Corona-Expertenrat - Postpolitisches Pandemie-Palaver

Die Ampel-Regierung hat einen Expertenrat einberufen, von dem sie sich künftig in Pandemie-Fragen beraten lassen will. Doch eine Wende in der Covid-Politik bedeutet das nicht. Entscheiden müssen nach wie vor demokratisch legitimierte Gremien. Und die bisherigen Erfahrungen mit medizinischer Politikberatung sind nicht besonders vielversprechend.

Die Politik darf sich nicht hinter weißen Kitteln verstecken - selbst wenn Hendrik Streeck ihn trägt. / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Willkommen in der Räterepublik, in der Demokratie im kleinen Stuhlkreis! Säuberlich von der Regierung vorsortiert und vom Souverän geschützt durch verschlossene Türen, werden in diesem postpolitischen Strukturgebilde keinerlei Themen mehr diskutiert, die irgendwie aus der Reihe tanzten, und es kommt auch zu keinen Beschlüssen oder mindestens zu Erkenntnissen, die nicht längst von allen erwartet worden wären. Hier, im kleinen Philosophikum des geordneten Durchregierens, hat jeder seine feste Rolle, und jede Position ist starr und fest und quasi per Entsendungsbeschluss besetzt. Ob Islamrat, Klimarat oder Ethikrat – die politische Entschlusskraft und der Diskurs des Demos sind von der harten Parlamentsbank auf eine gut vorgewärmte Lehrstuhlreihe verschoben worden.

Angefangen hat dieser ungute Drift zur Expertokratie vor Jahren bereits unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Dessen nationaler Ethikrat, seine Kommissionen und sein hermetisch abgeriegelter Kapazitätenklüngel haben einerseits die lebendige Debattenkultur der Legislative ein Stück ausgebremst, andererseits aber auch die Exekutive in die komfortable Rolle gebracht, wichtige Entscheidungen notfalls in die schier endlose Diskursschleife verschieben zu können – einer Art Möbiusband mit medialem Endverstärker.

Verlautbarung ex cathedra

Angela Merkel hat diese „Gipfelitis“ der Räte und der runden Tische aufgegriffen und auf nahezu perfekte Weise fortgeführt. Und das, obwohl schon der einstige Bundespräsident Johannes Rau vor den abgezirkelten Professorenkreisen gewarnt hatte: „Hier wirft die Wissenschaft Fragen auf, die uns alle angehen. Sie müssen in der ganzen Gesellschaft diskutiert werden, und sie müssen dann politisch entschieden werden – im Parlament“, so die mahnenden Worte des Alt-Bundespräsidenten, der schon vor zwei Jahrzehnten geahnt haben muss, wie sehr die Expertenzirkel die lebendige Demokratie zu schädigen in der Lage sind.

Aber was soll’s: Die Zeiten sind halt unübersichtlich, wie man im Poesiealbum der real existierenden Postmoderne immer wieder zu lesen bekommt. Da kennt sich keiner mehr wirklich aus, und jeder sehnt sich nach einer Verlautbarung ex cathedra. Also wird der Stab jetzt abermals über das Parlament hinweggereicht und weiter an Olaf Scholz und seine Ampel-Koalitionäre gegeben – oder, besser gesagt, an dessen neu besetzte Räte und Beiräte. So tagte heute zum ersten Mal der von Olaf Scholz berufene Corona-Expertenrat – ein Gremium, das in Zukunft wöchentlich den epidemiologischen Laien im Berliner Politikbetrieb erklärend und beratend unter die Arme greifen und das am Ende Empfehlungen für das politische Handeln in der Covid-Krise ausarbeiten soll.

Man kennt sich

Die Namen in diesem Gremium sind jedem bekannt, der in den zurückliegenden 22 Monaten gelegentlich mal die Besetzungslisten der wiederkehrenden TV-Festspiele bei Maischberger oder Lanz studiert hat. In den Hauptrollen: Christian Drosten, Chefvirologe der Charité, Hendrik Streeck, Leiter des Virologischen Instituts der Uni Bonn, sowie Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. In weiteren Rollen Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Michael Meyer-Hermann – wie Brinkmann Fachmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung – sowie Leif Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfforschung der Charité. Der Rest wird aufgefüllt mit 13 weiteren Wissenskräften, die sich ebenfalls seit Monaten in heimischen Talkshows tummeln, sowie mit den Leitern von RKI, Stiko und einem nordrhein-westfälischen Gesundheitsamt.

„Wir kennen uns schon lange“, erklärte denn auch folgerichtig der heute einladende Gesundheitsminister Karl Lauterbach dem interessierten Publikum, ohne noch weiter ausführen zu müssen, wo genau man sich denn dereinst kennengelernt hat. Man kennt sich eben, man verachtet sich zuweilen gar. Die Fehde etwa, die die beiden Virologen Drosten und Streeck in der Vergangenheit zum Teil vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit auf den Wissenschaftsseiten deutscher Zeitungen ausgetragen haben, hatte zuweilen schon Shakespear’sche Züge.

Die wichtigen Studien kommen aus Großbritannien, China und den USA

Und so wundert es auch nicht, dass bei so viel vorgebrachter Differenz manch Beobachter nun glaubt, mit dem neuen Rat der Corona-Weisen sei endlich auch das Grundprinzip von Wissenschaft wieder in sein Recht gesetzt worden: These und Antithese, Rede und Gegenrede, Disputatio und Questio. Und am Ende, so zumindest die Hoffnung von Kanzler Scholz vor der Auftaktsitzung, ein paar brauchbare Vorschläge im Konsens.

Doch ein weiterer Rat macht noch keine Wissenschaft, geschweige denn gute Politik. Zu verheerend waren bis dato die Folgen einer medizinischen Politikberatung, die in weiten Teilen eher „eminenzblasiert“ denn evidenzbasiert war. Die international wichtigen Studien zu Covid-19 kommen noch immer aus Großbritannien, China und den USA, und die Vorhersagen hiesiger Experten (inklusive die des amtierenden Gesundheitsministers) warten oftmals noch immer auf ihre Erfüllung. Es wäre zu blauäugig, wollte man von diesem Gipfeltreffen der gut vorsortierten Ordinarien eine wirkliche Wende in der deutschen Corona-Politik erwarten. Zumal letztlich die Politik entscheiden muss – offen und vollumfänglich transparent. In der Abwägung verschiedener Rechtsgüter wird sich also niemand hinter einem weißen Kittel verstecken können. Expertise ist gut, doch sie muss am Ende eben auch exekutiert werden. In der Demokratie hat man sich dafür Regeln gegeben. Und ein Corona-Expertenrat aus dem virtuellen Hinterzimmer des Kanzleramts ist in diesem Reglement nicht vorgesehen.

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