Corona-Pandemie und Politik - Wer alles sein Corona-Süppchen kocht

Im Windschatten der Corona-Krise versuchen Politiker und Aktivisten ihre eigene politische Agenda voranzubringen – von der Abschaffung der Prostitution bis zur Abschaffung des kapitalistischen Systems.

Manche sehen schon freudig dem Ende des Kapitalismus entgegen / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Es gibt kein anderes Thema mehr als die Corona-Krise. Praktisch untergegangen ist etwa die Erklärung der beiden SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, nicht für das Kanzleramt kandidieren zu wollen, ebenso die nun beschlossene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro ab 2021, und selbst die heutige bundesweite Razzia gegen eine Reichsbürger-Gruppierung namens „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ läuft unter ferner liefen.

Andere sehen in der allgemeinen Konzentration auf die Pandemie dagegen die Chance, auf der Corona-Welle surfend ihre eigenen Lieblingsthemen mal wieder in Umlauf zu bringen. Vorgemacht hat es die baden-württembergische SPD-Politikerin Leni Breymaier, seit 2017 im Bundestag und dort eher auf den hinteren Bänken zu verorten. Vor einigen Tagen schrieb sie auf Twitter: „Stuttgart verbietet #Prostitution wegen #Corona. Geht doch. Man(n) kann ja schon mal üben.“

Breymaier ist schon seit Jahren als eingefleischte Gegnerin der Prostitution bekannt – sie kämpft für das sogenannte „Nordische Modell“, in dem die Kriminalisierung der Kunden von Prostituierten im Mittelpunkt steht. Angesichts des wirtschaftlichen Nichts, vor dem wegen der Corona-Krise nun auch die Prostituierten stehen, erntete Breymaier für ihren süffisanten Post allerdings wenig Unterstützung.

Am rechten Rand des politischen Spektrums müht sich die AfD, die Corona-Pandemie für die nächste Kampagne gegen Kanzlerin Angela Merkel zu nutzen. Mal tut Merkel zu viel, mal zu wenig - auf der Facebook-Seite von Parteichef Jörg Meuthen heißt es hämisch: „Es wird ein Desaster. Jetzt kommt Merkels große Wirtschaftskrise.“

Linksradikale rufen zu Plünderungen auf

Aber auch Linksextremisten haben die Chancen des Coronavirus entdeckt und blasen zum Sturm: Eine Gruppierung namens „revolutionäre antikörper“ ruft auf der Plattform „Indymedia“ für den Fall einer Ausgangssperre dazu auf, diese zu „unterlaufen“, zum Beispiel für Plünderungen – natürlich alles für einen guten Zweck. Unter der Überschrift „Covid 19 und Militanz“ heißt es da (Rechtschreibung laut Original): „durchbrecht den versuch uns zu vereinzeln […] organisiert flashmobs. aufstände. plünderungen. verteilt essen um, wenn es knapp wird. verlasst die linke blase. wer nicht organisiert ist, versuche sich zu organisieren als revolutionär, anarchistisch und feministische kleingruppe oder als bande. oder als großer zusammenhang.“ Nach den Kommentaren auf „indymedia“ zu urteilen, trifft der Aufruf aber selbst unter Linksradikalen auf wenig Verständnis.

Auch die Kämpfer für ein bedingungsloses Grundeinkommen wittern nun ihre Chance: So fordert der Deutsche Musikrat, der 100 Dachverbände des Musiklebens in Deutschland vertritt, ein auf sechs Monate befristetes Grundeinkommen von 1000 Euro „für alle freiberuflichen Kreativschaffenden.“ Begründung: Bei einem „laut Künstlersozialkasse durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen freiberuflicher Musikerinnen und Musiker von € 13.000“ sei „kein Spielraum für Rücklagen gegeben.“ Inwiefern diese Zahlen zu den Einkommen stimmen, sei dahingestellt: Die Künstler selbst machen diese Angaben nämlich gegenüber der Künstlersozialkasse.

Petitionen für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Auf Plattformen wie „change.org“ stehen schon verschiedene Petitionen zum Grundeinkommen zur Unterschrift bereit – zum Beispiel jene von Tonia Merz, Korsettdesignerin aus Berlin-Mitte, die es mit ihrer Forderung nach 800-1200 Euro Grundeinkommen schon auf fast 250.000 Unterschriften gebracht hat. Unterstützung bekommen diese Aufrufe etwa in der Frankfurter Rundschau: „Mit der Auszahlung des Zuschusses würde der Staat die Kaufkraft der Konsumenten am Leben halten. Außerdem müssten Freie in Krisenzeiten keine Schulden machen und würden nicht Gefahr laufen, die Kredite nicht mehr bedienen zu können.“

Während die einen also das zuletzt eher in Vergessenheit geratene Grundeinkommen zu „pushen“ versuchen, nehmen andere nun den Kapitalismus selbst unter Beschuss: Im Neuen Deutschland wird etwa unter der Überschrift „Verstaatlichung ist wieder in!“ beklatscht, dass der italienische Staat die teilprivatisierte Fluggesellschaft Alitalia als Teil des Kampfes gegen das Coronavirus wieder komplett übernimmt. Intellektuelle Ergüsse zur Verbindung von Coronavirus und Kapitalismus finden sich auch im Freitag: „Es ist nicht das Virus, das die Menschen tötet, sondern der Kapitalismus. Die Quarantäne ist hierbei eine autoritäre Entwicklung zur Selbstverteidigung des Systems.“

Wenn alles nicht so tragisch wäre, könnte man darüber lachen. Schließlich kommt das Coronavirus aus China - einem kommunistischen Staat.

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