Corona und die zwischenmenschlichen Beziehungen - „Ein gefühlter Abstand bleibt“

Die Corona-Krise wirft die Menschen auf sich selbst zurück. Kontakt mit anderen Menschen als der eigenen Familie ist in der Quarantäne oft nur durch das Internet möglich. Für unser Sozialleben wird das Medium auch danach wichtiger werden, sagt der Psychiater Borwin Bandelow.

Wie im Gefängnis: „Die Coronakrise ist ein Feldexperiment, das es so noch nicht gegeben hat“/ dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Krise wird die Welt und unser aller Leben dauerhaft verändern, heißt es. Aber wie konkret? Elf Felder haben wir genauer unter die Lupe genommen oder Experten dazu befragt – von Kultur über Tourismus bis zur Geopolitik. Borwin Bandelow ist Psychiater und Neurologe, Psychologe und Psychotherapeut. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem „Celebrities – vom schwierigen Glück, berühmt zu sein“. 

Herr Bandelow, das oberste Gebot in der Coronakrise lautet: „Zusammenstehen – aber auf Abstand bleiben“. Wie soll das eigentlich gehen? 
Ich beobachte das jeden Tag beim Joggen: Einerseits machen die Leute einen großen Bogen umeinander, andererseits lächeln sie sich dabei freundlich an, um zu signalisieren: Ich gehe dir zwar aus dem Weg, nimm es aber bitte nicht persönlich. Also, so etwas hätte man früher nicht getan. 

Die Krise hat die Menschen rücksichtsvoller gemacht?
So nehme ich das jedenfalls wahr. Ich erlebe viel mehr Hilfsbereitschaft als vor der Krise. Da sind doch die meisten stumpf durch die Gegend gelaufen und haben sich nicht um andere gekümmert. Jetzt wissen wir, jeder von uns könnte einen anderen anstecken. Wir müssen viel mehr Rücksicht nehmen. 

Bei den Hamsterkäufern war davon nicht viel zu spüren. Wenn es um Leben oder Tod geht, sind sich Menschen da im Zweifelsfall nicht selbst am nächsten?
Ich glaube, dass Menschen flexibel sind. Wir haben ja so die Angewohnheit, dass wir Freunde erstmal umarmen, um zu zeigen, dass wir uns gern haben. Das muss man aber nicht unbedingt machen. Es geht auch ohne. In manchen Kulturen dürfen sich Ehepaare bis heute nicht in der Öffentlichkeit berühren. 

Aber das kann doch kein erstrebenswertes Modell für eine westliche Demokratie sein.
Klar, aber es zeigt, dass es geht – und dass Menschen so etwas aushalten. 

Kein Händeschütteln, keine Umarmung, kein Bussi-Bussi: Geht durch den Verlust von Berührungen nicht eine wichtige Ebene einer Beziehung verloren?
Doch, auf jeden Fall. Durch Berührungen kommt man sich nahe. Wie wichtig das ist, haben Studien der Psychotherapie gezeigt. 

Erzählen Sie mal
Wie in der Medizin gab es auch in der Psychotherapie Überlegungen, ob die künftig auch per Skype oder Internet geht. So eine Stunde ist ja ziemlich teuer. Bei uns kostet sie 100 Euro. Die Nachfrage steigt. In Australien hat man deshalb ausprobiert, ob es nicht reichen würde, wenn Patienten Videotelefonate mit dem Therapeuten führen oder nur mit einem Computer kommunizieren und sich ein Therapeut nur am Anfang einschaltet. 

Und, hat es funktioniert?
Ja, aber nach Meta-Analysen nicht so gut wie eine Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht. Gerade da ist es ja wichtig, dass uns das Gegenüber die Hand drück, Vertrauen ausstrahlt und uns aufmunternd zulächelt. Diese nonverbalen Signale sind genauso wichtig wie verbale Signale. 

Was macht Isolation mit Menschen, die zur Risikogruppe gehören und ihre Kinder und Enkelkinder jetzt nur noch über Facetime oder Skype sehen?
Für viele einsame, ältere Menschen macht diese Isolation jetzt gar keinen großen Unterschied, weil sie auch vorher nicht ständig Besuch bekommen haben. Aber tatsächlich ist es für sie schon schmerzlich, wenn sie das Enkelkind nicht mehr auf den Schoß haben dürfen oder mal berührt werden dürfen von irgendeinem Menschen. 

