Diskussion um AstraZeneca - Sicher ist sicher

Die Meldungen um Impfschäden im Zusammenhang mit dem Vakzin von AstraZeneca haben zu einem merkwürdigen Alarmismus geführt. Anstatt den Teufel wieder mal an die Wand zu malen, sollten wir vielleicht besser lernen, mit einem gewissen Restrisiko zu leben.

Menschen warten auf eine Impfung mit AstraZeneca / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Das Leben ist riskant. Und egal, wie die individuelle Risikobewertung auch ausfallen mag, am Ende von allem ist tatsächlich finis. Da mag man, wie einst der Kunstkritiker und Agent Provocateur Bazon Brock, auch einwenden, dass der Tod abgeschafft werden und „diese verdammte Schweinerei“ aufhören müsse. Letztlich ist alle infantile Bockigkeit umsonst. Der Einflussbereich des Menschen reicht über die Grenzen des Diesseits einfach nicht hinaus.

Vielleicht muss man diese Binsenweisheit einmal vorwegschicken, wenn man in diesen Tagen über die gewachsenen Gesundheitsrisiken durch den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca berichtet. Dabei sind die Fakten nicht von der Hand zu weisen: Nicht nur hierzulande sind in den vergangenen Tagen beunruhigende Meldungen aufgepoppt, in denen von berechtigten Zweifeln an der Güte des Vakzins des Pharmariesen aus Cambridge und Södertälje die Rede war. 

Sieben Fälle von Hirnvenenthrombosen

Allein in Deutschland, so bestätigte es nun auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), sollen bis zum 15. März sieben Fälle von gefährlichen Hirnvenenthrombosen bekannt geworden sein. Zuvor hatten bereits Nachrichten über andere Fälle von gefährlichen Blutgerinnseln die Runde gemacht. Das ist kein Pappenstiel, zumal Hirnvenenthrombosen für etwa 0,5 Prozent aller Schlaganfälle verantwortlich sein sollen.

Der Sache muss also nachgegangen werden. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht das Vertrauen in den ohnehin nur bedingt zugelassenen Impfstoff verlieren sollen, muss über die gesundheitlichen Nebenwirkungen genauestens aufgeklärt und jeder noch so kleine Anfangsverdacht aus der Welt geschafft werden. Das zuvor teleskopierte Zulassungsverfahren der meisten Covid-19-Impfstoffe wie auch das weitestgehende Fehlen der aufwändigen Phase-III-Studien nehmen hier das Paul-Ehrlich-Institut und die Politik in die Pflicht.

Das ist nicht das Ende

Und dennoch sollte man aktuell die sprichwörtliche Kirche im Dorf lassen. Sieben bekanntgewordene Fälle bei über 1,6 Millionen Impfungen – das ist nicht der Zusammenbruch von allem, wie es der Berliner Tagesspiegel in einem Kommentar gerade so apokalyptisch„schwarzgemalt“ hat. Im Gegenteil: Sieben Fälle bei 1,6 Millionen Impfungen, das entspricht umgerechnet 4,5 Fällen in einer Millionenmetropole wie Köln. 

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Jeder Fall von Hirnvenenthrombose im Zusammenhang mit einer Impfung ist ein Fall zu viel. Doch wenn es im Zusammenhang mit den nicht-pharmazeutischen Interventionen wie Quarantäne und Lockdown zu recht heißt, dass die Medizin nicht gefährlicher sein darf als die Krankheit selbst, dann gilt das im umgekehrten Fall natürlich auch. Oder um bei dem Beispiel Köln zu bleiben: Im zurückliegenden Jahr sind in der Domstadt 552 Menschen in Zusammenhang mit Corona gestorben, vor dem Hintergrund der 4,5 statistischen Fällen von Hirnvenenthrombose würde der Nutzen der AstraZeneca-Impfung das Risiko also bei weitem übersteigen. Auf diesen Umstand hat heute auch noch einmal die Europäische Arzneimittelkommission verwiesen, die versprochen hat, alle Berichte über Blutgerinnsel streng prüfen und am Donnerstag einen ersten Risikobericht vorzulegen. 

Das Leben ist riskant

Aber was helfen all die Einordnungen, die Statistiken und Zahlen, wenn es am Ende oft schon am Wesentlichen mangelt: an der Einsicht nämlich, dass es ein Leben ohne Risiko nicht geben kann. Zum Wagnis des Menschseins gehört eben auch die Gefahr des Scheiterns, notfalls sogar eines existentiellen Scheiterns. Religionen wie Philosophen jedenfalls haben sich da nie Illusionen hingegeben: Es gibt eine schicksalhafte Einbindung der menschlichen Existenz in ein risikobestimmtes Dasein, wie es der Existenzphilosoph Peter Wust einst auf den Punkt gebracht hat. Und selbst die menschliche Sehnsucht nach einer definitiven Sicherheit, nach Geborgenheit und Schutz – Bedürfnisse, die gerade in Krisenzeiten vermehrt aufkommen – ist letztlich nur in einem riskanten Sprung auf die Welt zu zu befriedigen.

Doch wen das beunruhigt, für den gibt es Trost: In der Regel nämlich schätzen Menschen die in der Welt lauernden Gefahren ohnehin viel zu hoch ein. Mag uns unser evolutionshistorisch verengtes Gehirn auch hinter jedem Busch einen Säbelzahntiger vorgaukeln, in Wahrheit ist die Existenz weit friedlicher. Das gilt übrigens auch und gerade in Bezug auf Corona, wie jüngst eine Studie des Bewusstseinsforschers Manuel Schabus von der Universität Salzburg gezeigt hat. Schabus hat 3.000 Menschen danach gefragt, wie hoch sie das persönliche Risiko einschätzen, eine schwere Covid-Erkrankung durchleiden zu müssen. Das Ergebnis: die Gefahr wird vollkommen überbewertet, je nach Altersgruppe um das 7- bis 38-fache. 

Es gibt also Grund genug, gelassen zu bleiben und nicht bei jeder Meldung gleich aus dem Häuschen zu sein. Der vor fünf Jahren verstorbene Soziologe Ulrich Beck hat übrigens einmal darauf hingewiesen, dass zu viel Risikobewusstsein am Ende eine paradoxe Wirkung entfalten kann: „Wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich", schrieb Beck 1986 in seinem Klassiker „Risikogesellschaft". So leicht sollte man es AstraZeneca dann auch wieder nicht machen.

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