Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz - Lockdown-Leid ohne Ende

Der Lockdown wird um weitere vier Wochen verlängert. Während erste Öffnungsschritte wieder zurückgedreht werden und Ostern zu einer erweiterten Ruhetag-Phase erklärt wird, wird mit jedem Tag deutlicher, dass es den Entscheidungsträgern an Visionen fehlt. Währenddessen ist die gesellschaftliche Stimmung zum Zerreißen angespannt.

Protest am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Der Satz ist wie ein alter Bekannter: „Gehe in das Gefängnis. Begib Dich direkt dorthin. Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 4000 Mark ein.“ Generationen von Spielern sind mit dem Appell auf dieser niederschmetternden Ereigniskarte groß geworden. Aus Mark wurden später Euro, sonst aber blieb es beim immer gleichen Rundlauf, manchmal war es auch nur ein Stakkato: Vor, zurück, dann wieder bis auf Los, und wieder zurück ins Gefängnis. Und dann immer so weiter. Wer zur falschen Zeit auf dem falschen Ereignisfeld stand, hatte schlichtweg schlechte Karten. Und der Rest waren eh nur „Randfiguren in einem schlechten Spiel“, wie einst ein nicht minder schlechter Schlager die Lebensphilosophie hinter einem der beliebtesten Brettspiele der Welt auf den Punkt gebracht hat.

Nun ist ein Lockdown noch kein Gefängnis. Die Folgen aber, die die in der heutigen Nacht in der Runde der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin beschlossene Verlängerung der Maßnahmen bis zum 18. April mit sich bringen, sind für immer größere Teile der Bevölkerung längst ebenso dramatisch. Nicht über Los, kein Geld einziehen, kein Recht auf ehemals sicher geglaubte Grund- und Freiheitsrechte. Das Leben steht still. Und das ziemlich genau seit gut einem Jahr. 

Vorwärts, wir müssen zurück!

Nach zaghaften Lockerungen Anfang März heißt es nun wieder: Vorwärts, wir müssen zurück! Der R-Wert liegt momentan bei 1,12, die Inzidenz bei 107. Es sind Zahlen, die die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten nun veranlasst haben, die in die Öffnungsstrategie vom 3. März eingebaute Notbremse zu ziehen. „Wir sind jetzt in einer sehr ernsten Lage“, so Merkel bei der Pressekonferenz nach ermüdender dreizehnstündiger Beratung mit den Länderchefs per Video-Schalte. Es soll ein hartes Gefecht gewesen sein. Für fast sieben Stunden wurden die Beratungen unterbrochen, zeitweise soll sogar die Forderung diskutiert worden sein, über Ostern für sechs Tage die Supermärkte zu schließen. Am Ende sind daraus auf Initiative der Kanzlerin „erweiterte Ruhetage über Ostern“ geworden, eine Art Feiertagsarrest, der zuvor nicht abzusehen gewesen ist. 

Was schon bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz eher wie die Anleitung zu einem Monopoly für Fortgeschrittene gewirkt hat, bei dem es eben im Zickzack vor und zurück ging, bei dem man in verschiedenen Inzidenzwertzonen Plus- wie Minuspunkte sammeln konnte, das setzte sich fort: „Wir müssen wieder zurück auf die Dinge, wie sie vor dem 7. März gegolten haben“, so die Kanzlerin nach den ermüdenden Beratungen.

Die Regierung im freien Fall

Der unentwegte Ausnahmezustand also geht weiter, diesmal aber wieder etwas härter. Keine weiteren Öffnungen, keine Reisen, keine Osterbesuche. Kein Wunder, dass da die Zustimmungsraten für die Regierung in diesen Tagen purzeln, wie ehedem nur die Pfunde bei der Frühlingsdiät. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind derzeit nur noch 4 Prozent der Befragten „sehr zufrieden“ mit dem Handeln der Bundesregierung; hingegen sind 34 Prozent „sehr unzufrieden“ und weitere 31 Prozent „eher unzufrieden“. Tendenz weiter fallend.

Die Sonntagsfrage untermauert den Trend. Selten hat eine Regierungspartei binnen vier Wochen so viel an Sympathie verloren wie derzeit die CDU um Kanzlerin Merkel. Waren es laut Emnid  zum Zeitpunkt der letzten Ministerpräsidentenkonferenz Anfang März noch 34 Prozent der Wähler, die ihr Kreuzchen bei den Christdemokraten gemacht hätten, so sind es derzeit ganze sieben Prozent weniger. Das Debakel um Impfungen und Masken, Lockdown und partieller Grundrechteentzug, Beschränkung von Freiheit und demokratischer Teilhabe hinterlassen mittlerweile tiefe Narben. Und anzunehmen ist, dass auch die neuen Beschlüsse nicht spurlos an der Wählergunst vorbeigehen werden.

