CDU und CSU - Ohne Kopf und ohne Strategie

In einer gut organisierten Parteienfamilie hätte man erwarten können, dass sich die führenden Köpfe abstimmen, ehe sie das Sondierungsergebnis von SPD, Grünen und FDP bewerten. Doch die Kakophonie an der Unionsspitze zeigt, wie weit CDU und CSU von einer Neuaufstellung entfernt sind. Der Bruch verläuft quer durch beide Parteien.

Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht beim Deutschlandtag der Jungen Union / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Zwei Wochen nach der Bundestagswahl haben selbst die größten Optimisten in der Union erkannt, dass es vorbei ist mit den Träumen von Jamaika. Doch führende Politiker von CDU und CSU sind sich nicht einig, wie sie auf die kommende Ampel-Koalition reagieren sollen. Die einen setzen auf Appeasement, wollen eine kooperative Opposition sein. Die anderen versuchen sich mit einer Sonthofen-Strategie à la Franz Josef Strauß. Der hatte 1974 zum Frontalangriff auf die SPD/FDP-Koalition geblasen: „Es muss wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, politisch mit unseren Vorstellungen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu werden. Es muss also eine Art Offenbarungseid und ein Schock im öffentlichen Bewusstsein erfolgen.

Brinkhaus macht den Strauß

Allerdings setzt nicht in erster Linie die CSU auf das Modell „Sonthofen“. Dafür steht der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus. Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP nannte er am Wochenende „die strammste Linksagenda, die wir seit Jahrzehnten in Deutschland gehabt haben“. Brinkhaus, der Ambitionen auf den CDU-Vorsitz hat, rief vor der Jungen Union dazu auf, die Ampelkoalition „wieder aus dem Bundeskanzleramt rauszuhauen“. Bei einer Ampel gebe es lange rote und grüne Phasen, sagte er: „Gelb ist es immer nur drei bis fünf Sekunden.“

Im Vergleich zu dem eigentlich nicht zu schriller Polemik neigenden Westfalen Brinkhaus gaben sich die Strauß-Erben geradezu sanft. CSU-Chef Markus Söder warnte vor einem „Epochenwechsel“. Deshalb müssten CSU und CSU „das Bollwerk gegen einen Linksrutsch in Deutschland werden“. Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf den Ampel-Parteien „Linksträumereien“ vor. „FJS“ hätte beide in diesem Punk wohl als „Westentaschen-Strategen“ abqualifiziert.

Laschet und Merz setzen auf Appeasement

Dagegen zollten der gescheiterte Kanzlerkandidat Armin Laschet und der zweimal als CDU-Vorsitzender gescheiterte, gleichwohl unverändert ambitionierte Friedrich Merz den rot-grün-gelben Sondierern Respekt. „Das Papier ist in Ordnung. Da hätten manches wir auch mitmachen können“, urteilte Laschet. Und Merz, der sonst gerne eine scharfe Klinge schlägt, bewertete die ersten Vereinbarungen der potenziellen Regierungsparteien ebenfalls positiv. Diese hätten „ein beachtliches Papier vorgelegt“. Und: „Das ist ein Anlass zum Respekt und zur kritischen Selbstüberprüfung: Das hätten wir auch haben können.“ Mehr Lob von der designierten Opposition geht eigentlich nicht.

Sonthofen oder konstruktive Opposition? Die Kakophonie an der Unionsspitze macht deutlich, wie weit CDU und CSU von einer Neuaufstellung entfernt sind. Der Bruch verläuft, anders als im Wahlkampf, nicht zwischen CDU und CSU, sondern quer durch beide Parteien. Offenbar ist niemand da, der koordiniert, wie die künftigen Oppositionsparteien auf Vorhaben und Vorstöße der Ampelparteien reagieren.

Auf Kosten der Partei

In einer gut organisierten Parteienfamilie hätte man erwarten können, dass sich die führenden Köpfe telefonisch abstimmen, ehe sie das Sondierungsergebnis bewerten. Aber Laschet ist zu schwach, um das zu bewerkstelligen, Söder hat das dafür notwendige Vertrauen bei der CDU-Schwester verspielt, und die Konkurrenten um Partei- und Fraktionsvorsitz versuchen sich zu profilieren – gegenüber den Wettbewerbern und eben auch auf Kosten der Partei.

Am 26. September hat die Union ihr bisher schlechtestes Ergebnis erzielt, die SPD ihr zweitschlechtestes (zusammen mit dem von 2013). Auch liegen zwischen den 24,1 Prozent für die CDU/CSU und den 25,7 Prozent für die SPD eigentlich keine Welten. Dennoch könnte der Unterschied nicht größer sein. Die SPD setzt fort, was ihr im Wahlkampf geholfen hat: Sie tritt geschlossen auf. Der Blick aufs Kanzleramt diszipliniert – jedenfalls zurzeit – ungemein. CDU und CSU wiederum setzen fort, was ihnen schon im Wahlkampf schwer geschadet hat: Sie wirken wie ein Team ohne Kopf und ohne Strategie. Nein, sie wirken nicht nur so; sie sind so.

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