Neue Corona-Maßnahmen - Politik bis zur nächsten Ecke

Am heutigen Montag versammeln sich die Ministerpräsidenten wieder zur Schalte mit Angela Merkel, um die Corona-Maßnahmen nachzujustieren. Dieses Prinzip von Trial and Error kommt dem Politikstil der Kanzlerin entgegen. Er ist gleichermaßen erfolgreich wie ambitionslos.

Immer schön auf Sicht fahren: Corona kommt dem Regierungsstil der Kanzlerin entgegen / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Gemeinhin hat das neuartige Coronavirus bei Betroffenen keine belebende und auch keine lebensverlängernde Wirkung. Unser Nachbar zu Hause, gerade genesen, berichtet von einer chronischen Schlappheit und Antriebsschwäche, die er immer noch mit sich herum schleppe.

Ganz anders wirkt das Virus auf die Große Koalition. Sie litt in dieser Legislaturperiode von Anfang an Schlappheit und Antriebsschwäche. Eigentlich hatte man gar keine Lust mehr aufeinander und musste doch wieder in eine gemeinsame Regierung. Corona aber hat diese lustlose Paarung aus Union und SPD stimuliert. Sie hat aus dem Kabinett ein einziges großes oberstes Gesundheitsamt gemacht.

Hand in Hand, und der Wahlkampf weit weg

Nichts schweißt so zusammen wie die gemeinsame  Aufgabe in dieser obersten Corona-Behörde. Hand in Hand zurren etwa SPD-Vizekanzler Olaf Scholz als Finanzminister mit CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier an neuen Hilfspaketen. Erst am Wochenende haben sie wieder eines über 22 Milliarden Euro für weitere Überbrückungshilfen gemeinsam erarbeitet. Wenn man das sieht, könnte man glatt vergessen, dass Scholz vom Frühjahr kommenden Jahres an gegen einen Parteifreund von Altmaier Wahlkampf machen wird und statt seiner Kanzler werden will.

Besonders aber hat Corona die Kanzlerin wachgeküsst. Eingefallen und müde sah sie eine Zeitlang aus, diese seltsamen Zitteranfälle sorgten für Spekulationen über ihren Gesundheitszustand. Jetzt ist sie wieder in ihrem Element. Das sieht man richtig. Und die Politikercharts führt sie mit herausragenden Werten an. Einsam an der Spitze.

Politik bis zur nächsten Ecke

Das liegt auch daran, dass diese Seuche dem Politikstil von Angela Merkel sehr entgegen kommt. Strategische Politik, große Ziele, von langer Hand geplant und dann Schritt für Schritt umgesetzt waren noch nie ihre Sache. Sie mag das: Auf Sicht fahren. Politik bis zur nächsten Ecke. Und dann weitersehen.

Streng genommen ist das gar keine Politik, sondern Management. Abgesehen von zwei fragwürdigen Kehrtwenden im Affekt – die Energiewende nach Fukushima und die Migrationswende im Sommer 2015 – hat sie mit diesem Management-Stil ihre ganze Kanzlerschaft bestritten. Muddling through sagt der Brite dazu: Durchwursteln.

Perfekter Ansatz für Corona

Und genau dieser Ansatz passt perfekt zu Corona: Erst eine Entscheidung über einen zeitlich und in den Maßnahmen begrenzten Lockdown; dann, wie an diesem Montag wieder: die neue Lage betrachten und dann die Maßnahme der neuen Lage anpassen. Dann wieder weitersehen. Politik wie bei einer Versuchsanordnung im Labor. Und die Regierungschefin betrachtet die Ergebnisse der Versuchsreihe gewissermaßen in einem weißen Laborkittel auf ihrem Klemmbrett und zieht die Schlüsse für die nächste Testreihe.

Es ist ein erfolgreicher Politikstil, um im Amt zu bleiben, das muss man konzedieren. Aber es ist auch ein äußerst genügsamer Politikstil. Man könnte ihn auch ambitionslos nennen. Merkels Vorgänger haben jeweils für eine große Sache gekämpft, gegen große Widerstände, aber mit der festen Überzeugung, das richtige Ziel im Auge zu haben.

So hat Helmut Kohl die Europäische Union maßgeblich vorangetrieben und Gerhard Schröder Deutschland mit seiner Agenda 2010 wirtschaftlich wieder flott gemacht, die Staatsquote gesenkt und die Eigenverantwortung des Einzelnen stärker eingefordert. Schröder hat für diese Politik sein Amt aufs Spiel gesetzt und am Ende verloren. Das Land hat enorm gewonnen.

Kein Fußabdruck wie Kohl

Von einem Projekt vergleichbarer Dimension ist bei Angela Merkel nichts zu sehen. Wenn sie nächstes Jahr im Herbst aufhört, hat sie Deutschland ebenso lange wie Helmut Kohl regiert. Aber von der Größe seines Fußabdrucks, den er hinterlassen hat, ist sie weit entfernt. Und von dem Fußabdruck des Sieben-Jahre-Kanzlers Schröder auch.

Nicht Merkel hat ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt, sondern die Zeit ihr. Ihre Kanzlerschaft ergibt kein Bild, es ist einfach ein Mosaik aus den Gegebenheiten dessen, was die Zeitläufte in 16 Jahren bereit hielten. Historiker werden sich schwer damit tun, diesem Merkel-Mosaik eine eigene Kontur zu geben.

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