ARD-Sommerinterview - „Finden Sie das nicht geschmacklos?“

Im Rahmen des ARD-Sommerinterviews mit Christian Lindner hat sich der Sender einen Fauxpas geleistet. Eine Zuschauerfrage zum Privatleben des FDP-Vorsitzenden offenbarte eine merkwürdige Vorstellung von Moral und Anstand der Verantwortlichen

Christian Lindner: „Ein Politiker muss sich das nicht gefallen lassen“ / Sreenshot (ARD)
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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„Lieber Vermögenssteuer oder gleichaltrige Freundin?“, wiederholte Christian Lindner einigermaßen ungläubig die soeben gestellte Frage der Leiterin des ARD-Hauptstadtbüros, Tina Hassel. Der FDP-Vorsitzende befand sich da gerade in einer Art Schnellfragerunde im Rahmen des Sommerinterviews. „Porsche oder Mercedes SLK?“, „Lieber gar nicht antworten als schlecht antworten?“, „Wie viel geben Sie im Monat für Kosmetik aus?“

Der förmlich-politisch-seriöse Teil war also offensichtlich vorbei, jetzt sollte nicht nur die Journalistin fragen, sondern auch die Zuschauerinnen und Zuschauer durften nun. Und die kann man natürlich die boulevardesken Fragen stellen lassen und so schön selbst das Gesicht wahren. Die ARD hatte dazu aufgerufen unter dem Motto „Frag selbst“, sich direkt an den FDP-Chef zu richten. Weil das Erste weiß, was da für Fragen auch im Hochsommer reinschneien können, wurden die Zuschauerfragen selbstverständlich vorab gesichtet, sortiert und anschließend der Moderatorin auf einem Tablet präsentiert. Nachdem Lindner also brav und noch gut gelaunt geantwortet hatte, dass er lieber Porsche fahre als Mercedes SLK, dass er angeblich nicht wisse, wie viel Geld er für Kosmetik im Monat ausgebe und dass er lieber gar nicht antworte als schlecht, wurde seine Miene mit einem Mal etwas finsterer.

Hatte Tina Hassel da gerade wirklich gefragt: „Lieber Vermögenssteuer oder gleichaltrige Freundin?“ Dem FDP-Chef entfuhr zunächst nur ein: „Geschmacklos!“ Die ARD-Moderatorin, zugegeben in einer nicht unstressigen Live-Situation, sich auf das Redaktionsteam verlassend, lachte daraufhin leicht verschämt und sagte nur „Okay“ und machte sogleich weiter, denn ein eingespielter schnell tickender Countdown machte Druck: „Sehen Sie den Klimawandel als existenzielle Bedrohung für Deutschland?“ „Ja“, sagte Lindner.

Nur Fragen von Zuschauern

Als die Schnellfragerunde vorbei war, hakte Lindner nach. Es klang lauernd. „Wer hat das gemacht?“ Er wollte wissen, wer sich da angemaßt hatte, sich in sein Privatleben einzumischen. Der FDP-Chef ist nach seiner Trennung von der Welt-Journalistin Dagmar Rosenfeld mit der RTL-Moderatorin Franca Lehfeldt zusammen. Einen Fakt, den er kaum verheimlicht, auf den er bislang aber öffentlich kaum auf so moralisierende Weise angesprochen worden sein dürfte. Franca Lehfeldt ist elf Jahre jünger als Lindner. Die ARD-Moderatorin, ahnend, was sich da zusammenbrauen könnte, bemühte sich sogleich, die Wogen zu glätten. Schnell wusch sie ihre Hände in Unschuld. Das seien alles Fragen von Zuschauern. „Die sind aktuell hier reingeflogen“, sagte Hassel und zauberte noch eine weitere hervor: „Fahrrad oder E-Roller? Finde ich auch gut“, sagte sie.

