Corona-Politik - Lockdown ist Knock-down

Auch die neue Regierung handelt in der Corona-Pandemie hilflos und kurzsichtig. Ein weiterer Lockdown würde Geimpfte wie Ungeimpfte gleichermaßen treffen, und gegen den eigentlichen Skandal - die Unterversorgung des Gesundheitssystems - wurde bisher noch gar nichts unternommen.

Ein neuer Lockdown, wie derzeit in den Niederlanden, wäre ein Offenbarungseid der Politik. / dpa
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Autoreninfo

Dirk Notheis ist Mitherausgeber von Cicero und Gründer des Mittelstands­finanzierers Rantum Capital.

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Das strategische Irrlichtern der deutschen Politik im Hinblick auf die Bekämpfung der Pandemie ist allenthalben zu beklagen und hat kein Ende genommen, seit Karl Lauterbach den Talkshow- gegen den Ministersessel eingetauscht hat. Im Gegenteil erscheint es gerade so, als dass der allgegenwärtige rheinische Corona-Graham gar einen neuen und gleichsam rückwärtsgewandten Anfang zu markieren droht. Einen Anfang, dem wahrlich so gar kein Zauber innewohnt, um mit Hermann Hesse zu sprechen. Neben der Perpetuierung des Daten- und Interpretationschaos um die richtigen Zahlen, Kennziffern und Steuerungsmechanismen droht nur wieder das eigentlich längst für tot erklärte Gespenst des Lockdowns aufzuflackern. Ein letzter Ausdruck von Hilflosigkeit und Leuchtturm strategischen wie taktischen Versagens im Umgang mit dem Virus.

Wenn es richtig ist, dass unser Problem diejenigen sind, die sich immer noch, aus welchem Grund auch immer, einem vernunftgeleiteten Impfaufruf widersetzen, dann hilft als Strategie bei dieser Gruppe nur Anreizschaffung zum Wohlverhalten bzw. zur Vermeidung von persönlichen Kosten. Letztere können sowohl psychische als auch monetäre Kosten umfassen. Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, das heißt die monetäre Sanktionierung im Falle einer nachgewiesenen Impfverweigerung, trifft den Deutschen dabei an seiner empfindlichsten Stelle, der Gesäßtasche. Sie dürfte unter Opportunitätskostenbetrachtung zumindest bei einer Reihe von Impfgegnern etwas zum Guten, will heißen Impfen, bewirken. Die verfassungsrechtliche Güterabwägung zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und der Begrenzung derselben durch die Verantwortung für den Nächsten und das Gemeinwesen mag einen solchen Schritt der Politik sogar juristisch legitimieren und vor dem Hintergrund der Lage unausweichlich machen. Jedenfalls allemal besser als ein Impfzwang, der niemals Ausdruck freier und freiheitlich denkender Gesellschaften sein kann und darf.

Falsche Anreize

Die dringend gebotene Anreizschaffung zur Vermeidung der Entbehrung eines normalen sozialen Lebens und damit einhergehender psychischer Kosten für den Einzelnen erscheint jedoch bei genauer Betrachtung als die weit effektivere Strategie. Nur wenn die Ungeimpften spüren, dass sie vom allgemeinen, lieb gewordenen und allseits gewohnten Leben ausgeschlossen sind bzw. selbiges entbehren müssen, wird der intrapersonale Druck so groß, dass ein Prozess des Umdenkens in Gang gesetzt wird. Es lebe die Normalität, der Deutsche ist ein Gewohnheitstier!

Normalität kann man aber nur entbehren, wenn sie als solche auch ganz allgemein existiert. Das heißt für den Fall, dass die Normalität etwa im Rahmen eines Lockdowns für alle ausgeschlossen wird, empfindet der Ungeimpfte keine Entbehrung und damit auch keinen Impetus zum Umdenken. Ein allgemeiner Lockdown wirkt vielmehr als Negativanreiz für Ungeimpfte bzw. paradoxerweise zu einer Bestätigung ihres bisherigen (Fehl-)Verhaltens. Der Lockdown mutiert zum Knock-down aller vernunftgeleiteter Bemühungen pro Impfung. Nur wenn die Restaurants, Geschäfte, Busse und Bahnen voll sind und ein normales Leben als solches, über 2G+ oder 3G abgestützt, für die Mehrheit existiert, wird der Druck auf die Impfgegner sanft, aber wirksam steigen und die intrapersonale Abwägung von psychischen Kosten und Nutzen zur Verhaltensänderung führen. Daher wäre ein erneuter Lockdown nicht etwa eine Ultima Ratio sondern vielmehr ein politischer Offenbarungseid. Nicht, dass dies Karl Lauterbach nicht zuzutrauen wäre, zu wünschen wäre es seiner Autorität und den Vernünftigen als Leidtragenden jedenfalls beim besten Willen nicht.  

Politikversagen im Gesundheitswesen

Das eigentliche Politikversagen mit Blick auf die Pandemie liegt jedoch in der seit mehreren Bundesregierungen zum notorischen Versäumnis aufgestauten Unterinvestition in unser Gesundheitswesen bzw. die stationäre Versorgung in der Fläche mit Intensivbetten und hinreichenden Personal- bzw. Ausbildungskapazitäten sowie allfälligen monetären Anreizen für geschulte Kräfte. Hätten wir bereits vor zehn Jahren damit begonnen, entsprechende Mittel für die Schließung der offenkundigen Lücke zu investieren, würden wir heute keine Horrorszenarien von überfüllten Kliniken und potentiellen Abweisungen von Notfällen an die Wand malen müssen. Das ist der eigentliche Skandal, den es laut zu beklagen gilt. Hunderte von Milliarden für Kompensationsmaßnahmen hätten eingespart und ebenso viele Schulden vermieden werden können. Diese Wahrheit hat das Brennglas der Pandemie schonungslos aufgedeckt. Ein trauriger Beleg für die Kurzsichtigkeit der Politik, deren Sorgenhorizont sich jeweils maximal bis zur nächsten Wahl wölbt.

Auch die neue Ampel-Regierung hat hier leider nichts dazugelernt. Die skandalöse Umwidmung von Pandemie- und Pandemiefolgenbekämpfungsmitteln im Umfang von 60 Milliarden Euro für zeitgeistige Zwecke künftiger Investitionen in klimapolitische Maßnahmen als erster Amtsakt erscheint vor diesem Hintergrund noch dreister und als geradezu zynischer Beleg für Ignoranz und Unverfrorenheit. Hätte man sich stattdessen für ein massives Investitionsprogramm zugunsten unserer Gesundheitsinfrastruktur entschieden, wäre dies nicht nur im wesentlichen Rahmen der thematischen Schuldengenehmigung geblieben und verfassungstechnisch leichter zu verdauen gewesen, sondern hätte auch auf eine vorausschauend präventive Politik zum Wohle der Allgemeinheit eingezahlt. Wie heißt es so schön in der Überschrift des Koalitionsvertrages: „Mehr Fortschritt wagen“. Von Fortschritt und Erkenntnisgewinn im Dienste desselben keine Spur. Die Unterlassung dessen bzw. die bei Weitem nicht ausreichende Berücksichtigung gesundheitspolitischer Investitionen disqualifiziert somit den frischgebackenen Finanzminister Christian Lindner gleich vom Startblock weg, was zu bedauern ist. Denn eines gilt in jedem Fall: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.

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