Wie wirkt sich der Verlust von Berührungen auf die Psyche aus?
Das hat noch nie einer untersucht. So gesehen ist die Corona-Krise ein großes Feld-Experiment, das es so noch nie gegeben hat. Man kann dann nur auf die Erfahrungen von Menschen verweisen, die im Gefängnis sitzen. Da gibt es welche, die paranoid werden. Das sind geistig ansonsten völlig normale Menschen, die sich plötzlich einbilden, dass sie jemand an der Zellentür belauscht oder töten will.  

Besteht diese Gefahr auch für Menschen, die durch die Corona-Krise isoliert werden – zum Beispiel, weil sie Single sind?
Gefährlich könnte es für Menschen werden, die an einer sozialen Phobie leiden. Das betrifft überwiegend junge Leute im Alter zwischen 15 und 40 Jahren. Das sind Leute, die extrem schüchtern sind und zum Beispiel keinen Partner finden, weil sie sich einbilden, dass sie nicht gut aussehen oder nicht intelligent genug sind. Diese Menschen sind häufig alkohol- und suizidgefährdet.  

Borwin Bandelow / privat 

Solche Leute werden jetzt vermutlich noch mehr Zeit im Internet verbringen. Ist das Medium ein gleichwertiger Ersatz für soziale Beziehungen?
Zum Teil ja. Menschen streben eine Endorphin-Ausschüttung in ihrem Hirn an. Alles, was sie tun, zielt darauf ab, auch soziale Interaktion. Das geht über das Belohnungssystem im Kopf, und das lässt sich aber auch leicht betrügen, weil es nicht gut zwischen Fiktion und Realität unterscheiden kann.  

Indem man lustige Bilder auf Instagram postet und dafür Likes kassiert?
Zum Beispiel. Man kann sich auch einen Krimi oder einen Liebesfilm anschauen, um Gefühle zu simulieren. Wenn sich im Film zwei Menschen küssen, bilden wir uns ein, einer von beiden zu sein. 

Aber können Instagram-, Facebook- oder Twitter-Freunde echte Freunde ersetzen?
Vielleicht nicht zu 100 Prozent, aber zu 75 Prozent. Die viel geschmähten sozialen Medien sind in der Krise ausnahmsweise mal wirklich sozial. Sie helfen, Kontakte aufrechtzuerhalten, die sonst monatelang brach liegen würden. 

Wird das so bleiben?
Ich denke schon. In Zukunft wird das Internet auch noch mehr Raum einnehmen, denn auch die Leute, die bislang nicht drin waren, lernen jetzt, wie es funktioniert. 

Das heißt, der Abstand, den wir jetzt noch aus Sicherheitsgründen wahren müssen, wird bleiben?
Ja, durch die Krise hat die Digitalisierung einen Schub bekommen. Es werden künftig noch mehr Leute im Home Office arbeiten, dadurch sinkt die Chance für persönliche Begegnungen oder das Bierchen, das man früher vielleicht mal nach einer Tagung  zusammen getrunken hat.  

Das heißt, wir werden besser vernetzt sein, aber innerlich vereinsamen?
Nicht zwangsläufig. Die Kommunikation ist durch das Internet eleganter, schneller und leichter geworden. Deswegen glaube ich nicht, dass wir zunehmend isoliert werden. Für Menschen mit einer sozialen Phobie ist das Internet sogar die Rettung. Vorher hatten sie gar keine Kontakte, jetzt wenigstens virtuelle. Sie können sich damit eine Scheinwelt aufbauen. 

Aber einen Partner zu finden, wird künftig schwerer?
Nein, aber für die Wahl der Partner wird das Internet noch wichtiger. Acht Prozent der Partner werden jetzt schon online gefunden. Noch lernen die meisten Menschen ihren Partner durch gemeinsame Freunde oder bei der Arbeit kennen. Wenn sich das Home Office noch weiter durchsetzt, werden Dating-Portale wie Parship aber noch mehr Zulauf bekommen.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

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