, weil es an der digitalen Infrastruktur scheitert.

In Thüringen hat es bis vor der Corona-Pandemie nicht einmal für eine Cloud für alle Schulen gereicht und in der Krise wurde deutlich, dass die, die getestet wurde, nicht funktionsfähig ist. Unterricht via Zoom, Discord und anderen Plattformen, der von engagierten Lehrer ausprobiert wurde, sollte später durch den Datenschutzbeauftragten geahndet werden. Das ist nicht nur frech, sondern auch unverschämt unter dem Gesichtspunkt, dass vielen Lehrern quasi keine datenschutzrechtlichen, technischen und inhaltlichen Anhaltspunkte an die Hand gegeben wurden, um digitalen Unterricht gelingen zu lassen.

Nur wenige Informationen für Schüler und Eltern 

Auch an der Kommunikation hat es gemangelt. Zwar haben die Ministerien einiges an die Lehrer weitergegeben, aber die wenigsten Informationen erreichten am Ende auch die Schüler und Eltern. Eine Ministerin, die sich jedoch in der Krise sehr hervorgetan hat, war die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern Bettina Martin (SPD), die schon am 20. März, vier Tage nach der Schließung, beim Landesschülerrat auf Instagram live Rede und Antwort stand. Nicht nur, dass sie sofort greifbar war, nein, sie zeigte damit auch, wie wichtig es ihr ist, dass Schülerinnen und Schüler frühzeitig informiert sind und beteiligt werden. Chapeau! So stelle ich mir die Kommunikation von Ministerium zum Schüler idealerweise vor. 

Krisenmanagement und Schulöffnung sind viel diskutiert worden. Eine goldene Lösung, die ab sofort und uneingeschränkt umsetzbar ist, gibt es aber sicherlich nicht. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Minister nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, auch wenn nicht alles ideal war. Dass es da sicherlich Unterschiede im Handeln zwischen den Ländern gibt, ist auch wahr. 

Weiterbildung für Lehrer notwendig  

Ich will nicht nur kritisieren, ich will auch konkret werden. In meinen Augen hat sich beispielsweise der Unterricht in Gruppen, die im Wochenrhythmus wechseln, bewährt. So kann genug Abstand in den Klassen gewahrt werden und es findet ein regelmäßiger Präsenzunterricht statt. Feste Klassenzimmer für die jeweiligen Kurse sind dabei angebracht und sinnvoll. Damit dies gelingt, braucht es jedoch auch eine ausreichende digitale Infrastruktur: Von Breitband, über WLAN für alle Schüler (auch zu Hause) bis hin zu digitalen Endgeräten für jeden Schüler und jeden Lehrer.

Bei einem Altersdurchschnitt von über 50 in den Lehrerzimmern mancher Länder ist auch eine ordentliche Lehrerbildung zu digitalem Unterricht noch dringend nötig. Nur so kann auch angemessenes Homeschooling stattfinden. Es braucht aber auch unbedingt umfassende Betreuungsangebote für alle Schüler, die nicht einfach zu Hause bleiben können und natürlich braucht es klare Hygieneregeln.

„Man muss Schule vom Schüler her denken“

Die Maskenpflicht an Schulen ist lediglich die Spitze des Eisbergs aus Fehlkommunikation und Missmanagement. Sie steht symbolisch für alles, was in den letzten Wochen und vermutlich schon Jahren an unseren Schulen falsch läuft: das Durchdrücken von Neuerungen mit der Brechstange oder die fehlende Rücksicht  auf die Schüler bei der Bewertung von Situationen und Maßnahmen. 

Jetzt nach den Ferien muss ein Fokus auf den neuen Abschlussjahrgang gelegt werden. Denn er ist der eigentliche Verlierer der Krise. Die Schüler haben weite Teile des Stoffes verpasst, der prüfungsrelevant sein wird. Der Abschlussjahrgang 2020 hingegen war zum Zeitpunkt der Schulschließung weitestgehend auf die Prüfungen vorbereitet, für ihn sind lediglich die Wiederholungen entfallen. Beim Abschlussjahrgang 2021 aber fehlen die Inhalte.

Der Thüringer Bildungsminister sagt immer wieder, man müsse Schule vom Schüler her denken. Diese Aussage unterschreibe ich uneingeschränkt. Ich würde mich nur freuen, wenn das umgesetzt wird. 

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