Corona-Regierungserklärung von Angela Merkel - Anhaltender Novemberblues

Mit gelassener Miene hat Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung die neuen Corona-Maßnahmen im Bundestag vorgetragen. Zwar äußerte die Bundeskanzlerin Verständnis für die Situation der vom Lockdown betroffenen Betriebe. Aber auch diese Worte zeugten vom Zweifel an der weiteren Finanzierbarkeit.

Angela Merkel im Bundestag / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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An Tagen wie diesen möchte man bei Frank Castorf gerne Mäuschen spielen – oder zumindest einen hintersinnigen Mephisto. „Ich möchte mir nicht von Frau Merkel mit einem weinerlichen Gesicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss“, hatte der 68-jährige Theatermacher und einstige Intendant der Berliner Volksbühne noch im Frühjahr im Nachrichtenmagazin Spiegel gewettert. Schon das Wort Shutdown mache ihn „bösartig“, so Castorf damals.

Und jetzt also das: Castorf, und mit ihm zusammen weitere 83 Millionen Bundesbürger – die überwiegende Mehrheit von ihnen in einer Lebensphase der Volljährig- und Vollmündigkeit – wird sich von Angela Merkel und ihren Beratern auch sagen lassen müssen, wie er Weihnachten und wie Silvester zu feiern hat. Dabei trug die Kanzlerin bei ihrer Verkündigung nicht einmal das von Castorf angeprangerte „weinerliche Gesicht“.

Anhaltender November-Blues

Im Gegenteil: mit weinrotem Blazer und gelassener Miene trug Merkel am heutigen Donnerstag dem Deutschen Bundestag vor, was sie gestern bereits in einer mehr als siebenstündigen Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen der Länder beschlossen hatte: „Wir sind zu einem guten Ende gekommen“, hieß es dann nach Abschluss der Besprechungen. Und heute, im Bundestag, fasst sie dieses „Gute“, das aber wahrlich noch nicht das Ende sein wird, in folgende Beschlusslage: „Weihnachten soll ein sicheres Weihnachten werden“.

Mal ehrlich, war das schon die gute Mär, die Castorf und all die, die mit ihm längst ein bisschen „bösartig“ geworden sind, von Weihnachtsabend erwarten dürfen? Statt des Fests des Friedens ein Fest der Sicherheit? Statt ein Licht in der Finsternis ein anhaltender November-Blues, der bereits jetzt die Notrufe der Telefonseelsorgedienste heißlaufen lässt?

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„Kein Weihnachten der Einsamkeit“

Damit die neue Weihnachtsrealität dann aber doch in bewährter Eintracht über die Bühne – oder zumindest durch die gute Stube  – gehen kann, wurde folgender  Erlass gegeben: Die Kontaktbeschränkungen, die Anfang des Monats im sogenannten „Lockdown Light“ eingeführt worden sind, werden auch über den 30. November hinaus fortgeführt werden. Die vorweihnachtliche Beschulungsphase wird dann in allen Bundesländern am 19. Dezember enden, um in einer „Woche des Schutzes“, also einer Art viralem Fasten, für alle zu münden. 

Das eigentliche Weihnachtsfest aber soll ein Hochamt der Lockerung werden: Ab dem 23. Dezember, so die Kanzlerin, sollen Treffen in engstem Familien- oder Freundeskreis möglich sein, und das bis maximal zehn Personen. Man werde, so Merkel, mit den Religionsgemeinschaften sprechen, um geeignete Maßnahmen für Gottesdienste treffen zu können. Großveranstaltungen, soviel steht heute jetzt fest, dürften die Weihnachtsgottesdienste indes nicht werden. Und dennoch: „Es soll kein Weihnachten der Einsamkeit geben“, das gelte besonders in Behinderten- und Seniorenheimen.

Erste Impfdosen vor Weihnachten

Das „Adveniat regnum tuum“ das Jahres 2020 wird also ein sehr besonderes werden. Doch „wir können Hoffnung schöpfen“, wie Rolf Mützenich (SPD) in die anschließende Aussprache im Parlament hineinrief. Das Licht nämlich, das da kommen wird, könnte bald schon die Impfung sein. Man werde die Zulassungsverfahren beschleunigen, so Merkel. Es sei möglich, dass bereits vor Weihnachten die ersten Impfdosen ausgeliefert würden. Das sei ein „Licht am Ende des Tunnels“.

Zumindest, das steht fest, ist es ein optimistisches Narrativ in der Adventszeit. Bei Biontech, Pfizer und Moderna dürfte es schon jetzt laborgeprüfter sein als die Geschichte von der Geburt der Jungfrau. Dass es indes auch Expertenmeinungen gibt – jüngst etwa vorgetragen im angesehenen Fachmagazin British Medical Journal –, die weit kritischer mit der Impf-Hoffnung umgehen als die meisten europäischen Regierungen und die vor möglichen Nebenwirkungen warnen, wurde von Merkel nicht erwähnt. 

Loblied auf Gastronomie und Kultur 

Ganz zu trauen aber scheint auch sie dem neuen Maßnahmenkatalog nicht: „Wir gehen davon aus, dass das, was aktuell gilt, auch nach dem 1. Januar hinaus gelten wird“, so die Kanzlerin unter zunehmender Unruhe in der rechten Hälfte des Hauses. Daher sei es wichtig, dass die weiter geltenden Beschränkungen durch finanzielle Hilfen gestützt würden. „Die Novemberhilfen werden ergänzt werden müssen durch Dezemberhilfen“, so Merkel, die anschließend zurecht darauf hinwies, dass derzeit die Gastronomie, die Hotellerie und die Kultureinrichtungen die Last für die gesamte Gesellschaft trügen. 

Doch dem Loblied auf Gastronomie und Kultur folgte der abermalige Schlag in die Magengrube: „Wir können diese Hilfen nicht bis Ultimo führen. Es muss darüber geredet werden, ob die Dinge noch alle zusammenpassen.“ Mit anderen Worten: Auch innerhalb der Bundesregierung scheint man sich allmählich zu fragen, ob die jetzt verlängerten und zum Teil neu beschlossenen Maßnahmen noch finanzierbar und verhältnismäßig sind.

Zwar betonte Merkel, dass es immer um Beides gehen müsse – um Gesundheit und Wirtschaft sowie um Gesundheit und Kultur. Spätestens im Januar aber dürfte man wohl realisieren, dass ein solcher Zweischritt längst aus den Augen verloren wurde. Bis dahin aber ist Weihnachten, und da ist es hierzulande guter Brauch, Konflikte, Dichotomien und Ambivalenzen unter den Tisch zu kehren. Man will schließlich nicht unterm Baum „bösartig“ werden – das gebietet der Weihnachtsfrieden, mithin die Sicherheit.

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