Corona-Demos - Berlin muss das aushalten

Berlin verbietet die für das Wochenende geplanten Demos gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Ein größeres Geschenk an die Radikalinskis unter den Demonstranten ist schwer vorstellbar, schreibt Moritz Gathmann.

Ein Teilnehmer einer Demo der "Querdenker" in wirbt im August in Stuttgart für die Großdemo in Berlin / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Hätte er doch einfach geschwiegen. Aber nein, Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) wollte wohl mal wieder „Kante zeigen“ – und plapperte den wahren Grund für das Demo-Verbot an diesem Wochenende aus: „Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird“, lässt er sich in einer Pressemitteilung zitieren.

Damit kommentierte Geisel die Entscheidung der Berliner Versammlungsbehörde, eine Reihe von Veranstaltungen zu verbieten, zu denen sich von Freitag bis Sonntag – und einige in Form eines Camps offenbar darüber hinaus – in Berlin wohl zwischen 20.000 und 30.000 sehr unterschiedliche Menschen versammelt hätten. Federführend sind die aus Baden-Württemberg stammenden „Querdenker“, gegründet vom Stuttgarter IT-Unternehmer Michael Ballweg. 

Kein „prägender Einfluss" von rechts

Sie sind ein Sammelbecken für alle, die mit dem Maß der staatlichen Einschränkungen wegen der Corona-Krise nicht einverstanden sind: Linksgrüne und Rechte sind darunter, FDP-Mitglieder, Heilpraktiker, Homöopathen und schwäbische Schamanen. Für sie würde in Geisels Aufzählung am ehesten der Begriff „Corona-Leugner“ zutreffen. Die Existenz des Corona-Virus stellen allerdings die wenigsten „Querdenker“ in Frage, seine Gefährlichkeit und die Angemessenheit der Maßnahmen sehr wohl.

Die von Geisel zitierten „Reichsbürger und Rechtsextremisten“ gibt es. Sie kündigen für das Wochenende eigene Veranstaltungen an, und am 1. August, als die Querdenker erstmals nach Berlin zogen, versuchten sie, die Demo zu kapern, allerdings ohne Erfolg. Ein „prägender Einfluss“ sei nicht von ihnen ausgegangen, erklärte jüngst der Verfassungsschutz gegenüber der FAZ. Ja, für die jetzt geplanten Demos wird auf der rechten Seite noch lauter getrommelt als zuvor: Der Neurechte Götz Kubitschek etwa rief seine Anhänger zur Teilnahme auf, ebenso Björn Höcke und AfD-Chef Tino Chrupalla. Aber das kann kein Grund für ein Verbot sein. 

Wird Politik mit steigenden Infektionszahlen gemacht? 

Ist es ja auch offiziell nicht. Damit stünde die Entscheidung auf noch dünnerem juristischen Eis, als sie es ohnehin schon tut. Als eigentlichen Grund für das Verbot führen die Berliner an, „dass es bei dem zu erwartenden Kreis der Teilnehmenden zu Verstößen gegen die geltende Infektionsschutzverordnung kommen“ wird. Besondere Auflagen – wie zum Beispiel das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung – als milderes Mittel seien bei den angemeldeten Versammlungen nicht ausreichend. Die Versammlungen vom 1. August 2020 hätten gezeigt, dass „die Teilnehmenden sich bewusst über bestehende Hygieneregeln und entsprechende Auflagen hinweggesetzt haben“.

Nochmal O-Ton Geisel: „Wir sind noch mitten in der Pandemie mit steigenden Infektionszahlen. Das kann man nicht leugnen. Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden.“ Wow, nochmal ganz langsam: „Wir haben uns für das Leben entschieden.“ Das ist die ganz große Keule. Und gerade deshalb kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass mit den wieder steigenden Infektionszahlen Politik gemacht wird.

Zahlen sind kein Grund zur Panik 

Ja, Geisel hat Recht: Die absolute Zahl der Infektionen steigt wieder leicht: 8.400 Menschen wurden in der vergangenen Woche deutschlandweit positiv getestet. Aber die Zahl der Tests in dieser Woche lag bei fast 900.000, der Anteil der positiven Tests damit unter einem Prozent. Anfang April, in der Woche mit den höchsten Infektionszahlen, lag die absolute Zahl der Neu-Infektionen bei knapp 37.000, die Zahl der Tests aber nur bei etwa 400.000, der Anteil der positiven Tests damals bei neun Prozent. Kurzum: Heute wird doppelt so viel getestet, aber die Zahl der nachgewiesenen Infektionen liegt bei einem Viertel.

Angesichts der weiter hohen Dunkelziffer bei den Infektionen lohnt da schon eher ein Blick auf die Zahl der durch oder mit Corona Verstorbenen: Die liegt seit Ende Juni fast konstant unter 10 pro Tag, Mitte April starben in Deutschland an einem Tag über 300 Menschen. Sind die Zahlen ein Grund zur Vorsicht? Ja. Grund zur Panik? Nein.

Gefährdet eine Demo das Grundrecht auf Unversehrtheit? 

Hinzu kommt, dass eine Ansteckung mit dem Corona-Virus beim Aufenthalt an der frischen Luft inzwischen erwiesenermaßen als unwahrscheinlich gilt. Hinzu kommt auch, dass Berlin nicht zu den Hotspots gehört: In den vergangenen sieben Tagen gab es in der Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern laut RKI 407 nachgewiesene Fälle.

Kann der mehrstündige Marsch einiger Tausend Corona-Zweifler vor diesem Hintergrund als ein Ereignis gesehen werden, das das Grundrecht auf Unversehrheit des Lebens gefährdet? Sicher nicht. Und der Polizei stünde es im Zweifel frei, die Veranstaltung aufzulösen, falls sich zu viele Teilnehmer nicht an die Auflagen halten. So hat sie es am 1. August gegen Ende der Demonstration getan.

Hanau ist nicht Berlin

Nun noch zu dem Argument, der Gedenkmarsch für die Opfer des rassistisch motivierten Terroranschlags von 2019 in Hanau am vergangenen Wochenende sei ja auch abgesagt worden. Das hessische Hanau hat sich – aus welchen Gründen auch immer – zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Und Hanau ist eben nicht Berlin: Die Hauptstadt muss mehr aushalten als eine Provinzstadt.

Flankiert von Geisels Aussage über die „Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten“ entsteht der Eindruck, dass hier die mangelnde Bereitschaft der Demonstranten, Hygiene-Vorschriften einzuhalten, dazu genutzt wird, um politisch unerwünschte Veranstaltungen zu untersagen. Ist ein größeres Geschenk der Berliner Politik an diejenigen denkbar, die überzeugt sind, dieser Staat und ganz besonders die Hauptstadt wären linksgrün-versifft, ihre Repräsentaten mäßen mit zweierlei Maß? Die Radikalinskis, gerade die von rechtsaußen, wünschen sich doch nur einen Präzedenzfall wie diesen. Kubitschek schreibt eine „harte Konfrontation“ herbei, die er sich dann „spontan doch vor Ort anschauen“ werde.

Die Veranstalter haben angekündigt, gegen das Verbot zu klagen. Ihre Chancen stehen gut. Der Rechtsstaat sollte jenen den Rücken stärken, die sich keine „harte Konfrontation“ wünschen, sondern ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen.

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