Corona-Demonstration in Berlin - Wasser marsch!

Bis zu 10.000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen das „Ermächtigungsgesetz“, wie sie das Infektionsschutzgesetz nennen, das der Bundestag heute reformiert hat. Die Berliner Polizei antwortet mit Wasserwerfern. Und Andreas Kalbitz macht nun auf Ströbele.

Mit Wasserwerfern und Polizeiketten wurde in Berlin die Demonstration der Corona-Skeptiker geräumt / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Über Jahre war es die angestammte Rolle von linken Politikern, allen voran Grünen-Ur-Gestein Hans-Christian Ströbele, sich bei Demos gegen Atomkraft oder Nazis hinter den Polizei-Reihen zu bewegen. Wenn dann aus dem Schwarzen Block die ersten Flaschen und Steine flogen und die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas antwortete, beklagten sie in die Kameras der Journalisten die Worte „unverhältnismäßige Gewalt von Seiten der Polizei“ und „eine fehlende Deeskalationsstrategie“.

Diese „Schutzherren“-Funktion hat auf den Corona-Protesten nun die Alternative für Deutschland (AfD) übernommen. Während an diesem Mittwoch in Berlin die Polizei die Demonstranten mit Wasserwerfern vom Platz vor dem Brandenburger Tor spült, wandelt der im Frühjahr aus der AfD ausgeschlossene Brandenburger Andreas Kalbitz zusammen mit anderen AfD-Politikern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt wenige Meter hinter den Polizeireihen hin und her und gibt fleißig Interviews in die Kameras der rechten und „alternativen“ Youtuber-Szene unseres Landes. Die Botschaft, wenig überraschend: unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt.

Ist das der Fall? Je nachdem, wen man fragt

Formal tut die Polizei an diesem Tag das, wozu sie verpflichtet ist: Unter den fünf- bis zehntausend Demonstranten, die wenige hundert Meter vom Berliner Reichstag gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes protestieren, die zur selben Zeit dort verhandelt wird, tragen weniger als fünf Prozent eine Maske, Abstände werden kaum eingehalten.

Das war allerdings die Auflage für die Demonstration, zu der sich die Veranstalter bereit erklärt hatten. Die Nicht-Einhaltung ist der Grund, warum die Polizei um kurz vor 12 Uhr die Demo für beendet erklärt und die Menschen zum Gehen auffordert. Andernfalls werde man „polizeiliche Maßnahmen“ durchführen. Der Großteil der Menschen ignoriert die Ansagen, und so rollen die Wasserwerfer an, es erschallt das Kommando „Wasser Marsch!“, und unter gellenden Pfiffen der Demonstranten ergießt sich Wasserladung um Wasserladung auf ihre Köpfe, und eine lange Reihe von Polizisten schiebt die Menschenmassen über Stunden vom Platz.

Der größte Teil der Demonstranten ist nicht gewaltbereit und leistet höchstens passiven Widerstand, als die Polizisten die Menschen vom Platz drängen. Aber immer wieder kommt es doch zu Rangeleien, Stein- und Flaschenwürfen, die Polizei setzt Tränengas ein und nimmt bis zum frühen Abend knapp 200 Menschen fest. Aber wer schon tatsächlich exzessive Polizeigewalt gesehen hat, der kann die Berliner Polizeiführung für den heutigen Einsatz nur freisprechen.

Unauflösbare Widersprüche

Die Demonstranten selbst sind dagegen empört. Die 51-jährige Petra Arbora aus dem bayrischen Kitzingen findet das Vorgehen „völlig überzogen“, obwohl sie persönlich gerade überraschend freundlich von einem Berliner Polizisten aus der Gefahrenzone geleitet wurde. „Wir sind ja hier, um gegen unsinnige Maßnahmen wie die Maskenpflicht zu demonstrieren“, sagt sie. „Ist doch klar, dass wir die Auflösung der Demo für nicht nachvollziehbar halten.“

Da beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz. Es ist ein Widerspruch, der für alle Corona-Demonstrationen gilt. Und er ist nicht auflösbar. Ähnliche Widersprüche kennt man im übrigen von Demos, auf denen Anarchisten gegen Polizeigewalt demonstrieren.

Fake News von einem „Schießbefehl“ der Polizei 

Die Zusammensetzung dieser Demo ist wieder äußerst bunt: Da ist der Polier Marco aus NRW, der auch in seiner großen Baufirma niemanden kennt, der an Corona erkrankt ist – und der auf Youtube erfahren haben will, dass der Regierungschef in Portugal den Lockdown aufgehoben hat, weil ein Gericht die fehlende Aussagekraft von PCR-Tests festgestellt hat (SIC!!!).

Da ist der offensichtlich dem Wahnsinn nahe junge Mann, der in seine Flüstertüte brüllt „Das ist eine Kriegserklärung! Die wollen auf uns schießen!“, als die Polizei die Beendigung der Demo verkündet – und der als einer der ersten bei der Räumung des Platzes abgeführt wird. Über einen gefälschten Twitter-Account der Polizei hatten Unbekannte vorher die Nachricht verbreitet, die Polizei haben „einen Schießbefehl der Bundesregierung erhalten und diesen zeitnah umzusetzen, sollten sich die Demonstranten nicht zurückziehen.“

Westernhagen als kleinster gemeinsamer Nenner

Da ist aber auch die Geisteswissenschaftlerin, die elaboriert über die „Aufhebung des parlamentarischen Vorbehaltes“ und die „weitere Aushöhlung der Grundrechte“ referiert, und die ganz allgemein die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen in Frage stellt. Nazis? Reichsbürger? Lassen sich anders als noch auf der Großdemo im September kaum ausmachen, weil die Demonstranten den Empfehlungen gefolgt sind, keine politischen Fahnen zur Demo mitzubringen. Selbst der selbsternannte Deutschland-Retter und Veggie-König Attila Hildmann lässt dieses Mal einen großen Auftritt vermissen.

Allgegenwärtig ist jedoch der völlig überzogene Vergleich der heute beschlossenen Gesetzesnovelle mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz der Nazis von 1933. Und wer sagt da voller Genuss „Wehret den Anfängen" in die Kameras? Richtig, Andreas Kalbitz, der wegen seiner Mitgliedschaft in der rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aus der AfD ausgeschlossen wurde.

Was ist der gemeinsame Nenner all dieser Menschen? Sicher nicht Kalbitz. Vielleicht ist es der Song, der aus Dutzenden kleinen und großen Lautsprechern durch den Berliner Abend schallt, während die Polizei die letzten hartnäckigen Corona-Zweifler vom Asphalt schiebt: „Freiheit, Freiheeeeit, ist das einzige, was zählt.“

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