CDU/CSU nach der Wahl - „Die Analyse wird wehtun“

Carsten Linnemann, Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, spricht sich für eine echte Aufarbeitung der Niederlage bei der Bundestagswahl aus. Anderenfalls drohe die Gefahr, dass sich die CDU marginalisiere. Für die Sondierungsgespräche mit der FDP sieht er gute Vorzeichen.

Carsten Linnemann (zweiter von links) am Dienstag im Bundestag mit Armin Laschet, Friedrich Merz und Paul Ziemiak / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Carsten Linnemann vertritt im Bundestag seit 2009 den Wahlkreis Paderborn, den er 2021 mit 47,9 Prozent direkt gewonnen hat. Er ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag und Mitglied des CDU-Bundesvorstands.

Herr Linnemann, wie groß sind die Chancen, dass die Union zusammen mit FDP und Grünen die nächste Bundesregierung stellt?

Ich schätze die Chancen als gering ein. Immerhin wurde die Union von den Wählern abgestraft. Der Regierungsauftrag liegt nicht bei uns, sondern bei der SPD. Das muss man klar eingestehen.

Wie fest sitzt Armin Laschet noch im Sattel?

Carsten Linnemann

Armin Laschet wird die Union in die Sondierungsgespräche führen. Aber klar ist auch, dass er als Spitzenkandidat von CDU und CSU die Hauptverantwortung für die Niederlage trägt. Das macht die Sache natürlich nicht einfacher. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir als Union schon seit Jahren an Zustimmung verlieren. Seit der Bundestagswahl 2013 haben wir mehr als 40 Prozent der Wähler verloren. Das sind Zahlen, die richtig ins Mark gehen. Sie zeigen, dass die Ursachen für den Absturz tiefer liegen. Daraus müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen. Das ist mindestens so wichtig wie parallel an einer möglichen Regierungskonstellation zu arbeiten.

Glauben Sie, dass das geht: eine neue Regierung zu bilden und gleichzeitig diese Niederlage aufzuarbeiten und sich zu erneuern?

Das muss gehen. Es ist jedenfalls meine größte Sorge, dass es wie bei den vergangenen Wahlen läuft. Da wurde von der Parteiführung immer wieder versprochen: Die Analyse kommt. Aber sie kam nie, denn jedes Mal hatte die Regierungsbildung Vorrang. Und genau das fällt uns zunehmend auf die Füße. Wir müssen jetzt endlich eine Schubumkehr einleiten. Das heißt, wir müssen die Wahlanalyse sofort starten. Daher freue ich mich, dass Generalsekretär Paul Ziemiak schon kurz nach der Wahl angekündigt hat, einen solchen Prozess umgehend einzuleiten und dabei auch die Basis einzubeziehen. Die Analyse wird wehtun. Aber machen wir sie nicht, werden wir uns selbst marginalisieren.

Für Sonntag sind nun Gespräche der Union mit der FDP angekündigt. Sie sind nicht Teil des Sondierungsteams. Aber was müsste die Union nach Ihrer Meinung der FDP bieten, um sie aus einer Ampel herauszulocken?

Es geht sicher um die Bereiche Steuern, Arbeitsmarkt und Finanzpolitik. Da sind die Positionen der FDP fast deckungsgleich mit dem Programm der Union. Man kann sich fast die Frage stellen, wer von wem abgeschrieben hat. In diesen Bereichen würden wir uns viel schneller einigen als in anderen Konstellationen.

Wann werden wir wissen, ob es auf eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition hinausläuft? Alexander Dobrindt hat gesagt, es gehe dabei „nicht um Wochen“.

Ich wäre da vorsichtiger. Die Bindung der Wähler an einzelne Parteien hat nachgelassen, es gibt eine große Fluktuation der Wählergruppen. Es wird also für die Parteien wichtig sein, in diesen Verhandlungen ihre Markenkerne sichtbar zu machen. Daher könnten die Sondierungen länger dauern, als uns allen lieb ist. Ich könnte mir vorstellen, dass man erst Ende Oktober in richtige Koalitionsverhandlungen eintritt. Aber es wäre wichtig für unser Land, dass wir noch vor Weihnachten eine neue Regierung bekommen. Die Welt wartet nicht auf uns.

Am Dienstag hat sich die Unionsfraktion zum ersten Mal getroffen. Wie war die Stimmung?

Auf der einen Seite gab es die, die sich gefreut haben, neu dabei zu sein. Aber es waren auch noch ein letztes Mal diejenigen dabei, die dem Bundestag nun nicht mehr angehören werden. Wir haben rund 50 Abgeordnete weniger. Wir haben ganze Bundesländer, wo wir keine Direktmandate mehr haben. Beispiel Brandenburg: Da haben wir 2017 neun von zehn Direktmandaten geholt. Jetzt haben wir kein einziges bekommen. Es ist dramatisch. Und das stand im Mittelpunkt der Debatte, die wir am Dienstag geführt haben.

Es geht auch das Gerücht um, dass zum Gelingen einer Jamaika-Koalition eine Auswechslung des glücklosen Kanzlerkandidaten nötig wäre: Der Verlierer Armin Laschet wird ausgetauscht, Markus Söder wird Kanzler einer schwarz-gelb-grünen Regierung. Ist da was dran?

Das ist nur ein Gerücht.

Die Fragen stellte Moritz Gathmann.

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