Lindner ärgerte sich: „Die Fragen, auch die Sie gestellt haben sind alle ein bisschen einseitig, mit Scheinalternativen und ehrlich gesagt auch parteiisch“. Wieder lenkte Hassel ab: „Das müssen Sie nicht mir sagen. Ich trage hier nur vor, was gefragt wird.“ Lindner legte nach: Als Politiker müsse man es trotzdem nicht hinnehmen, wenn Fragen nach dem Privatleben gestellt würden. Das finde er geschmacklos. Hassel stellte sich sodann vor die Zuschauer. Sie sei „Anwalt“ (sic!) der Fragen, die reinkommen. Wie unsicher man in der ARD offenbar hinsichtlich der eigenen Zuschauer-Community ist, zeigte sich dann auch daran, dass Hassel plötzlich ins Du wechselte: „Wir nehmen alle eure Fragen auf“, solange sie nicht pöbelnd seien. „Frau Hassel, jetzt mal unter uns beiden Pastorentöchtern, eine Frage wie Vermögenssteuer oder gleichaltrige Freundin finden Sie nicht geschmacklos?“, fragte Lindner nochmal nach. Tina Hassel antwortete: „Ich hätte die Frage auch nicht gestellt...“ Hatte sie ja aber. „Aber wie gesagt, wir stellen auch die Fragen der Community.“

Empörung und späte Reaktion

Im Internet gärte im Anschluss an das Interview mit Lindner die Empörung über die ARD-Sendung. Insbesondere Parteikollegen von Lindner, wie der Innenexperte Konstantin Kuhle, meldeten sich zu Wort: „Wenn ein Mann eine solche Frage an Annalena Baerbock oder Katrin Göring-Eckart gerichtet hätte, stünde die gesamte Republik zu Recht Kopf, weil sie Ausdruck absoluter Unverschämtheit ist.“ Aber auch Politiker von Grünen, von SPD, CDU und AfD ärgerten sich immer offensichtlicher über eine scheinbare Kleinigkeit.

Erst viele Stunden später erklärte sich die ARD über den Twitter-Account des Hauptstadtstudios:

#fragselbst setzt auf authentische Userfragen - die können politisch und privater sein. Rückblickend stellen wir uns schon die Frage, ob wir noch sensibler mit Userfragen umgehen sollten. Das hatte @TinaHassel übrigens @c_lindner beim Verabschieden auch noch persönlich gesagt.

Warum sich parteiübergreifend so viele Politikerinnen und Politiker, sowie Zuschauerinnen und Zuschauer derart ärgerten? Natürlich ließe sich anführen, dass die Frage nach dem Altersunterschied zwischen Lindner und seiner Freundin eben eine blöde Zuschauerfrage war, die eben durchgerutscht ist. Doch es steckt eben mehr dahinter. Die Frage offenbart zunächst ein seltsames Verständnis von Moral. Was an einem Altersunterschied von elf Jahren soll ähnlich beanstandenswert sein wie das Fehlen einer Vermögenssteuer? Beides sei quasi unanständig, insinuiert die Frage, aber eben offenbar ganz nach Lindners Geschmack.

Porsche fahren, Reiche schonen und sich ein junges Ding anlachen? Natürlich schwang da jenes überkommene Klischee mit, ein vermögender, gestandener Politiker habe sich von seiner älteren Frau getrennt und sich eine junge RTL-Journalistin "geholt". Natürlich klang es so, als würde Lindner da ein etwaiges Machtgefälle zwischen sich und einer jüngeren Frau ausnutzen. Natürlich bekommt man da den Eindruck einer ARD-Redaktion, die insgeheim vielleicht genauso denkt wie der oder die Fragende, weil ihr gar nicht auffällt, das so etwas nicht geht.

Zuschauerbeteiligung als Deckmantel für Boulevard

Eine derartige Sichtweise diskreditiert letztlich den und die Fragesteller. Denn sie unterstellt letztlich auch, Lindners Freundin sei nicht emanzipiert genug, selbst zu entscheiden, wen sie als Freund an ihrer Seite zulasse. Hätte man einer Frau diese Frage gestellt? „Frau Baerbock, gleichaltriger Freund oder freie Fahrt für Stinkediesel?“ Wohl kaum. Wo eigentlich fängt ein unangemessener Altersunterschied an? Im Grunde nirgends. Es ist völlig unerheblich und geht niemanden etwas an, solange zwei erwachsene Menschen sich einvernehmlich lieben.

Man könnte sich nun auf die Suche danach machen, wie groß der Altersunterschied fiktiver Paare in ARD-Vorabendserien ist. Man könnte es aber auch lassen. Ebenso wie diese Simulation von „zeitgemäßer“ Zuschauerbeteiligung, die im Grunde nur eine Ausrede dafür ist, Boulevard zu machen, ohne ihn zugleich verantworten zu wollen. Ein öffentlich-rechtlicher Sender sollte es nicht nötig haben, das Interesse der Zuschauer für Politik auf dieses Weise zu wecken.

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