Keine politische Verantwortung

Die Bundeskanzlerin aber scheint das nicht weiter zu bekümmern. Zu abweisend scheinen die glatten Betonwände von Axel Schultes Berliner Kanzleramtsarchitektur zu sein, als dass das Klagen der Gastronomen, das Zittern der Einzelhändler oder das Jammern der Unternehmer noch bis auf die andere Seite durchdringen würde. 

Und selbst wenn: Am Ende dieser Krise – ein Horizont, den derzeit niemand näher zu vermessen oder auch nur zu beschreiben weiß – wird Angela Merkel für die Kollateralschäden ihrer bitteren Lockdown-Medizin nicht mehr politisch zur Verantwortung gezogen werden; weder für die 450 Milliarden Euro, die der Schuldenberg des Bundes laut Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zwischen 2020 bis 2022 durch die Pandemie und die Maßnahmen wachsen wird, noch für die geschätzt 25.000 Unternehmen, die bereits jetzt vor dem finanziellen Ruin stehen; von dem Leben am Limit unzähliger Künstler und Soloselbständiger ganz zu schweigen. Die jetzige Regierung wird sich auch nicht mehr um die vielen kleinen Einkommensverluste durch Kurzarbeit kümmern müssen, vor allem aber nicht um die 2,5 Milliarden Euro, die der Lockdown die deutsche Wirtschaft pro Woche an Wertschöpfung kostet.

Das Ende der Zukunft

Denn egal wie die Bundestagswahlen im September auch ausgehen werden, das Wort Zukunft wird eine neue Regierung buchstabieren müssen, und das Morgen wird eine Generation mit Leben zu füllen haben, die man derzeit um Bildung, Unbeschwertheit und immer öfter auch um die psychische Gesundheit bringt. Doch allem Zukünftigen beißt das Vergangene in den Schwanz. Wenn bereits jetzt jedes dritte Kind laut einer Studie der Universitätsklinken Hamburg-Eppendorf psychische Auffälligkeiten als Lockdown-Folge zeigt, wenn es von Ärzten und Therapeuten Panikstörungen, Depressionen oder Ängste diagnostiziert bekommt, dann wird das nicht ohne Folgen für die nächsten Jahre, ja Jahrzehnte sein.

Und dennoch: Einer echten Zukunft, einem Denken über den Vier-Wochen-Rhythmus der formalen Lockdown-Verlängerungen hinaus, verweigert sich die hinter geschlossenen Türen tagende Runde aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten beharrlich. Keine Visionen, keine Vorstellungen, keine Alternativen. Stattdessen ein dumpfes und phantasieloses Durschgewurschtel und ein unentwegter Verstoß gegen eine uralte Mediziner-Weisheit: Primum non nocere – erstens nicht schaden! Die jetzt beschlossenen Maßnahmen verursachen das glatte Gegenteil.

Die wichtigen Antworten fehlen

Wie wenig der alte Grundsatz derzeit beachtet wird, das zeigt ein imaginierter Sprung über den Tag hinaus: Denn wie wird diese Gesellschaft dereinst wohl aussehen, wenn auch dieser Lockdown irgendwann aufgehoben werden wird? Wie wird die tiefe soziale und kulturelle Spaltung zu überwinden sein, wenn sich die Einsicht durchgesetzt haben wird, dass man einen Virus nicht bekämpfen, sondern dass mit ihm zu leben haben wird? Wie wollen wir die demokratischen Wunden heilen? Wie die Schulden zahlen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen?

Um all diese Antworten drückt sich die Regierung herum – in der vergangenen Nacht, wie auch schon im ganzen zurückliegenden Corona-Jahr. Während sie die Bürgerinnen und Bürger für ihr eigenes Scheitern in einer schier nicht endenden Gegenwart gefangen nimmt, ist sie selbst nicht mehr fähig, realistische Auswege zu erdenken. So viel Verlust an Bodenhaftung und Verdrehung demokratischer Gepflogenheiten war selten. Wäre es da nicht einfacher, um es einmal mit Bertolt Brecht zu sagen, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?

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